Fachkräftemangel / Medizinstudium

Medizinerausbildung: Ungerecht und untauglich – Männerquote dringend erforderlich

Die Zeiten als es in Deutschland eine regelrechte Ärzteschwemme gab sind seit mehr als zehn Jahren vorbei: Inzwischen fehlen in vielen Regionen Ärzte, um die ambulante und stationäre Versorgung aufrecht zu erhalten. In den Kliniken gehen für einzelne Abteilungen die Lichter aus, weil der Betrieb nicht mehr aufrechterhalten werden kann und dazu kommen zukünftig noch noch die Personaluntergrenzen á la Spahn. Wir brauchen dringend Ärzte! Das wird eine der spannendsten Herausforderungen der nächsten Jahre. Der Zugang zum heutigen Medizinstudium ist nicht nur ungerecht sondern auch die Auswahlverfahren sind unzureichend. Daran ändern die aktuellen Vorschläge leider nichts!

Das Bundesverfassungsgericht entschied im vergangenen Jahr, dass der Numerus Clausus (NC), also der Notendurchschnitt, und auch die Wartezeitquoten, für die, die einen schlechteren NC haben, teilweise verfassungswidrig sind. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Rücken muss die Kultusministerkonferenz der Länder nun die Zulassung zum Medizinstudium reformieren. Noch öffnet vor allem die Abiturnote die Türen zur Ausbildung. Und wer es mit der Note nicht schafft, muss Jahre warten und bekommt sogenannte „Wartezeitboni“. Oder aber das Glück schlägt zu, denn ein Teil der Plätze wird zudem verlost. In der Summe gehen 20 Prozent der Studienplätze an die Notenbesten, 20 Prozent über die Wartezeit und 60 Prozent werden über die Hochschulen direkt vergeben.

Doch auch die Hochschulen schauen primär auf die Abiturnote: Sie zählt 46 Prozent, das Ergebnis aus dem Orientierungstest für medizinische Studiengänge 44 Prozent. Bis zu 10 Prozent Bonuspunkte gibt es für vorhandene medizinische Ausbildungen. Insgesamt gesehen, werden also mehr als 90 Prozent der Studienplätze durch Bestnoten und Testkompetenz vergeben. Dabei gibt’s die Diskussion um den Numerus Clausus schon lange. Hinter ihr steht die berechtigte Frage, ob ein Abiturient, der einen Notendurchschnitt von 1,0 oder 1,2 vorweisen kann, zwangsläufig auch ein guter Arzt werden wird.

Wie will die Kultusministerkonferenz nun die Zulassung regeln und damit die medizinische Versorgung in Deutschland sicherstellen? Nun, sie schafft die Wartezeitquote ab und verpflichtet die Universitäten zwei weitere Kriterien neben der Abiturnote einzuführen. Dabei arbeitet die Universität Heidelberg heute schon mit dem sogenannten TMS-Test und Bonuspunkten – was ändert sich also an der bisherigen Praxis? Neu ist eine Eignungsquote von 10 Prozent. Sie soll schulnotenunabhängig sein. Wie genau diese Eignung definiert wird, auch dazu gibt es bislang keine inhaltlichen Vorstellungen. Vielmehr erfährt die Bedeutung der Abiturnote eine Aufwertung: Ihre Quote wird von 20 auf 30 Prozent angehoben. Ein großer Wurf sieht anders aus!

Denn, wer ein schlechteres Abitur hat – und wir reden hier wohl von einem Notendurchschnitt von 1,5 bis 2,0 – wird nun nicht einmal mehr über die Wartezeit zu seinem Traumberuf kommen.

Ich selbst hätte wohl mit diesen Kriterien niemals Medizin studieren können. Nach wie vor spielen ärztliche Kompetenzen wie Zugewandtheit, Einfühlungsvermögen etc. bei der Auswahl der Aspiranten keine Rolle. Legt man den Placebo-Effekt, also die Fähigkeit des Arztes, den Patienten durch geeignete Interaktion zu erreichen zu Grunde, sollten mindestens 35 Prozent der Auswahlkriterien für ein Medizinstudium aus individueller Haltung und Empathie bestehen. Das aber sollte bitte nicht über einen Eignungstest ermittelt werden, sondern von Mensch zu Mensch.

