Mit den Attributen „Schnellschüsse, Nebelkerzen“  belegt Christopher Hermann, Vorstandschef der AOK Baden-Württemberg, die Aktionen von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Und der 63-Jährige erklärt präzise, weshalb er wenig von den Gesetzesvorhaben mit den sperrigen Namen hält. Sie würden die Versorgung der Patienten  nicht bessern, dem Pflegenotstand in Kliniken oder dem Fehlen von Ärzten im ländlichen Raum nicht wirklich abhelfen. Im Gegenteil. Dabei gebe es genug Baustellen im Gesundheitswesen, die dringend auf Lösungen warten.
Zugang zu Arztpraxen Das geplante Terminservice- und Versorgungsgesetz verspricht Kassenpatienten, schneller einen Termin vor allem bei Fachärzten zu bekommen. Hermann schließt zwar nicht aus, dass dies durch das Paragraphenwerk gelingen kann. Doch jeder Arztbesuch setze ein Grundvertrauen von Krankem und Behandler voraus. Wenn der Termin aber zu einem Mediziner führe, der den Patienten „noch nie gesehen hat, der nicht weiß, was mit ihm los ist“, würde die Behandlung nicht verbessert.  „Da hat Herr Spahn eine Nebelkerze gezündet und gaukelt eine bessere Versorgung vor“, sagt Hermann beim Pressegespräch in Ulm.
Als Alternative sieht der AOK-Chef die Verträge mit Allgemein- und Fachärzten, die seine Kasse geschlossen habe. Da erhielten die Versicherten innerhalb von 14 Tagen ziemlich zuverlässig einen Termin. Dies würde den Medizinern extra honoriert und die Behandler des Kranken wüssten über die veranlassten Maßnahmen Bescheid.
Mehr Pflegekräfte Als „schräge Entwicklung“ bezeichnet der AOK-Chef das Pflegepersonalstärkungsgesetz und die Vorschriften über Personaluntergrenzen in Kliniken, das zunächst für die Notfallversorgung, die Kardiologie und die Geriatrie gelte. Er räumt ein, dass es gewiss kein leichtes Unterfangen sei, festzulegen, wie viele ausgebildete Pflegekräfte  auf einer Station mit Herz- oderAlterserkrankungen tags und nachts notwendig seien. In den Kliniken die Zahl der Schwestern oder Pfleger zu zählen und nach dem am schlechtesten ausgestatteten Viertel der Häuser einen Schnitt zu machen, um allen Einrichtungen einen Personalschlüssel vorzuschreiben, hält Hermann aber für bedenklich.
Kosten Die Folgen der Spahnschen Vorgaben beziffert Hermann für die gesetzliche Krankenversicherung auf mindestens fünf Milliarden Euro. Dem stünden Rücklagen der Kassen in Höhe von 2,5 Milliarden Euro gegenüber. Trotz des Kostenschubs habe die AOK den Betrag um 0,1 Prozentpunkte gesenkt. Bei einem Bruttolohn von 3000 Euro seien das nur 1,50 Euro im Monat. „Dafür kriegen Sie kein Schnitzel“, merkt er an und fügt hinzu, die AOK koste dies 90 Millionen Euro. Er verspricht, die Beiträge 2020 und wohl auch 2021 stabil halten zu können. Ohne Namen zu nennen verkneift sich Hermann nicht die Bemerkung, dass dies wohl nicht allen Mitbewerbern gelingen dürfte.
Paritätischer Beitrag Dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer  sich seit Januar nicht nur die Versichertenbeiträge, sondern auch den Zusatzbeitrag teilen, hält der Südwest-AOK-Chef für akzeptabel. Natürlich hätten die Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat der fünfgrößten deutschen Krankenkasse nicht Hurra geschrien. Positiv findet er, dass sie sich aber nach Jahren, in denen die Zusatzbeiträge allein von den Beschäftigten finanziert wurden, jetzt wieder intensiv in die Debatte um ein effizientes Gesundheitssystem einmischten.
Sorgen machen dem AOK-Chef im Land die stark steigende Zahl der Rettungseinsätze und Krankenfahrten. Dass es Sanitätern nicht überall im Land gelingt, in den vorgeschriebenen 15 Minuten da zu sein, scheitere oft an fehlendem Personal. Es müsse zudem dafür gesorgt werden, Rettungsfahrzeuge nicht für Krankenfahrten zu nutzen. Hermann schlägt vor, die 32 Rettungsleitstellen im Land stärker zu zentralisieren, um sie mit modernster Technik auszustatten. Dann könnten Leerfahrten vermieden werden. Dringend benötigt würden mehr Notärzte und Rettungssanitäter.
Die Südwest-AOK unterstützt auch die Forderung, Krankenhäuser zu schließen. Zentralisierung um ihrer selbst willen, dürfe dabei nicht das Ziel sein, sagt Hermann. Aber in Regionen Kliniken vorzuhalten, die gleiche Leistungen anböten, sei unter für eine qualitativ hochwertige  und effiziente Versorgung der Patienten zu kostspielig. Es fehlten dafür überdies die erforderlichen Ärzte und Pflegekräfte.

Zahnspangen werden weiter bezahlt

Die AOK Baden-Württemberg will an der Finanzierung der Zahnspangen für Kinder und Jugendliche festhalten. Bisher gebe es keine eindeutigen Forschungsergebnisse, um diese kieferorthopädische Regulierung aus dem Leistungskatalog zu streichen, sagt Christopher Hermann, seit Oktober 2011 Vorstandschef der größten Krankenkasse in Baden-Württemberg. Er betont auch den sozialen Aspekt, wenn die Spangen nicht mehr finanziert würden. Dann könnten sich diese nur noch Wohlhabendere leisten. Das könne nicht Sinn und Zweck des Solidarsystems sein. fm