S 4 KR 21/16

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 4 KR 21/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird die Behandlung eines Tumors eingestellt, weil keine Aussicht auf Heilung besteht, und der Patient „nur“ noch palliativ behandelt, scheidet der Malignom-Kode gemäß DKR 0201 als Hauptdiagnose aus, wenn der Patient wegen Verschlechterung des Allgemeinzustandes stationär behandelt wird. Die Hauptdiagnose ist in diesem Fall nach den allgemeinen Regeln gemäß DRK 002 zu bestimmen.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.918,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 28. Oktober 2015 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin behandelte in dem von ihr betriebenen Medizinischen Zentrum A. den bei der Beklagten krankenversicherten und im Zeitpunkt der Aufnahme 62 Jahre alten D. D. (im Folgenden nur: Versicherter) in der Zeit vom 15. bis 26. April 2015 im Rahmen eines stationären Aufenthalts. Mit Datum vom 16. Juli 2015 stellte sie der Beklagten für diese Behandlung auf der Basis der DRG K60B einen Gesamtbetrag von 6.258,88 EUR in Rechnung. Die Beklagte glich den Rechnungsbetrag zunächst aus, verrechnete aber am 27. Oktober 2015 einen Teilbetrag in Höhe der hiesigen Klageforderung mit einer anderen Vergütungsforderung der Klägerin. Dies basierte auf der Einschätzung des von der Beklagten beauftragten MDK, dass für die Ermittlung der abzurechnenden DRG anstelle der von der Klägerin verschlüsselten Hauptdiagnose (HD) E14.91 ICD-10 Nicht näher bezeichneter Diabetes mellitus: Ohne Komplikationen: Als entgleist bezeichnet die HD C22.1 ICD-10 Intrahepatisches Gallengangskarzinom hätte kodiert werden müssen; eine Begründung hierfür gibt der MDK jedoch nicht, sondern der Gutachter stellt lediglich einen Dissens mit den behandelnden Ärzten des klägerischen Krankenhauses fest.

Mit Schriftsatz vom 28. Januar 2016, der am selben Tag bei dem Sozialgericht Fulda eingegangen ist, hat die Klägerin Klage erhoben und verfolgt ihr Vergütungsbegehren weiter. Zur Begründung führt sie aus, dass der Versicherte nach seinem früheren Aufenthalt im Hause der Klägerin seit dem 18. März 2015 in einer speziellen ambulanten Palliativversorgung (SAPV) betreut worden sei. Dabei habe er sich so weit erholt, dass diese habe pausieren können. Vor dem dann hier streitgegenständlichen Aufenthalt sei es zu einer Befundverschlechterung insbesondere bezüglich des Allgemeinzustands gekommen. Bei Aufnahme hätten sich ein ausgeprägter Pleuraerguss sowie Blutzuckerwerte über 700 mg/dl gefunden. Daher habe zunächst eine Punktion des Pleuraergusses stattgefunden, um die Atembeschwerden zu reduzieren.

Der entgleiste Blutzucker sei zunächst einen Tag lang in intensiv-medizinischer Behandlung therapiert worden, verbunden mit begleitender Infusionstherapie. Nach kurzzeitiger Verschlechterung und anschließender eingeschränkte Erholung sei der Versicherte am 26. April 2015 verstorben. Er sei letztlich als Palliativpatient mit weit fortgeschrittenem Karzinom aufgenommen worden. Für die Verschlechterung seines Allgemeinzustandes habe der entgleiste Diabetes mellitus als eindeutige Ursache festgestellt werden können, der entgegen dem gewöhnlichen Procedere einer intensiv medizinischen Behandlung habe zugeführt werden müssen. Ohne den Diabetes wäre eine stationäre Aufnahme nicht erforderlich gewesen, vielmehr hätte zu Hause die SAPV fortgesetzt werden können. Auch die DKR 0201n stehe der Kodierung des Diabetes mellitus als HD nicht entgegen.

Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.918,98 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28. Oktober 2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist sie auf die vorprozessuale Stellungnahme des MDK, der die Patientenakte im Krankenhaus der Klägerin eingesehen habe. Weiterhin führt sie aus, dass die DKR 0201 nicht allein auf die unmittelbare Behandlung des primären Tumors verweise, sondern ebenso auf nötige Folgebehandlungen. Im streitgegenständlichen Fall sei der Versicherte bei fortgeschrittener Tumorerkrankung zur Linderung der im Kontext des Tumors aufgetretenen Folgesymptome explizit einer palliativmedizinischen Komplexbehandlung zugeführt worden. Wegen des Zusammenhangs mit diesem Primärtumor sei auch für den vorliegenden Aufenthalt dieser Tumor als Hauptdiagnose anzusehen.

