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Wirtschaft Teures Gesundheitssystem

Nur „systemrelevante“ Kliniken sollen überleben

Korrespondent Europäische Wirtschaft
AOK-Chef hält jede vierte Klinik in Deutschland für überflüssig

Jede vierte Klinik in Deutschland sei nicht notwendig und könnte geschlossen werden, diagnostizierte AOK-Chef Martin Lietzsch. Ökonomen fordern bereits seit Jahren, Kliniken sterben zu lassen.

Quelle: WELT/ Laura Fritsch

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Deutschland hat eines der teuersten Gesundheitssysteme weltweit. Ökonomen monieren, dass Patienten trotzdem schlechtere Leistungen bekommen als anderswo. Jetzt sollen Kliniken durch Wettbewerb zum Aufgeben gezwungen werden.

Ausgerechnet in der Weihnachtswoche verärgerte der AOK-Chef Martin Litsch die Krankenhausärzte hierzulande: Jede vierte Klinik in Deutschland sei überflüssig und könne geschlossen werden, diagnostizierte der Kassen-Manager. Er stieß damit in eine offene Wunde: Kurz zuvor hatten bereits führende Ökonomen gefordert, Krankenhäuser zu schließen.

Die Diskussion um die Zukunft der Krankenhäuser hierzulande dreht sich seit Jahren im Kreis: Kassen und Ökonomen fordern regelmäßig, Kliniken sterben zu lassen, um die Kosten für Krankenversicherte zu senken und schlechte Abteilungen auszusieben. Krankenhausverbände, Kommunen und Bundesländer wehren sich allerdings mit Vehemenz gegen die unpopulären Schließungen.

Der jüngste Beitrag zu der langjährigen Debatte: Die Unternehmensberatung PwC fordert, „systemrelevante“ Kliniken zu identifizieren und nur diese künftig vor Schließungen zu schützen. Alle anderen Häuser sollen gezwungen sein, sich im Wettbewerb zu behaupten – und bei Verlusten letztlich zu schließen.

Quelle: Infografik WELT

Als systemrelevant sollen dabei jene Kliniken gelten, die notwendige Gesundheitsleistungen erbringen und in einem Entfernungsradius, der von der Bevölkerung als akzeptabel betrachtet wird, keine Wettbewerber haben. Als akzeptabler Umkreis gilt den Beratern ein Radius von 30 bis 50 Kilometern – je nach Spezialisierungsgrad der Gesundheitsleistung.

„Für diese Einrichtungen besteht die Annahme, dass es sich um hoheitliche Aufgaben erfüllende Einrichtungen handelt, die der Daseinsvorsorge dienen“, schreiben die Berater in der noch unveröffentlichten Analyse „Das deutsche Gesundheitswesen auf dem Prüfstand“. Das Papier liegt WELT vor.

Der Markt soll die Kliniklandschaft bereinigen

Solche Einrichtungen sollen auch künftig vor Schließungen geschützt sein: Wenn die Häuser Verluste machen, sollen sie weiterhin durch öffentliche Gelder gestützt werden. Alle anderen Einrichtungen müssten sich aus eigener Kraft am Markt behaupten, ohne dass Kommunen oder Bundesländer ihre schützende Hand über die Häuser halten.

Die Berater hoffen, dass dadurch ein Sterben von Kliniken in Gang gesetzt wird: „Dies würde eher Ballungszentren und Großstädte betreffen, da es in diesem Umfeld meist Wettbewerber gibt“, heißt es in dem Papier. „Hier, meinen wir, könnte ein Wettbewerb durchaus gesund sein, zumal es für die Versorgungssicherheit der Bevölkerung keine Gefahr darstellt, wenn unrentable Krankenhäuser in einem Gebiet mit hoher Klinikdichte schließen.“

Quelle: Infografik WELT

Tatsächlich geht es bei der Diskussion um Überkapazitäten und verzichtbare Häuser in der Regel nicht um Krankenhäuser auf dem platten Land, sondern um Einrichtungen in Ballungszentren wie dem Rhein-Main-Gebiet. Dort, wo viele Gemeinden auf engem Raum nebeneinander liegen, gibt es in der Regel auch viele Krankenhäuser. Das Statistische Bundesamt zählte im Jahr 2017 bundesweit 1942 Krankenhäuser.

