S 25 KR 711/13

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
25
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 25 KR 711/13
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
(1.) Bei in der Regel ambulant durchführbaren Eingriffen kann eine stationäre Aufnahme im Einzelfall auch wegen sozialer Faktoren im Sinne der G-AEP-Kriterien nach Anlage 2 des AOP-Vertrages, wie z.B. fehlende Kommunikationsmöglichkeit oder fehlende Versorgungsmöglichkeiten im Haushalt des Patienten, erforderlich sein (vgl. BSG, Beschluss vom 25.09.2007 - Az. GS 1/06 - juris Rn. 21).

(2.) Die Krankenkasse kann hiergegen nicht einwenden, dass die häusliche Betreuung durch häusliche Krankenpflege hätte abgedeckt werden können, wenn die notwendige häusliche Nachbetreuung des Patienten zum Zeitpunkt der Aufnahme bzw. der Operation tatsächlich nicht gesichert war. Aus den Vorschriften über das Entlassmanagement (§ 39 Absatz 1 Satz 4 und 5 SGB V, § 2 Absatz 2 KHEntgG) ergibt sich keine Obliegenheit des Krankenhauses zur Sicherstellung der häuslichen Nachbetreuung, um eine ambulante Durchführung der Behandlung zu ermöglichen, diese Regelungen gelten nur bei einer Entlassung aus stationärer Behandlung.

(3.) Die Entscheidung ist nach Rücknahme der Berufung zum SächsLSG - L 1 KR 182/15 - rechtskräftig.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.678,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.07.2013 zu zahlen. II. Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte. III. Der Streitwert wird auf 1.678,94 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Vergütung einer stationären Behandlung streitig.

Der bei der Beklagten Versicherte S. R., geboren 1990, befand sich vom 10.06.2011 bis zum 11.06.2011 zu einem stationären Aufenthalt in einem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus. Anlass für die Aufnahme war die planmäßige Operation einer Leistenhernie, die am 09.11.2011 durchgeführt wurde. Der Patient wurde ausweislich der Dokumentation in der Patientenakte der Klägerin stationär aufgenommen, da die postoperative Betreuung des alleinstehenden Patienten nicht gesichert war.

Unter dem 22.06.2011 übermittelte die Klägerin der Beklagten die Rechnung über den stationären Aufenthalt über 1.678,94 EUR abzüglich der durch den Patienten geleisteten Zuzahlung in Höhe von 20,00 EUR. Auf die Rechnung im Übrigen wird Bezug genommen (vgl. Bl. 7f der Gerichtsakte).

Die Beklagte beglich die Rechnung zunächst und veranlasste in der Folge eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Bayern (MDK) über die Frage, ob die stationäre Aufnahme indiziert gewesen sei. Der MDK schätzte in zwei Stellungnahmen ein, dass aus medizinischer Sicht die Notwendigkeit der stationären Aufnahme nicht nachvollziehbar sei, wies aber darauf hin, dass bei fehlender häuslichen Betreuung ein "F-Kriterium" vorliege, das medizinisch nicht bewertet werde. Die Beklagte forderte die Klägerin darauf hin auf, den Rechnungsbetrag zurück zu überweisen. Die Klägerin wandte dagegen in ihrem Widerspruchsschreiben ein, dass eine ambulante Operation bei fehlender häuslicher Betreuung nicht möglich gewesen sei.

Am 11.07.2013 verrechnete die Beklagte den gesamten Rechnungsbetrag gegen eine andere, unstreitige Vergütungsforderung der Klägerin.

Am 26.07.2013 hat die Klägerin Klage bezogen auf insgesamt vier verschiedene zwischen den Beteiligten umstrittene stationäre Aufenthalte erhoben. Am 19.01.2015 hat das Gericht von dem vorliegenden Verfahren, die Verfahrensbestandteile abgetrennt und als jeweils eigene Verfahren geführt, soweit sie die drei weiteren stationären Aufenthalte betrafen. Die Klägerin trägt zur Klagebegründung in dem vorliegenden Verfahren vor, dass die fehlende postoperative Versorgungsmöglichkeit in häuslicher Umgebung sowohl nach der maßgeblichen Leitlinie für ambulantes Operieren bzw. Tageschirurgie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (im Folgenden: Leitlinie) als auch gem. Anlage 2 Abs. 2b zu dem Vertrag nach § 115b Abs. 1 SGB V als Indikation für eine stationäre Durchführung der Operation angesehen wird. Dabei handele es sich auch um eine medizinischen Grund für die stationäre Durchführung der Operation, denn die postoperativen Komplikationsrisiken, deren Vermeidung sowie die Sicherstellung der angemessenen postoperativen Versorgung stellten medizinische Kriterien für die stationäre Durchführung der Operation dar. Die Beklagte hätte zumindest den Betrag, der für eine ambulante Operation hätte berechnet werden können, absetzen müssen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 1.678,94 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 12.07.2013 zu zahlen,