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet; die Klägerin hat Anspruch auf die geltend gemachte weitere Vergütung.

1. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Vergütungsanspruchs der Klägerin ist § 109 Abs. 4 S.3 SGB V i. V. m. § 7 S. 1 Nr. 1 KHEntgG sowie der Vertrag über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen. Nach Rechtsprechung des BSG in früheren Jahren entsteht die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme einer Leistung durch den Versicherten (BSGE 86, 166, 168 = SozR 3-2500 § 112 Nr. 1, BSGE 90, 1, 2 = SozR 3.2500 § 112 Nr. 3). Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser i. S. des § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber, der nach Maßgabe des Krankenhausfinanzierungsgesetzes, des KHEntgG und der Bundespflegesatzverordnung in der zwischen den Krankenkassen und dem Krankenhausträger abzuschließenden Pflegesatzvereinbarung festgelegt wird. Die Höhe der einem Krankenhaus zustehenden Vergütung wird durch die abzurechnende DRG (Fallpauschale) bestimmt, die wiederum von den zu kodierenden Diagnosen abhängig ist (zu den Einzelheiten s. BSG, SozR 4-2500 § 109 Nr. 11, sowie Urteil v. 25.11.2010 – B 3 KR 4/10 R – juris Rn. 13).

Gemessen an diesen Maßstäben hat die Klage Erfolg, weil die Klägerin den streitgegenständlichen Aufenthalt zutreffend im Rahmen des Groupings verschlüsselt hat.

a) Entscheidend für in Klageerfolg ist die Beurteilung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Frage, welche Hauptdiagnose für den vorliegenden Behandlungsfall zugrundezulegen ist. Hierzu sind die Deutschen Kodierrichtlinien für das Jahr 2015 heranzuziehen, die insoweit speziell für Neubildungen unter dem Abschnitt 0201n Vorschriften enthalten. Diese lauten (Hervorh. im Original):

"Der Malignom-Kode ist als Hauptdiagnose für jeden Krankenhausaufenthalt zur Behandlung der bösartigen Neubildung und zu notwendigen Folgebehandlungen (z.B. Operationen, Chemo-/Strahlentherapie, sonstige Therapie) (siehe Beispiel 2) sowie zur Diagnostik (z.B. Staging) (siehe Beispiel 3) anzugeben, bis die Behandlung endgültig abgeschlossen ist, also auch bei den stationären Aufenthalten, die beispielsweise auf die chirurgische Entfernung eines Malignoms folgen. Denn obwohl das Malignom operativ entfernt worden ist, wird der Patient nach wie vor wegen des Malignoms behandelt."

Dem schließt sich der zentrale Satz an:

"War der Aufnahmegrund weder die maligne Erkrankung noch die Chemo-/Strahlentherapie, so ist die Hauptdiagnose gemäß DKR D002 Hauptdiagnose (Seite 4) zu wählen."

Im streitgegenständlichen Fall war die Krebserkrankung des Versicherten doch so weit fortgeschritten, dass eine Behandlung des ursprünglichen Karzinoms längst beendet war. Er befand sich nur noch in rein palliativer Behandlung. Aufnahmeanlass war die Verschlechterung des Allgemeinzustandes und vor allem sicher die Atemnot und der Diabetes mellitus. Hier wurde zur Erleichterung der Dyspnoe eine Punktion des Pleuraergusses vorgenommen. Dies hat mit der Behandlung des Tumors nichts zu tun. Chemo-/Strahlentherapie lag erst recht nicht vor. Das Malignom kann daher nicht HD sein (vgl. hierzu auch Zaiß, in: ders. [Hrsg.], DRG: Verschlüsseln leicht gemacht, 14. Aufl. 2016, S. 144 f.).

b) Soweit die Beklagte meint, dass bei einem "diffus metastasierenden Tumorleiden" die Behandlung der Erkrankung im Sinne der vorbezeichneten DKR erst mit dem Tod des Patienten ende, schließt sich die Kammer dem nicht an.

Dann hätte nämlich das Beispiel 9 zu DKR 0201n keinen Anwendungsfall. Es lautet (Hervorh. im Original):

"Beispiel 9
Ein Patient, bei dem drei Monate vorher ein großer, mehrere Bereiche überlappender maligner Gehirntumor diagnostiziert wurde, wird wegen rezidivierender Krampfanfälle aufgenommen. Es werden nur die Krampfanfälle behandelt.