Keine Frage: Wir müssen neue Wege bei der Auswahl der Medizinstudierenden gehen.
Obwohl das Interesse am Medizinstudium ungebrochen groß ist: Das Verhältnis liegt bei fünf Bewerbern auf einen Studienplatz. Kommt nur ein Teil von ihnen auch in der Versorgung an. 2007 waren es 78.000, die ein Medizinstudium aufnahmen, 2017 bereits mehr als 92.000.

Wo bleiben all diese Ärztinnen und Ärzte? Hier lohnt sich ein genauerer Blick auf die Zahlen. Noch 2006 lag der Frauenanteil unter den Medizinstudierenden bei 63 Prozent, aber nur 40 Prozent dieser Frauen übten im Anschluss auch tatsächlich den Arztberuf aus. 2017 schaffen es 46,8 Prozent in den Arztberuf – der Frauenanteil im Studium lag dort allerdings schon bei zirka 70 Prozent. Uns geht also ein nicht unerheblicher Teil an ausgebildeten Medizinerinnen wieder verloren.

Die Zahlen legen nahe für Bildungsberufe und auch das Medizinstudium eine Männerquote von 50% zu fordern. Warum ist das so? Die Ursachen liegen tief und beginnen bereits in der Schule. Fast 80 Prozent der Grundschullehrer sind Frauen. Wo sind die männlichen Vorbilder? Wo sind die Jungs verstehenden Lehrer(innen)? Jungs sind Rabauken, selten interessieren sie sich für Noten und ihre Noten sind selten mit denen von Mädchen vergleichbar. Häufig zieht sich das so bis zum Abitur durch, Ehrenrunden inbegriffen. Die Zeit der Persönlichkeitsentwicklung, die Phase der Kindheit über die Pubertät ist von hoher Individualität, Sprunghaftigkeit und Unterschiedlichkeit geprägt. Aus diesen zehn Jahren des Heranreifens sollen die Weichen für die folgenden 40 oder 50 Berufsjahre abgeleitet werden? Schlechte Schulnoten und eine verspätete „Weisheit“ (Pubertätsverzug) bedeuten demnach das weitgehende Aus für den Traumberuf Arzt.

Meine Lebenserfahrung sagt mir: Schulnoten sind kein Garant für beruflichen Erfolg und für eine positive Lebensgestaltung. Und selten können die Lehrer das Potenzial der Schüler erkennen und abrufen. Wir brauchen aber engagierte junge Menschen mit einer positiven menschlichen Grundhaltung und den notwendigen Fertigkeiten, um das Medizinstudium erfolgreich zu meistern und dann den Arztberuf mit Begeisterung auszuüben.

Fakt ist, dass unser Schulsystem, diese Voraussetzungen – zumindest für Jungs – nicht schafft und auch die Selektion der Universitäten uns nicht die Medizinergenerationen bringt, die wir so dringend benötigen.

Der Blickwinkel der Universitäten geht nicht in Richtung der Versorgung der Bevölkerung sondern in Richtung Forschung, Lehre und Expertenmedizin
Ich plädiere für eine stärkere praktische Expertise: Aktive Ärzte sollten als Coach oder neudeutsch als Scout fungieren und bei der Auswahl und Begleitung der Medizinstudierenden einbezogen werden. Auch sollte soziales Engagement, ein soziales Jahr, Praktika oder eine pflegerische Vorausbildung ein deutlich höheres Gewicht erhalten, eine Gewichtung von 30% und eine Notengutschrift wären eine motivierende Anerkennung.

Wie ist Ihre Meinung? Ist der Numerus Clausus ein geeignetes Instrument bei der Auswahl der Medizinstudierenden? Oder sollten nicht stärker individuelle Persönlichkeitskriterien zum Zuge kommen?

Ich bin gespannt auf Ihre Meinung! Schreiben Sie mir!

Ihr,

H.-P. Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt

Dr. Hans-Peter Schlaudt ist Experte für Krankenhäuser im Strukturwandel. Der Arzt und Manager gründete 1998 zusammen mit Dorit Müller die Unternehmensberatung JOMEC GmbH Healthcare Consulting+Management. Mit der Erfahrung von mehr als 25 Jahren in der Führung und Beratung im Gesundheitswesen will er nun mit dem Blog das Thema Gesundheitsversorgung auf die Tagesordnung setzen.