hilfsweise

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 625,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Stellungnahmen des MDK ist sie der Ansicht, dass aus medizinischer Sicht eine stationäre Behandlung nicht erforderlich gewesen sei. In seinem Beschluss vom 25.09.2007 zum Az. GS 1/06 habe der Große Senat des BSG entschieden, dass es sich allein nach medizinischen Erfordernissen richte, ob einem Patienten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren sei. Die Krankenkasse schulde nur dann vollstationäre Krankenhausbehandlung, wenn der Gesundheitszustand des Patienten dies aus medizinischen Gründen erfordere. Soziale Erwägungen allgemeiner Art oder familiäre Umstände könnten einen Anspruch auf stationäre Krankenhausbehandlung nicht begründen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitverhältnisses wird gemäß § 136 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze verwiesen. Die Verwaltungsakte und die Patientenakte der Klägerin haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Leistungsklage ist begründet.

Die Beklagte hat am 11.07.2013 zu Unrecht eine Verrechnung mit einer unstreitigen Krankenhausrechnung in Höhe des tenorierten Betrages vorgenommen, so dass die Klägerin Anspruch auf Auszahlung dieses Betrages hat. Die Klägerin hatte in Höhe des tenorierten Betrages einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte gemäß § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) i.V.m. § 7 Satz 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz und § 17b Absatz 1 Satz 3 Krankenhausfinanzierungsgesetz. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse entsteht unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten. Der Behandlungspflicht zugewiesener Krankenhäuser im Sinne des § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die Krankenkasse gegenüber. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert somit mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung gem. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V.

Vorliegend lagen die Voraussetzungen für eine stationäre Aufnahme vor. Zwar handelt es sich bei der durchgeführten Operation (Verschluss einer Hernia inguinalis [OPS 5-530]) um eine Maßnahme, die nach dem gemäß § 115 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V vereinbarten Katalog grundsätzlich ambulant durchführbar ist. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten auch kein Streit. Allerdings kann auch bei in der Regel ambulant durchführbaren Eingriffen eine stationäre Aufnahme erforderlich sein. Gem. § 3 Abs. 3 des Vertrages nach § 115b Abs. 1 SGB V "Ambulantes Operieren und stationsersetzende Eingriffe im Krankenhaus" (AOP-Vertrag) sind allgemeine Tatbestände, bei deren Vorliegen eine stationäre Durchführung der in der Regel ambulant durchzuführenden Leistungen erforderlich sein kann, die Kriterien A, B, D, E und F gemäß Anlage 2 zu den Gemeinsamen Empfehlungen zu Prüfverfahren nach § 17c KHG in der gültigen Fassung vom 15.04.2014 (G-AEP-Kriterien) bezeichnet werden. Nach Ziffer 1 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag definieren die G-AEP-Kriterien allgemeine individuelle Tatbestände bzw. Kriterien, die eine stationäre Durchführung der vereinbarten in der Regel ambulant durchführbaren Operationen und sonstigen stationsersetzenden Eingriffe erforderlich machen können. Dabei ist gem. Ziffer 2 Satz 2 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag das Vorliegen bereits eines der nachfolgenden Tatbestände bzw. Kriterien als hinreichende Begründung für eine stationäre Durchführung anzusehen. Gem. Ziffer 2 Satz 3 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag sind als allgemeine Tatbestände die fehlende Sicherstellung des Patienten im familiären bzw. häuslichen Umfeld oder die pflegerische Nachbetreuung anzusehen. Gem. Ziffer 2 Satz 4 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag sind soziale Faktoren, die eine ambulante Versorgung postoperativ gefährden können: Fehlende Kommunikationsmöglichkeit des Patienten im Fall von postoperativen Komplikationen (a) und/oder die fehlende sachgerechte Versorgung im Haushalt des Patienten (b). Hierzu regeln auch die G-AEP-Kriterien unter "F", dass die fehlende Kommunikationsmöglichkeit (F1) und fehlende Versorgungsmöglichkeiten (F4) soziale Faktoren darstellen, aufgrund derer eine medizinische Versorgung des Patienten nicht möglich wäre, in Verbindung mit Operationen oder anderen krankenhausspezifischen Maßnahmen, wobei die Erfüllung der Kriterien dokumentiert sein muss.