Hauptdiagnose: R56.8 Sonstige und nicht näher bezeichnete Krämpfe
Nebendiagnose(n): C71.8 Bösartige Neubildung des Gehirns, mehrere Teilbereiche überlappend"

Hier ist der Tumor offensichtlich noch vorhanden und der Patient nicht tot. Trotzdem sind die Krampfanfälle (als Folgen/Symptome des Tumors) die HD. Insbesondere kann ein verschlechterter Allgemeinzustand infolge der Erkrankung nicht generell dazu führen, dass die Tumorerkrankung Hauptdiagnose bleibt.

Dies entspricht auch dem von der Beklagten in Bezug genommenen Kodierleitfagen der DGHO. Hier heißt es:

"4.6.2 Symptombehandlung
Wird ausschließlich die Symptomatik eines bekannten Tumors stationär behandelt, nicht aber der Tumor selbst, ist das Symptom die Hauptdiagnose und der Tumor Nebendiagnose.
[D002f]
Beispiele:
• Behandlung von Krampfanfall bei Gehirntumor
• Punktion von Aszites bei Ovarialkarzinom
Dies entspricht auch der Klarstellung des Bundesschlichtungsausschusses zur Kodierung bei Folgen einer Tumorbehandlung (siehe oben)."

Dass der Tumor des Versicherten selbst noch behandelt worden wäre, hat weder die Beklagte dargelegt, noch ist dies für das Gericht anderweitig ersichtlich.

c) Weiterhin führt auch der Bundesschlichtungsausschuss in dem von der Beklagten zitierten Beschluss vom 4. Juli 2016 aus:

"Voraussetzung für die Anwendung der Auslegungsregel ist zunächst, dass zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme des Patienten bei ihm eine Malignom-Erkrankung bekannt und die bei ihm durchgeführte Malignom-Behandlung noch nicht endgültig abgeschlossen ist. Nur in dieser Fallkonstellation kann sich die diskutierte Ausgangsfrage stellen, denn ausweislich der Speziellen Kodierrichtlinien DKR 0201 ist der Malignom-Kode als Hauptdiagnose für jeden Krankenhausaufenthalt zur Behandlung der bösartigen Neubildung und zu notwendigen Folgebehandlungen sowie zur Diagnostik anzugeben, bis die Behandlung endgültig abgeschlossen ist. Ist somit die Malignom-Erkrankung noch nicht bekannt oder ist die Malignom-Behandlung bereits endgültig abgeschlossen, richtet sich die zu kodierende Hauptdiagnose nicht nach dieser Auslegungsregel."

Aus dieser sicherlich zutreffenden Passage am Schluss folgt, dass es auf die DKR 0201 dann nicht mehr ankommt, wenn die Malignom-Behandlung abgeschlossen ist; sei es, weil Heilung erreicht wurde, sei es, weil weitere Therapie keine Aussicht mehr auf Erfolg verspricht und sie deshalb beendet wird. Letzteres lag aber doch offenbar bei dem Versicherten vor, der nur noch palliativer Versorgung unterzogen wurde.

d) Für die Kammer steht daher fest, dass entsprechend der zuvor zitierten Kodierrichtlinien "Aufnahmegrund weder die maligne Erkrankung noch die Chemo-/Strahlentherapie" war, so dass die Grundregel für die HD-Bestimmung, nämlich D002f der DKR, zur Anwendung kommen muss, die lautet:

"Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Patienten verantwortlich ist.”

In Betracht kommt hier sowohl der Diabetes mellitus wie auch der Pleuraerguss, der zur schweren Atemnot des Versicherten führte. Damit kommen zwei oder mehr Diagnosen als HD in Betracht, so dass entsprechend der DKR zu verfahren ist wie folgt:

Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersuchungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behandelnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwählen, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat. Hierbei ist es unerheblich, ob die Krankheiten verwandt sind oder nicht.

Insofern schließt sich die Kammer der Argumentation der Klägerin an, die wegen der intensiv-medizinische Behandlung, die in Bezug auf den Diabetes mellitus erforderlich wurde, diesbezüglich den höheren Ressourcenverbrauch annimmt, so dass nicht der Pleuraerguss, sondern der Diabetes mellitus und somit die Diagnose E14.91 ICD-10 als Hauptdiagnose zu bestimmen ist. Genau dies hat die Klägerin getan, so dass sich die Bestimmung der die DRG K60B als zutreffend erweist. Dementsprechend kann die Klägerin die vollständige Vergütungssumme aus der Rechnung vom 16. Juli 2015 verlangen. Folglich stand der Beklagten insoweit auch kein diesbezüglicher öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch zu, so dass die Aufrechnungserklärung vom 27. Oktober 2015 ins Leere ging.

2. Der Zinsanspruch folgt aus § 10 Abs. 5 des Vertrages über die Bedingungen der Krankenhausbehandlung nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V für das Land Hessen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 197a SGG.
Rechtskraft
Aus
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