Abrechnungsbetrug: Kassen entgehen Millionensummen
Oft handelt es sich beim Abrechnungsbetrug um manipulierte Rechnungen für fingierte Behandlungen und gefälschte Rezepte.
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Hamburg. Allein die Techniker Krankenkasse (TK) erhält jeden Tag vier Hinweise auf einen vermeintlichen Betrug. „Und es wird immer mehr“, sagt Frank Keller, Bundeschef der kasseninternen Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen. Verstärkt seien organisierte Banden am Werk.
Seit 2004 sind die gesetzlichen Kassen verpflichtet, Fällen nachzugehen, die auf Unregelmäßigkeiten hindeuten. Die Hälfte der Hinweise stammt aus der Bevölkerung, die andere Hälfte aus regionalen Arbeitsgruppen, in denen sich die Krankenkassen länderübergreifend austauschen. „Wettbewerb wäre in diesem Fall kontraproduktiv, würde die Täter noch stärken“, sagt Keller, der ein 20-köpfiges Team bei der TK führt.
Plausibilitätscheck am Anfang
Zunächst werden die Verdachtsfälle einem Plausibilitätscheck unterzogen: Handelt es sich um einen versehentlichen Fehler oder um dreisten Betrug? Denn – das betont Keller – immerhin rechne der Großteil der Akteure im Gesundheitswesen sauber ab. Was im Raster hängen bleibt, sind etwa manipulierte Rechnungen für fingierte Behandlungen und gefälschte Rezepte. Bei begründetem Anfangsverdacht auf eine strafbare Handlung von „nicht nur geringfügiger Bedeutung“ sollen die Kassen die Staatsanwaltschaft einschalten.
Keller erinnert sich an einem Anruf an einem Freitag Nachmittag. Ein Apotheker informierte ihn, dass ein Kunde ihm soeben einen Packen von Verordnungen in die Hand habe drücken wollen – mit der Frage, ob er die Rezepte schnell einlösen könne. Je Rezept war ein hochwertiges Medikament im Einzelwert von rund 20 000 Euro aufgeführt. Die Kasse informierte die Polizei, die ließ die Überwachung des Handys des verdächtigen Kunden veranlassen. Der Mann wurde ermittelt. Der Verdacht bestätigte sich. Die Verordnungen mit den Daten echter Versicherter waren gefälscht. Die inzwischen verurteilten Täter: Ein einschlägig vorbestrafter Apotheker, seine Frau, vier Osteuropäer. Der vom Gericht ermittelte Schaden liegt bei 2,5 Millionen Euro.
Dunkelziffer ist hoch
42 Millionen Euro konnten nach nicht ganz frischen Angaben des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherungen GKV durch Ermittlungsgruppen zurückgeholt werden. Der tatsächliche Schaden sei jedoch viel höher, berichtet Keller. Die Dunkelziffer sei hoch. „Was wir bearbeiten, ist nur die Spitze des Eisbergs.“
Derzeit stehen Pflegedienste bei den Kassen-Ermittlern im Fokus. Organisierte Banden tummelten sich dort, berichtet Keller. In Nordrhein-Westfalen waren Anfang des Jahres neun Angeklagte – die meisten aus Russland und der Ukraine – verurteilt worden. Bei der ambulanten Pflege hatten sie statt Kompressionsstrümpfe zu wechseln, „Patienten“, die sich darauf einließen, Putzdienste, Friseurbesuche oder Maniküre bezahlt. Mitgemacht hatten mehrere Ärzte, die Bestechungsgelder dafür kassierten.
Curd Tönnemann
LN