Vorliegend kann nach der von der Klägerin genannten Leitlinie eine ambulante Operation nur durchgeführt werden, wenn u. a. eine verantwortliche Person zur postoperativen Überwachung der ersten 24 Stunden zur Verfügung steht und diese Person in der Lage ist, die Instruktionen zu verstehen und physisch und mental in der Lage ist, Entscheidungen zum Wohle des Patienten, wenn notwendig, zu treffen. Im vorliegenden Fall stand eine für einen ambulanten Eingriff erforderliche Person zur häuslichen Nachbetreuung nicht zur Verfügung. Damit sind die Voraussetzungen der Ziffer 2 Satz 1 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag und der G-AEP-Kriterien F1 und F4 erfüllt, so dass ohne weitere Prüfung gem. Ziffer 2 Satz 2 der Anlage 2 zum AOP-Vertrag davon auszugehen ist, dass eine stationäre Aufnahme indiziert war.

Soweit die Beklagte einwendet, dass allein medizinische Kriterien Gründe für eine stationäre Aufnahme sein können, so ist ihr zum einen entgegenzuhalten, dass dies nicht ausnahmslos zutreffend ist. Bereits die zitierten Regelungen des AOP-Vertrages, der Anlage 2 zum AOP Vertrag und der G-AEP-Kriterien gehen davon aus, dass auch soziale Faktoren, aufgrund derer eine medizinische Versorgung des Patienten in Verbindung mit Operationen nicht möglich wäre (vgl. hierzu die Überschrift der F1-Kriterien). Auch aus dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 25.09.2007 (Az. GS 1/06, juris) ergibt sich nichts anderes. Der Große Senat hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 115b SGB V und den AOP-Vertrag betont, dass außermedizinische Gesichtspunkte wie die Lebensumstände und die häusliche Situation des Versicherten etwa bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind, ob ein chirurgischer Eingriff im konkreten Fall ambulant durchgeführt werden kann oder ob ausnahmsweise eine stationäre Aufnahme erfolgen muss, weil eine ausreichende Überwachung und Nachbetreuung des Patienten in seiner häuslichen Umgebung nicht gewährleistet ist (Großer Senat des BSG, a.a.O, Rn. 21).

Die Beklagte kann auch nicht einwenden, dass die häusliche Betreuung durch häusliche Krankenpflege hätte abgedeckt werden können. Denn nach Ansicht der Kammer kommt es darauf an, ob zum Zeitpunkt der Aufnahme bzw. der Operation eine Nachbetreuung gesichert war. Dies war vorliegend nicht der Fall. Im Rahmen einer ambulanten Operation ist es auch nicht Aufgabe des Krankenhauses, eine entsprechende Pflege für den Zeitpunkt nach der Operation zu besorgen. Eine entsprechende Obliegenheit der Beklagten könnte sich ggf. im Rahmen des Entlassmanagements i. S. v. § 39 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB V und § 2 Abs. 2 Krankenhausentgeltgesetz (beide Vorschriften in der ab 01.01.2012 geltenden Fassung) bei Entlassung aus stationärer Behandlung ergeben, nicht aber bei der Durchführung einer ambulanten Operation. Die Vorschriften über die von dem Krankenhaus zu erbringenden präoperativen und postoperativen Leistungen (§§ 4 und 6 AOP-Vertrag) sehen eine solche Verpflichtung jedenfalls nicht vor.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 13 Abs. 3 des Landesvertrages gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V i.V.m. § 247 Abs. 1 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz. Dabei hat das Gericht als Streitwert den auf das vorliegende Verfahren entfallenden anteiligen Betrag festgesetzt. Bei Prozesstrennung fallen in jedem der neuen Verfahren die Gebühren nach dem jeweils maßgebenden Einzelstreitwert an (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 10.05.2010, Az. 1 W 443/09, juris, Rn. 2; vgl. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 25.05.2009, Az. I-24 W 28/09, 24 W 28/09, juris, Rn. 3 und LG Dessau-Roßlau, Beschluss vom 15.12.2011, Az. 1 T 286/11, juris, Rn. 14). Nach der Trennung ergehen im Ausgangsverfahren und in den abgetrennten Verfahren jeweils separate Kostengrundentscheidungen, welche nicht nur die Kosten betreffen, die ab der Trennung entstanden sind, sondern alle Kosten, die sich auf die jeweiligen Einzelverfahren beziehen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 03.01.2011, Az. 6 W 176/10, juris, Rn. 13).
Rechtskraft
Aus
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