Die Kliniken wehren sich gegen solche Forderungen, wie sie zuletzt von Kassenchef Litsch kamen: „Alleine die ambulante Notfallversorgung, die Situation der Geburtshilfe und die Überlastungen in den Hauptzeiten der Grippewelle zeigen doch sehr deutlich, dass flächendeckend Krankenhäuser dringend gebraucht werden, um die Daseinsvorsorge sicherzustellen“, sagte Georg Baum, der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG).

Zweigeteilte Finanzierung sichert praktisch alle Krankenhäuser

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Bisher sorgt eine zweigeteilte Finanzierung der Krankenhäuser dafür, dass hierzulande praktisch keine Häuser geschlossen werden: Die Krankenkassen finanzieren mit den Beiträgen der Versicherten die laufenden Betriebskosten der Krankenhäuser, also alle Kosten, die für die Behandlung von Patienten entstehen.

Die Investitionen der Häuser werden hingegen durch die Bundesländer finanziert. Deshalb entscheiden die Länder darüber, wo ein Krankenhaus gebaut wird, wo ein bestehendes Haus ausgebaut oder ein anderes geschlossen wird.

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Diese doppelte Finanzierung sorgt nicht nur regelmäßig für einen Konflikt darüber, wer bestimmte Leistungen oder Investitionen bezahlen muss. Sie ist auch verantwortlich dafür, dass hierzulande praktisch keine Kliniken geschlossen werden.

Politiker in Ländern und Kommunen sind in der Regel überzeugt davon, dass Wähler es ihnen verübeln, wenn die Klinik vor Ort zumacht. Die Berater von PwC plädieren denn auch dafür, dass die Krankenkassen künftig die gesamte Finanzierung der Krankenhäuser übernehmen. Solch ein Schritt gebe denjenigen, die für Krankenhausleistungen zahlen, mehr Kontrolle über die Versorgung.

Deutsches Gesundheitssystem teuer, aber mittelmäßig

Die Finanzierung der Krankenhausinvestitionen durch die Bundesländer gilt als eine Ursache dafür, dass Deutschland im internationalen Vergleich überdurchschnittlich gut versorgt ist: Laut der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gibt es in keinem Land der EU so viele Krankenhausbetten pro Einwohner wie in der Bundesrepublik. Laut der jüngsten Erhebung kommen hierzulande auf 1000 Einwohner 8,1 Betten. In der gesamten EU sind es im Schnitt nur 5,1 Betten.

Allerdings zeigen die Daten der OECD regelmäßig, dass das deutsche Gesundheitswesen trotz sehr hoher Ausgaben und üppiger Versorgung nur mittelmäßige Ergebnisse liefert: Die Lebenserwartung etwa ist nur durchschnittlich im Vergleich mit anderen Industrieländern. Gängige Erkrankungen endeten häufiger mit dem Tod als in anderen wohlhabenden Ländern.

Quelle: Infografik WELT

Experten machen dafür paradoxerweise auch die große Zahl von Krankenhäusern hierzulande verantwortlich. Gerade bei Operationen und komplexen Behandlungen wie Chemotherapien spielt neben der Expertise auch die Routine eine Rolle: Je häufiger ein bestimmte Behandlung durchgeführt werde, desto besser seien die Ergebnisse.

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Wenn sich die Patienten allerdings auf viele Häuser verteilen, fehlt den Behandlern häufig die nötige Routine. Deswegen schreibt der Gesetzgeber inzwischen für bestimmte Arten von Eingriffen Mindestmengen vor: Führen die Kliniken diese Eingriffe nicht häufig genug durch, dürfen sie nicht mehr über die gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet werden.

Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen und die sogenannten Wirtschaftsweisen haben jüngst in separaten Gutachten darauf gedrängt, hierzulande Überkapazitäten im Gesundheitswesen abzubauen. Beide Gremien forderten zudem unabhängig voneinander, dass die Investitionskosten nicht wie bislang von den Ländern, sondern von den Krankenkassen finanziert werden sollten. Solch ein Schritt mache die Planung der Kapazitäten unabhängig von Wahlkämpfen und anderen politischen Erwägungen.

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