1. Startseite
  2. Lokales
  3. Göttingen
  4. Göttingen

Pflegedirektorin: Belastung für Pflegekräfte in Kliniken ist groß

KommentareDrucken

Pflege: Die Arbeit als Pflegekräft – wie hier in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) – kann Spaß machen. Aber auch Verantwortliche kennen die Probleme wie Überbelastung, Personalmangel und eingeschränkte Aufgaben. 
Pflege: Die Arbeit als Pflegekräft – wie hier in der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) – kann Spaß machen. Aber auch Verantwortliche kennen die Probleme wie Überbelastung, Personalmangel und eingeschränkte Aufgaben. © UMG/nh

An der Uni-Medizin Göttingen (UMG) arbeiten 2300 Menschen in der Pflege. Wir sprachen mit der Pflegedirektorin Helle Dokken über Belastungen, Chancen und Ausbildung.

Frau Dokken, Sie sind Norwegerin, haben dort und in Deutschland in der Pflege gearbeitet. Was macht die Bedingungen dort besser als in Deutschland?

Zunächst einmal: In Deutschland kommen im internationalen Vergleich in Europa auf einen Pfleger die meisten Patienten. Das geht nicht, da müssen wir uns mindestens ins Mittelfeld hineinarbeiten. In Norwegen ist die Pflege-Patienten-Ratio eine andere: ausgebildete Gesundheits- und Krankenpfleger betreuen weniger als die Hälfte der Patienten – verglichen mit unseren Verhältnissen. In Norwegen ist der Handlungsspielraum für einen Pflegenden viel größer. Die Gründe dafür liegen nicht nur in der akademischen Ausbildung.

In Deutschland dürfen Pfleger also weniger?

Die Tätigkeiten sind beschränkter und immer wieder umstritten. Im Anbetracht der steigenden Anzahl der Pflegebedürftigen, stelle ich mir die Frage ob wir unter diesen Bedingungen die pflegerisch anspruchsvollen Leistungsangebote im Krankenhaus wie bisher weitermachen können?

Was ist nötig, damit das möglich ist?

Mir scheint insgesamt ein neues Denken in allen Ebenen der Leitungserbringung erforderlich. Das neue Pflegeberufegesetz ist ein Fortschritt, weil es Vorbehaltsaufgaben definiert, die nur von ausgebildeten Pflegefachkräften ausgeführt werden dürfen. Daraus resultiert eine höhere Anerkennung und Wertschätzung des Berufes. Ich bin auch für eine fest etablierte Selbstvertretung der Pflegenden, wie durch die Pflegekammer Niedersachsen. Diese Einrichtungen sind in Norwegen selbstverständlich, nicht umstritten und stärken die Rolle des Berufes immens.

Pflegedirektorin: Helle Dokken. 
Pflegedirektorin: Helle Dokken. © UMG/nh

Ist die Pflege als Beruf in Norwegen besser angesehen als in Deutschland?

Ganz klar: Ja. Wir müssen deshalb daran arbeiten den Beruf attraktiver zu machen. Dazu gehört die systematische Förderung zur Weiterbildung und Studienangebote. In Göttingen gibt es den Gesundheitscampus, der die Studienmöglichkeiten in Gesundheitsberufen bündelt. Auch verfügt die UMG über die Bildungsakademie, die Fachweiterbildungen anbietet. Darauf setzen wir, um eigenen Nachwuchs für die UMG, Südniedersachsen und die Region zu generieren.

Haben junge Leute überhaupt noch Interesse am harten Pflegeberuf?

Ja. Es gibt viele Interessierte. Aber: Neben den Ausbildungsmöglichkeiten muss – wie gesagt – der Beruf so attraktiv sein, dass die Menschen im Beruf und auch am Arbeitsort Klinikum bleiben.

Was tun sie an der Uni-Klinik dafür?

Natürlich muss eine angemessene Bezahlung sein - auch die Arbeit zu ‘unattraktiven‘ Arbeitszeiten. In einer internen Befragung kam heraus, dass die UMG-Pflegekräfte sich neben ausreichend Personal vor Ort eher eine größere Wertschätzung und bessere Arbeitsbedingungen wünschen – weniger Nacht- und Wochenenddienste, eine höhere Flexibilität, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine sichere Freizeit. Die Belastung ist groß, diese Wünsche sind das Resultat darauf.

Der Schlüssel aber ist das Personal: Sie benötigen mehr Pflegekräfte..

