Die Stadt Stuttgart streitet sich aktuell mit der Ergo um die Schadensumme, die im sogenannten Klinikum-Skandal entstanden ist. Das berichtet die Stuttgarter Zeitung am Donnerstag letzter Woche. Eine internationale Ausgründung des Hospitals soll in fragwürdige Geschäfte mit Bürgerkriegs- und Golfstaaten verwickelt sein, bei denen auch Schmiergelder geflossen sein sollen und Millionensummen in dunklen Kanälen versickerten. Die Stadt beziffert den Schaden auf rund 30 Millionen Euro, der Versicherer auf fünf Millionen. Sehr wahrscheinlich läuft es dabei auf einen Vergleich heraus, so heißt es.

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Geschäfte mit reichen arabischen Patienten — und Kriegsversehrten

Konkret geht es um Geschäfte der International Unit (IU), einer internationalen Ausgründung des Stuttgarter Klinikums aus dem Jahr 2008. Auf der Suche nach neuen Einnahmequellen hatte das Management scheinbar innovative Einnahmequellen für sich entdeckt: die Behandlung von reichen arabischen Patienten in Staaten wie Saudi Arabien, Kuwait oder den Vereinigten Arabischen Emirate. Später gesellten sich noch nordafrikanische Kriegsversehrte hinzu, die in der Klinik operiert werden sollten.

Die Ansprüche des klammen städtischen Unternehmens waren gewaltig. Der zu erwartende Nettogewinn entspreche „einer Traumrendite a la Deutsche Bank von 24 Prozent“, zitiert swp.de aus einem Bericht des Krankenhausausschusses von 2011. Anfangs zeigten die Geschäfte auch Erfolge — zumindest auf dem Papier. Zwischen den Jahren 2004 und 2015 sei der Umsatz mit Medizin-Touristen in Stuttgart von zirka 200.000 Euro auf rund 35 Millionen Euro gestiegen.

Dabei entwickelte das Klinikum so manche kuriose Idee. Ein Beispiel: das „Muslim-Knie“. Die spezielle Prothese sollte Pilgerern nach Mekka erlauben, auch mit Arthrose das Knie so zu beugen und zu strecken, wie es das rituelle Gebet in der heiligsten Stätte des Islam streng vorschreibt. Beworben wurde die Prothese in mehreren arabischen Ländern.

Ominöse „Patientenbetreuer“ und Schmiergelder

Am Ende aber mündete die Ausgründung in einen der größten Klinikskandale der Bundesrepublik. Im April 2018 ließ die Staatsanwaltschaft Stuttgart bei einer Razzia 24 Geschäftsräume in ganz Deutschland untersuchen: Rechner, Smartphones und Akten wurden beschlagnahmt. Ermittelt wird gegen 21 Verdächtige. Der Vorwurf lautet auf Steuerhinterziehung, Untreue und Betrug.

Speziell im Fokus stehen dabei Geschäfte der Jahre 2013 bis 2016. Vor sechs Jahren hatte das Klinikum einen Deal mit Libyen abgeschlossen, für den es sich bereit erklärt hatte, mehr als 1.000 libysche Verwundete aus dem Bürgerkrieg zu behandeln: nicht uneigennützig, sondern gegen Bezahlung. Laut „Stuttgarter Zeitung“ kamen im Juli 2013 zunächst 137 Libyer, im Jahr darauf weitere 234 nach Schwaben. Das libysche Versehrtenkomitee habe 19 Millionen Euro für die Eingriffe überwiesen.

Zugleich aber flossen Gelder des Klinikums über die International Unit an sogenannte Patientenvermittler. Bereits im ersten Jahr seien 4,2 Millionen Euro an einen Patientenbetreuer der libyschen Kriegsversehrten gezahlt wurden: durchaus eine stolze Summe, zumal die Gelder aus Libyen auch Kost und Unterkunft der Patienten abdecken sollten. Immer wieder wurden Millionenbeträge abgezwackt, ohne dass die Öffentlichkeit davon erfuhr: die Quartalsberichte der IU waren nur intern zugänglich. Als Kostenart wurde darin „Aufwand Provision Vermittler“ genannt.

