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Wirtschaft Fresenius-Chef

„Patienten sollten bereit sein, größere Distanzen zurückzulegen“

Wirtschafts-Korrespondentin
Fresenius-Chef Stephan Sturm Fresenius-Chef Stephan Sturm
Fresenius-Chef Stephan Sturm steht an einer Dialyse-Maschine
Quelle: REUTERS
Nach einem schwierigen Jahr 2018 rüstet sich Fresenius-Chef Stephan Sturm für die Hauptversammlung. Vor allem im Klinikgeschäft gibt es Nachholbedarf. Das bleibt auch für die Patienten nicht ohne Folgen.

An seiner Verhandlungstaktik hat Stephan Sturm, Chef des Gesundheitskonzerns Fresenius, schon früh gefeilt: Bevor das Interview am Stammsitz in Bad Homburg losgeht, erzählt er, wie er seine Mutter einst davon überzeugen konnte, ihm ein Auto zu schenken: Sturm machte in seiner Jugend einfach auch noch den Motorradführerschein und brauste damit so lange durch die Gegend, bis seine Mutter ihm das Auto geradezu aufdrängte.

Mit ähnlich sanftem Druck war es bei der Übernahme des US-Wettbewerbers Akorn nicht getan: Nachdem klar wurde, dass Akorn bei wichtigen Daten getrickst hatte, setzte Sturm alles daran, den Milliardendeal wieder rückgängig zu machen. Mit Erfolg.

Dennoch knirscht es seitdem im Dax-Konzern, der dank Jahrzehntelanger kontinuierlicher Dividendensteigerungen als besonders verlässlich galt. Im vergangenen Jahr musste Sturm in kurzer Folge zwei Gewinnwarnungen verkünden, die Aktie brach zeitweise um rund 40 Prozent ein. Auf der bevorstehenden Hauptversammlung am 17. Mai wird sich der 55-Jährige, der vor bald drei Jahren vom Finanzchef zum Konzernlenker aufstieg, einige kritische Fragen gefallen lassen müssen.

WELT: Sie haben mal erzählt, dass Sie vor wichtigen Ereignissen Lampenfieber haben. Wie groß ist die Aufregung jetzt, kurz vor der nächsten Hauptversammlung?

Stephan Sturm: Vor Hauptversammlungen habe ich tatsächlich großen Respekt. Ich glaube aber, dass dieses Gefühl etwas Gutes ist. Es hilft, sich zu fokussieren.

WELT: Ihr Vorstandskollege Rice Powell hat für solche Gelegenheiten eine Glückskrawatte …

Sturm: Eine Glückskrawatte habe ich auch. Allerdings trage ich sie nicht so oft: meine Frau ist dagegen, dass ich immer dasselbe Modell anhabe. (lacht)

WELT: Dabei könnten Sie in diesem Jahr einen Talisman gebrauchen: Sie haben Ihre Aktionäre zweimal mit Gewinnwarnungen vergrätzt.

Sturm: Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass unsere Aktionäre mit der Kursentwicklung nicht zufrieden sind. Das bin ich auch nicht. Allerdings war 2018 trotzdem ein Rekordjahr für uns. Es ist also nicht alles so schlecht, wie es dargestellt wird. Unsere Zahlen für das erste Quartal belegen das. Wir haben für 2019 eine Stagnation beim Gewinn in Aussicht gestellt. Aber der Ehrgeiz ist natürlich da, unsere lange Serie von Gewinnsteigerungen nicht abbrechen zu lassen, selbst wenn das Plus nur klein ausfällt. Einen Rückgang gilt es auf alle Fälle zu vermeiden.

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WELT: Die Serie an Negativschlagzeilen irritiert dennoch: Erst die geplatzte Übernahme des US-Wettbewerbers Akorn, die vor Gericht landete und dann die doppelte Gewinnwarnung. Haben Sie sich überschätzt?

Sturm: Im Nachhinein betrachtet wäre es natürlich eleganter gewesen, die beiden Gewinnkorrekturen zusammenzufassen. Aber als wir im Oktober die Ziele für 2019 angepasst haben, konnten wir die Auswirkungen auf die Mittelfristprognose noch nicht verlässlich einschätzen. Wir haben stets frühzeitig und transparent kommuniziert und niemanden in die Irre geführt. Und was Akorn betrifft, bin ich bis heute überzeugt, dass die Logik des Deals richtig war. Natürlich war uns bewusst, dass das Management nicht den besten Ruf hatte. Deshalb haben wir deren Bücher viel intensiver überprüft, als das sonst üblich ist. Das Gericht hat uns später bestätigt, dass unsere Due Diligence allen Regeln der Kunst entsprach. Es ist kein gutes Gefühl, betrogen zu werden. Aber wir hätten im Vorfeld dieses Deals nichts besser machen können.