Pflege ist definitiv sehr personalintensiv. Wir brauchen mehr Fachkräfte und schauen uns deshalb als Alternative im Ausland um. Im Sommer werden vierjährig-ausgebildete Kräfte von den Philippinen zu uns kommen. Wir arbeiten mit Unternehmen zusammen, die vor Ort den Kontakt herstellen. 737 zeigten in Italien Interesse, 36 waren nach einer Vorauswahl bei uns, haben sich Stadt und Klinik angeschaut. 26 haben danach Verträge unterschrieben und lernen jetzt deutsch. Sie sollen im Herbst starten.

Nimmt man im Ausland die Pfleger weg? Schafft man dort Probleme?

Bei der Auswahl halten wir uns an die Regeln des globalen Verhaltenskodex der WHO für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften. Die Philippinen haben eine jahrzehntelange Tradition und Erfahrung bei der Vermittlung von Fachkräften. Wichtig für uns zudem: Sie müssen vor Einreise den Sprachtest bestehen. Ohne Sprache und Verstehen funktioniert Pflege nicht und es entstehen zu viele persönliche Probleme.

Dieser „Import“ ist aber letztlich keine Lösung des Fachkräfteproblems..

Richtig. Unser Augenmerk gilt zunächst den eigenen Mitarbeitern. Wir wollen sie binden und den Verbleib hier verlängern. Leider scheiden heute viel zu viele zu früh aus, reduzieren die Arbeitszeit oder halten nicht bis zur Rente durch. Eine bessere Organisation der Arbeit wie durch Digitalisierung im Krankenhaus und das Abarbeiten der Alltagsprobleme führen zu mehr Zufriedenheit und zu einer Bindung. Die notwendige Anwesenheit auf den unterschiedlichsten Stationen in der Klinik ist für uns eine wachsende Herausforderung. Einen Mitarbeiter in weniger Schichten einzuteilen, bedeutet Mehrbelastung für die Anderen. Doch es gibt Einige, die lieber unter der Woche frei haben und am Wochenende arbeiten.

Krankheitszeiten belasten die Gesunden umso mehr.

Auch an der UMG sind Pflegende im fortgeschrittenen Arbeitsalter. Daten zur Altersstruktur bestätigt dies: 31,2 Prozent der Pflegenden in Niedersachsen sind zwischen 51 und 60 Jahre alt. Wir müssen also Entlastung bieten. So gibt es Angebote im betrieblichen Gesundheitsmanagement, auch zur persönlichen Gesunderhaltung. Dazu müssen Mitarbeiter aber bereit sein. Oberstes Ziel ist, die pflegerische Versorgung der Patienten zu sichern. Dafür müssen wir alles tun.

Können Maschinen und Roboter Entlastung bieten?

Ich bin der Meinung, dass Pflegeroboter als technische Unterstützung – nicht als Ersatz – für Pflegekräfte und ohne großen Aufwand eingesetzt werden können. wie beim Transport von Verbrauchsmaterialien, was Laufwege spart, oder beim Aufrichten und der Mobilitätsunterstützung auf der Intensivstation, bei Rehabilitationsmaßnahmen und mehr. Die ersten Projekte bei uns sind geplant.

Die Pflege-Ausbildung wurde verändert. Welche Vor- und Nachteile gibt es?

Die veränderte und vereinheitlichte Ausbildung der drei Pflegefachberufe war notwendig für die ganzheitliche Betrachtungsweise der zu Pflegenden und passt sich geänderten Versorgungsstrukturen an. In den Kliniken werden zunehmend ältere und auch demenziell erkrankten Menschen versorgt. Um den Bedarfen gerecht zu werden sind andere Kompetenzen erforderlich.

Sind kürzer ausgebildete Pflegeassistenten eine wichtige Alternative?

Sie sind eine große Unterstützung in der täglichen Arbeit. Die Steuerung der Pflege muss durch Pflegefachkräfte erfolgen, ohne alle pflegerischen Tätigkeiten selbst übernehmen zu müssen. Insgesamt können so mehr Menschen einen Weg in die professionelle Pflege finden.

Was bewegt Sie als Pflegedirektorin der Uni-Klinik am meisten, ist die größte Herausforderung?

Es ist tatsächlich die Sicherstellung der pflegerischen Versorgung für unseren zu pflegenden Menschen heute und in der Zukunft an der Universitätsmedizin Göttingen. Das bewegt mich täglich. tko

Zur Person

Helle Dokken (50) wurde in Larvik (Norwegen) geboren. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach einer Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an der Städtischen Berufsfachschule für Krankenpflege in München 1991 und einem Anerkennungslehrgang mit Praktikum zur staatlich anerkannten Gesundheits- und Krankenpflegerin in Oslo 1992, studierte sie Pflegemanagement an der Katholischen Stiftungsfachhochschule in München. 2011 absolvierte Dokken einen berufsbegleitenden Master-Studiengang „Health Administration“ an der Universität Bielefeld.

Auch interessant

Kommentare