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Frankfurter Rotkreuz-Kliniken führen 35-Stunden-Woche für Pflegekräfte ein

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Die Arbeitsanforderungen an das Pflegepersonal in Kliniken nehmen stetig zu. Neben steigenden Fallzahlen pflegeintensiver Patienten erhöhen sich beispielsweise auch die administrativen und dokumentarischen Tätigkeiten im Klinikalltag.
Die Arbeitsanforderungen an das Pflegepersonal in Kliniken nehmen stetig zu. Neben steigenden Fallzahlen pflegeintensiver Patienten erhöhen sich beispielsweise auch die administrativen und dokumentarischen Tätigkeiten im Klinikalltag. © Andreas Arnold (dpa)

Hunderttausende Pflegekräfte in Deutschland fühlen sich durch Überlastung, Dauerstress und geringe Bezahlung ausgezehrt. Die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken gehen einen neuen Weg, um ihre Mitarbeiter zu entlasten. Sie haben für die Klinik Rotes Kreuz und die Klinik Maingau die 35-Stunden-Woche für Pflegekräfte eingeführt.

Frankfurt - In den beiden Rotkreuz-Kliniken arbeiten die Pflegekräfte seit Jahresbeginn nicht mehr 38,5 Stunden, sondern nur noch 35 Stunden – und das bei vollem Lohnausgleich, wie der Geschäftsführer Gunnar Sevecke am Montag bestätigt hat. Sevecke geht davon aus, dass die Rotkreuz-Kliniken, die nur 900 Meter voneinander entfernt an der Königswarterstraße und der Scheffelstraße liegen, wahrscheinlich bundesweit die ersten Krankenhäuser sind, die eine solche Arbeitszeitverkürzung vornehmen.

Hohe Arbeitsanforderungen

Begründet wird dieser Schritt mit den hohen Arbeitsanforderungen. So nehme zum einen die Zahl der Patienten zu, die eine intensive Pflege benötigen. Zum anderen müssten die Pflegekräfte auch zunehmend „administrative und dokumentarische Tätigkeiten“ wahrnehmen, wie es in einer Mitteilung an die Presse heißt. Die Rotkreuz-Kliniken möchten mit der Arbeitszeitverkürzung nicht nur neue Pflegekräfte in einem stark umkämpften Markt gewinnen, sondern den eigenen Beschäftigten „etwas zurückgeben“, so die Oberin der beiden Rotkreuz-Schwesternschaften Karin Schoppet. Man wolle die Pflegekräfte „körperlich entlasten“ und ihnen „mehr Zeit mit ihren Familien“ ermöglichen.

Hetze und Überlastung

Laut der 2018 veröffentlichen Studie des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) „Gute Arbeit“ fühlen sich viele Pflegekräfte in Deutschland durch Überlastung, Dauerstress und geringe Bezahlung ausgezehrt. So klagen drei von vier Pflegerinnen und Pfleger über Hetze bei der Arbeit. In der Krankenpflege sagen 80 Prozent, sie müssten ihre Tätigkeiten sehr häufig oder oft in Hetze erledigen, in der Altenpflege sind es 69 Prozent. Das zeigt eine am Freitag in Berlin vorgestellte Erhebung des DGB. Im Schnitt aller Branchen fühlen sich Beschäftigte demnach lediglich zu 55 Prozent gehetzt. Ein angesichts ihrer Arbeitsleistung angemessenes Einkommen vermissen 73 Prozent der Pflegekräfte.

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46 Prozent der Beschäftigten in den Pflegeberufen sagen, sie müssten oft Abstriche bei der Qualität ihrer Arbeit machen, um ihr Pensum zu schaffen – 49 Prozent in der Kranken-, 42 Prozent in der Altenpflege. DGB-Vorstand Annelie Buntenbach bei Veröffentlichung der Studie sagte: „Die Personaldecke in der Alten- und Krankenpflege ist viel zu knapp, die Entlohnung gerade in der Altenpflege bescheiden und die Arbeitsbedingungen belastend.“

Die Arbeitszeitverkürzung ist auf zunächst zwei Jahre befristet. Die Kosten belaufen sich nach Angaben von Geschäftsführer Sevecke auf „etwas über 500 00 Euro“ im Jahr. Beide Krankenhäuser beschäftigen derzeit rund 150 Pflegekräfte. Durch die Arbeitszeitverkürzung würden elf neue Stellen entstehen.

17 000 Patienten

Sevecke hob die Besonderheiten der Rotkreuz-Krankenhäuser hervor: Sie seien „inhabergeführt“ und gehörten den Schwestern. Es handele sich um „Hybrid-Krankenhäuser“, die den Belegärzten die Möglichkeit bieten, ihre Patienten selbst zu operieren. Außerdem gebe es eigene Chefärzte. Die Kliniken haben 365 Betten und 500 Beschäftigte und versorgen jährlich rund 17 000 Patienten.

(ft,dpa)

Kommentar von Sören Rabe: 

Für Gewerkschaftler ist diese Nachricht ein Paukenschlag: Die Rotkreuz-Kliniken führen die 35-Stunden-Woche für Pflegekräfte ein. Ohne Wenn und Aber, bei vollem Lohnausgleich. Ein Traum.

Seit den 1970er Jahren kämpfen deutsche Gewerkschaften für eine Reduzierung der Arbeitszeit auf 35 Stunden in der Woche, getan hat sich aber nur wenig. Ganz im Gegenteil versuchen Arbeitgeber, tarifliche geregelte, kürzere Arbeitszeiten zu umgehen, in dem sie ihre Mitarbeiter einfach in neugegründeten Firmen einstellen, die nicht tariflich gebunden sind und dort eine 40-Stunden-Woche festlegen. In Frankreich gilt die 35-Stunden-Woche schon seit 16 Jahren, aber auch dort finden Arbeitgeber Schlupflöcher, um sie zu umgehen.

Da ist es eine Wohltat, von einem Arbeitgeber zu hören, der die Arbeitszeiten zum Wohle seiner Mitarbeiter (und der Patienten) reduziert. Gerade in der Pflege sind lange Arbeitszeiten und Überstunden die Regel. Bleibt zu hoffen, dass die Rotkreuz-Kliniken jetzt eine Vorreiterrolle einnehmen, an die sich andere ein gutes Beispiel nehmen.

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