Zusammenfassung
Die Entwicklung des Gesundheitswesens in Deutschland stößt zunehmend an personelle und ökonomische Grenzen. Ein gesellschaftlicher Konsens und ein politisches Konzept, an welcher Stelle Schwerpunkte gefördert werden und für welche Leistungen das Geld vornehmlich ausgegeben werden soll, existiert in der Breite nicht. Sobald sich abzeichnet – und das ist jetzt! – dass die Ressourcen begrenzt sind, muss eine Priorisierung greifen, um die alternativ drohende Rationierung von Leistungen zu vermeiden. Das Ziel einer Priorisierung ist es, die vorhandenen, jedoch beschränkten Ressourcen rational und damit optimal zu nutzen. Medizinischer Fortschritt und der Bezug auf die demografische Entwicklung sind dabei die Stellgrößen. Die individuelle Versorgung des Patienten, seine Bedürftigkeit, seine Abhängigkeit von dem Zugang zu einer Behandlung sind die Grundlagen ethischen Handelns und müssen für Ärzte und für die Pflege – schließlich sind sie im komplexen Gesundheitswesen die Anwälte der Patienten – im Mittelpunkt stehen. Zugleich muss ungerechtfertigtes Anspruchsdenken zurückgewiesen werden, ebenso wie eine fachliche Besitzstandswahrung. Effizienz und wirtschaftliche Betrachtung in Diagnostik und Behandlung schließen sich nicht aus. Der Arzt versteht sich als Mittler zwischen den Ansprüchen der zu versorgenden Patienten, deren Realisierung für das Individuum und den vorhandenen Ressourcen im Gesundheitssystem.
Abstract
The development of the healthcare system in Germany is increasingly approaching human and economic limits. A social consensus and a political concept at which point priorities are promoted and for which services the money should be primarily spent, do not exist on the whole. As soon as it becomes clear that resources are limited and that is now, prioritization has to be introduced to avoid the alternative threat of rationing of treatment benefits. The goal of prioritization is to rationally and optimally use the existing but limited resources. Medical progress and the relationship to the demographic development are the variables in the future. The individual care of the patient, patients’ needs and dependence on access to treatment are the foundations of ethical actions. They must be at the center of attention for doctors and nurses because, after all they are the patient’s advocates in the complex healthcare system. At the same time, unjustified claims for entitlement must be rejected just as a preservation of vested rights. Efficiency and economic considerations in diagnostics and treatment are not mutually exclusive. The physician acts as a mediator between the claims of the patient to be treated, the individual realization and the existing resources in the healthcare system.
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Roesgen, M., Bertram, E., Grafe, S. et al. Priorisierung oder unbegrenzte Ressourcen in Orthopädie und Unfallchirurgie?. Unfallchirurg 122, 490–494 (2019). https://doi.org/10.1007/s00113-019-0652-6
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00113-019-0652-6
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- Priorisierung vs. Rationierung
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