Scharfe Kritik an Klinik-Finanzierungen: Geschäftsführer im Landkreis fordern Systemreform
„Unfair“, „krank“, „falsch“: Die Geschäftsführer der beiden großen Krankenhäuser in Hersfeld-Rotenburg üben scharfe Kritik am Finanzierungssystem der Krankenhäuser.
Die Geschäftsführer Martin Ködding (Klinikum Hersfeld-Rotenburg) und Frank Alemany (Kreiskrankenhaus Rotenburg) fordern eine Reform des Finanzierungssystems.
„Der reine Leistungsbezug muss abgeschafft werden“, warnt Ködding, „sonst droht ein Systemversagen.“ Im Fokus der Kritik beider Geschäftsführer steht vor allem das sogenannte DRG-System, wonach die Krankenhäuser auf Basis sogenannter diagnosebezogenen Fallpauschalen vergütet werden. „Das DRG-System verleitet einige Krankenhäuser dazu, bewusst Fälle, also Behandlungen, zu generieren – auch, wenn sie medizinisch gar nicht unbedingt notwendig wären“, sagt Alemany. Im Kreiskrankenhaus sei das nicht der Fall. „Fakt ist: Ein Krankenhaus lebt davon, kranke Menschen zu behandeln. Anreize für Überhandlungen gehen aber in die falsche Richtung.“
Alice Engel, Sprecherin des hessischen Sozialministeriums, verweist auf Nachfrage unserer Zeitung auf die Reform des Krankenhaus-Strukturgesetzes aus dem Jahr 2016. „Durch Zweitmeinungsverfahren und höhere Abschläge auf Mehrleistungen wurden den Krankenhäusern der Fehlanreiz genommen, ihre Patientenzahlen immer weiter zu steigern“, so die Sprecherin.
Klinikumschef Martin Ködding sieht dennoch dringenden Handlungsbedarf: „Wenn die Menschen gesünder werden, was wir uns alle wünschen sollten, werden die Krankenhäuser kränker. Das zeigt, wie irrsinnig unsere Strukturen sind.“ Er betont zugleich, dass es im Klinikum keine Zielvereinbarung mit Ärzten über Leistungszahlen gebe. „Wir wollen nicht, dass medizinische Entscheidungen durch ökonomische Aspekte beeinflusst werden.“
Hintergrund: So funktioniert das DRG-System
Die bundesweit 2000 Krankenhäuser bekommen pro Patient einen pauschalen Geldbetrag von der Krankenkasse des Patienten. Vergütet werden die voll- und teilstationären Leistungen über diagnosebezogene Fallgruppen (DRG). Im DRG-System, das 2004 eingeführt wurde, werden Patienten anhand medizinischer Diagnosen und erfolgter Behandlungen sowie Alter und Geschlecht bestimmten Fallgruppen zugeordnet. Der DRG-Katalog umfasst aktuell laut Bund der Krankenkassen 1318 Fallpauschalen und 214 Zusatzentgelte.
So werden Krankenhäuser vergütet: Drei typische Muster-Eingriffe im Überblick
Seit rund 15 Jahren erhalten Krankenhäuser Fallpauschalen für die Behandlung der Patienten. Abgerechnet wird nach sogenannten diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG). Derzeit gibt es im DRG-Katalog 1318 Fallpauschalen und 214 Zusatzentgelte.
Wir zeigen für drei typische Muster-Eingriffe exemplarisch, wie abgerechnet wird:
- Herz-OP: Ein Herzklappeneingriff mit Herz-Lungen-Maschine (DRG-Code F03F) hat laut DRG-Katalog ein Relativgewicht – so wird der Schweregrad der Behandlung bezeichnet – von 4,363. Dieser Wert wird mit einem Landesbasisfallwert verrechnet, der in jedem Bundesland verschieden ist und jeweils von Kassen und Krankenhausträgern vereinbart wird. Die durchschnittliche Verweildauer des Patienten im Krankenhaus wird bei einer Herz-OP mit 11,3 Tagen veranschlagt. Liegt der Patient tatsächlich kürzer oder länger als laut Katalog vorgesehen im Krankenhaus, wird die Vergütung leicht angepasst. Aus den Werten ergibt sich, dass die Krankenkasse dem behandelnden Krankenhaus in Hessen für eine Herz-OP insgesamt 15 413,04 Euro bezahlt.
- Blinddarm-OP: Bei einer Appendektomie, wie Mediziner die operative Entfernung des Wurmfortsatzes des Blinddarms (DRG-Code G23B) nennen, beträgt der Schweregrad lediglich 0,910 und die mittlere Verweildauer 3,4 Tage. Der Fallerlös beläuft sich demnach auf 3214,73 Euro.
- Hüftprothese: Muss ein Hüftgelenk ersetzt werden (DRG-Code I47C), liegen der Fallpauschale ein Schweregrad von 1,899 sowie eine mittlere Verweildauer von 9,1 Tagen zugrunde. Das Krankenhaus erhält dafür von der Krankenkasse 6708,54 Euro. Dr. Jörn Wegner von der Deutschen Krankenhausgesellschaft weist im Gespräch mit unserer Zeitung darauf hin, dass Krankenhäuser aus den DRG-Erlösen sämtliche Kosten, die im Zusammenhang mit der OP entstehen, begleichen müssen.