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Geld aus dem Gesundheitsfonds Krankenkassen beraten Ärzte illegal bei Diagnosen

Vor drei Jahren erschütterten angebliche Schummeleien bei Patientendaten das Gesundheitssystem. Ein Gesetz sollte die Praktiken abstellen. Nun zeigt sich: Vermutlich hat sich wenig geändert.
Foto: Jens Wolf/ DPA

Seit Jahren verschaffen sich deutsche Krankenkassen mit zweifelhaften Methoden und in Kooperation mit Ärzten Gelder aus dem Gesundheitsfonds. Eine gesetzliche Neuregelung aus dem Jahr 2017, die der Praktik ein Ende setzen sollte, scheint annähernd wirkungslos zu verpuffen.

Ein noch unveröffentlichtes Gutachten, das das Wissenschaftliche Institut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) erstellt hat und das dem SPIEGEL vorliegt, legt das nahe. Demnach wollten einige gesetzliche Krankenkassen Ärzte vermutlich auch im Jahr 2018 dazu anhalten, Patienten auf dem Papier möglichst krank erscheinen zu lassen.

Laut dem Gutachten berichtet fast jeder Fünfte von mehr als 600 befragten Medizinern (19,4 Prozent), dass gesetzliche Kassen ihm auch 2018 und später eine sogenannte Kodierberatung angeboten hätten. Gemeint sind damit Hinweise an Ärzte, wie Diagnosen zu stellen seien. Seit April 2017 ist es gesetzlichen Kassen allerdings verboten, Ärzte bei ihren Diagnosen zu beeinflussen. Explizit untersagt ist es seither, sogenannte Kodierberater in Praxen zu schicken, eine entsprechende Beratung am Telefon anzubieten oder eine Praxissoftware bereitzustellen. Die Neuregelung war durch eine Debatte über sogenannte Schummelvorwürfe ausgelöst worden.

Selbstbedienung im Gesundheitsfonds

Grund für die Praktiken der Kassen ist vermutlich ein überholungsbedürftiges Verteilungssystem der Gelder. Für Patienten mit bestimmten Krankheitsbildern erhalten AOK, Barmer und Co. besonders hohe Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds. Das richtige Kreuz bei der Diagnose ist durchaus rentabel: Wird einer 45-Jährigen beispielweise Bluthochdruck diagnostiziert, steigen die jährlichen Zuweisungen an die Kasse um 251 Euro; attestiert ein Arzt eine Depression, können es 532 Euro zusätzlich sein.

"Das Gutachten zeigt, dass Kodierberatung nach wie vor Thema ist", sagt TK-Vorstandschef Jens Baas. Er fordert eine Reform des Verteilungsmechanismus inklusive einer "wirksamen Manipulationsbremse". Das Bundesgesundheitsministerium hat bereits ein solch umfassendes Gesetz geplant und will damit auch bundesweit für bessere Kontrollen sorgen. Doch noch stemmen sich viele Kassen gegen das Vorhaben.

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