Der Verdacht der Staatsanwaltschaft: Es handelt sich um Schmiergeldzahlungen an libysche Funktionäre, um den Deal einzufädeln. Letztendlich blieb das Klinikum nach Recherchen des SWR auf Forderungen in Höhe von 9,4 Millionen Euro sitzen. Weil die Vermittlung von Patienten gegen Provision in Deutschland als sitten- und gesetzwidrig gelten, hatten die Behörden erste Ermittlungen bereits 2015 begonnen und waren dann nach und nach ausgeweitet worden.

Deal mit Klinik in Kuwait

Noch unglücklicher lief ein Geschäft mit Kuwait im Jahr 2014. Mit dem Gesundheitsministerium des Golfstaates (MOH) hatte die Stuttgarter Klinik einen Beratervertrag abgeschlossen: Orthopäden und Pfleger sollten ins Al Rhazi Hospital entsendet werden, einem neuen Vorzeigebau speziell für wohlhabende Araber. Auch dabei kam es zu ergänzenden Dienstleistungs-Verträgen und Absprachen, die den Ruch von Bestechungsgeldern haben.

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Letztendlich scheiterte das Projekt in Kuwait aber, nachdem es bereits angelaufen war: Monatelang wurden Mediziner hin- und hergeflogen und auch mehre Vermittler bezahlt. Für den Beratervertrag in Höhe von 42 Millionen Euro sollen 20 Millionen Euro verdeckte Provision eingeplant gewesen sein, berichtet das Stuttgarter Regionalblatt: Geld, das nun weg ist.

D&O-Versicherung soll zahlen

Ins Rollen kam der Skandal erst, als das Rechnungsprüfungsamt der Stadt Stuttgart 2015 Unregelmäßigkeiten in den Bilanzen des Krankenhauses entdeckt hatte. Dabei weisen die Vorgänge mitten hinein in den Klüngel der Stadt Stuttgart: "Das hat ein Gschmäckle" ist dabei noch eine harmlose Umschreibung. So mussten sich führende Politiker der Schwaben-Metropole vorwerfen lassen, die Aufarbeitung des Skandals eher verhindert als unterstützt zu haben. Die Sache ist äußerst unübersichtlich.

Undurchsichtige Vorgänge und viele offene Fragen

Die Liste der mutmaßlich verwickelten Personen liest sich wie ein Who’s Who der schwäbischen Regionalpolitik. Im Fokus unter anderem: Werner Wölfle (Grüne), amtierender Sozialbürgermeister der Stadt Stuttgart und von 2011 bis 2016 Verwaltungs- und Krankenhausbürgermeister. 2019 geriet er wegen des Verdachts der Untreue ins Visier der Stuttgarter Staatsanwaltschaft, so berichtet die "Stuttgarter Zeitung". Ihm wird unter anderem angelastet, den Kuwait-Deal befördert zu haben: am Gemeinderat vorbei, was ein Verstoß gegen die Vorschriften bedeutet. Auch von Schmiergeldzahlungen habe er gewusst.

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Ins Visier der Staatsanwaltschaft hat Wölfle ein SMS-Austausch mit Andreas Braun von Februar 2014 gebracht, seit der Gründung Chef der Internationalen Einheit im Stuttgarter Klinikum. Auch Braun ist ein Prominenter: er war früher Landesvorsitzender von Bündnis 90/die Grünen in Baden-Württemberg. Nun wird gegen den Politiker wegen des Verdachts der Vorteilsnahme und Bestechung mit Blick auf jene Agenturen ermittelt, die reiche Patienten nach Stuttgart vermittelt haben.

Braun hat es in der Affäre bisher am Heftigsten erwischt, als früherer IU-Chef ist er einer der Hauptbeschuldigten. Nach einer fristlosen Kündigung im November 2017, die mittlerweile wegen einer verpassten Frist wieder zurückgenommen werden musste, saß er in Untersuchungshaft ein: Die Staatsanwaltschaft sah eine Flucht- und Verdunkelungsgefahr. Von Mai bis September 2018 musste sich der Klinikfunktionär in das berüchtigte Gefängnis Stammheim begeben. Die Grünen hat er mittlerweile verlassen, nachdem er sich von seinen Parteikollegen in Stich gelassen fühlte. Keiner habe sich im Gefängnis bei ihm gemeldet, trotz der existenzgefährdeten Situation für seine Familie, so klagte er in einem Brief an seine früheren Parteikollegen. In dem handschriftlichen Dokument nennt er sie "Feiglinge", "Angsthasen" und "politische Eintagsfliegen".

Sogar Stuttgarts Bürgermeister und Chef der Staatskanzlei beschuldigt

Ebenfalls in der Schusslinie: Werner Wölfles Vorgänger Klaus-Peter Murawski (Grüne), bis 2011 für Stuttgarts Krankenhäuser zuständig. Danach wurde er vom Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann zum Chef der Baden-Württembergischen Staatskanzlei ernannt und 2018 aufgrund gesundheitlicher Probleme in den Ruhestand verabschiedet, auch wegen der Anschuldigungen gegen ihn. Die Vorwürfe hatten sich ebenfalls aus SMS und E-Mails mit Andreas Braun ergeben.

Wölfle und Murawski sollen zeitig über Schmiergeldzahlungen informiert gewesen sein und den Kuwait-Deal mit eingefädelt haben, so behauptet die Opposition im Gemeinderat, davon künde unter anderem der SMS-Austausch aus dem Jahr 2014. Die Beschuldigten bestreiten dies und beharren darauf, alle Gremien rechtzeitig über auftretende Probleme der Klinik-Ausgründung in Kenntnis gesetzt zu haben. Nachgewiesen werden konnte ihnen bisher nichts. Und sogar der amtierende Bürgermeister Fritz Kuhn (Grün) muss sich mittlerweile vorwerfen lassen, Wölfle gedeckt zu haben, weil er den Gemeinderat nicht rechtzeitig über die Anschuldigungen informierte und keine dienstlichen Schritte eingeleitet hat. Er weist die Vorwürfe ebenfalls als absurd zurück.

Ein weiteres Kuriosum: Der ehemalige Geschäftsführer des Klinikums, Ralf-Michael Schmitz, wurde im März 2016 mit einem "goldenen Handschlag" verabschiedet: Er erhielt dank eines Aufhebungsvertrages 900.000 Euro Abfindung ausgezahlt sowie eine üppige Sofortrente. Schmitz hatte die Skandale in seiner Amtszeit als Klinikchef mit zu verantworten. Das brachte wiederum Wölfles Nachfolger als Krankenhausbürgermeister ins Zwielicht, Michael Föll (CDU). Er hätte als Vorgesetzter Schmidt fristlos kündigen können, nachdem sogar die internationale Fahndung wegen der Vorwürfe in die Klinikgebäude eingerückt sei, wundert sich die Opposition im Gemeinderat. Auch Föll bestreitet alle Vorwürfe.

Der Gemeinderat hat einen Ausschuss zur Akteneinsicht ins Leben gerufen, um die Verfehlungen aufzudecken. Mittlerweile legt der Abschlussbericht vor und soll am 25. Mai im Rat diskutiert werden.

Meinungsverschiedenheiten zwischen Stadt und Ergo

Die Ergo hat die Haftpflichtversicherung der Stuttgarter Klinik übernommen, so berichten die "Stuttgarter Nachrichten". Und soll nun im Rahmen einer D&O-Versicherung für die Verfehlungen des Managements aufkommen. Es handle sich um eine Haftpflichtpolice des Klinikums, die "Managementfehler abdeckt". Und dabei gibt es durchaus Meinungsverschiedenheiten. Laut Zeitung hat die Stadt Stuttgart über die dreieinhalb Jahre einen Schaden von 21 Millionen Euro geltend gemacht, weitere acht Millionen sollen für "Risiken zweier Rechtsstreitigkeiten" fließen. Die Ergo wolle hingegen nur fünf Millionen Euro erstatten.

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Erste Gespräche zwischen Versicherer und Stadt seien bereits gelaufen, berichtet das Blatt weiter. Es sei wahrscheinlich, dass man sich einigen könne. So habe die Rathausspitze dem Gemeinderat bereits nahe gelegt den Vergleich anzunehmen, "um Kosten für Anwälte und Sachverständige sowie einen Rechtsstreit zu vermeiden". Das Problem: Damit wäre es dann auch nicht mehr möglich, die beschuldigten Vorstände und Mandatsträger in Regress zu nehmen.

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