WELT: Wann wurde Ihnen klar, dass Sie den Milliardenzukauf rückgängig machen müssen?

Sturm: Den einen Wendepunkt gab es nicht. Ich sitze auch nicht im Elfenbeinturm und bestimme allein, wofür der Konzern Geld ausgibt. Wir haben uns im Vorstand intensiv mit dem Zukauf auseinandergesetzt und waren überzeugt, einen guten Deal gemacht zu haben. Das Unbehagen wuchs über die Zeit. Erst waren da die anonymen Briefe, die Missstände bei Akorn anprangerten. Dann haben wir eine Untersuchung eingeleitet und sind fündig geworden. Ab dann war klar, dass wir mit aller Kraft um unser Recht kämpfen würden, von dem Deal zurückzutreten. Ich bin stolz darauf, dass uns das gelungen ist. Wir haben damit Rechtsgeschichte geschrieben.

WELT: Allerdings sind Sie nun das zweite Jahr in Folge als Vorstandschef in der Defensive. Müssen Sie sich nicht Sorgen machen, dass Sie jetzt angezählt sind?

Sturm: Selbstverständlich tut es weh, wenn man langjährige Investoren enttäuscht. Aber ich sehe die Rückschläge des vergangenen Jahres eher als Ansporn, das Vertrauen zügig zurückzugewinnen.

WELT: Vor allem im Klinikgeschäft Ihrer Tochter Helios müssen Sie dafür aber noch zulegen. Die Sparte verbuchte zuletzt einen Gewinnrückgang von 16 Prozent.

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Sturm: Trotzdem gehört Helios immer noch zu den profitabelsten Krankenhausgesellschaften in Deutschland. Natürlich lag unsere Zielrendite mit bis zu 15 Prozent früher höher. Das geht wegen der größeren regulatorischen Anforderungen nicht mehr. Aber auch mit einer Marge von zehn bis zwölf Prozent kann man gut auskommen.

WELT: Und eine Klinik, die darunter liegt, wird geschlossen?

Sturm: Die Krankenhäuser werden sich jedenfalls weiter spezialisieren müssen, und das gilt nicht nur für Helios. Der Gesetzgeber hat ja bereits erkannt, dass mehr Menge die Qualität fördert: Übung macht den Meister. Je öfter eine bestimmte Operation durchgeführt wird, desto größer ist die Expertise. Die Anzahl der Mindestmengen, die eine Klinik vorweisen muss, wird weiter steigen. Nicht alle Häuser werden das leisten können.

WELT: Das Feld-, Wald- und Wiesenkrankenhaus am Stadtrand hat ausgedient?

Sturm: Es wird zumindest Abteilungen, die kein hohes Aufkommen haben, schließen müssen. Das ist aber im Interesse der Patienten.

WELT: Die deutlich weitere Wege in Kauf nehmen müssen. 50 bis 100 Kilometer bis zur Knie-OP oder in den Kreißsaal – halten Sie das wirklich für zumutbar?

Sturm: Nirgendwo auf der Welt ist die Krankenhausdichte so groß wie in Deutschland. Die Patienten sollten daher bereit sein, größere Distanzen zurückzulegen, wenn dafür die medizinische Qualität steigt. Umgekehrt liegt es an der öffentlichen Hand und den Klinikbetreibern, die Infrastruktur dafür zu schaffen. Die räumliche Nähe zum Hausarzt, die vielen Patienten wichtig ist, lässt sich dank Digitalisierung bewahren. Und für die Besuche von Familien und Freunden haben wir bei Helios einen Shuttleservice.

WELT: Wenn Mindestmengen das Maß aller Dinge sind, steht zu befürchten, dass viele Patienten zu unnötigen Operationen gedrängt werden – nur damit die Fallzahlen stimmen.

Sturm: Ganz entschieden nein. Natürlich gibt es immer irgendwo ein schwarzes Schaf. Aber gerade unter Ärzten herrscht ein hohes Berufsethos. Diese Sorgen sollte sich daher niemand machen.

WELT: Sind gute Kliniken für Sie also nur solche, die Gewinne erwirtschaften?

Sturm: Gewinne sind definitiv ein Gütesiegel für ein Krankenhaus. Wenn eine Klinik ihr Budget so einsetzt, dass etwas übrig bleibt, ist das ein gutes Zeichen, dass diese Klinik effizient arbeitet und Verschwendung vermeidet.

WELT: Ärzte und Pfleger beklagen sich, dass immer weniger Zeit bleibt für die Patienten. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Sturm: Wir liefern eine überdurchschnittlich gute Qualität – statistisch belegt anhand von Sterblichkeits- und Komplikationsraten. Dabei ist die Vergütung für alle gleich hoch – egal ob privater oder öffentlicher Träger. Wenn wir daraus Gewinne machen, sollte man uns das nicht vorwerfen. Denn nur wer Gewinne erwirtschaftet, kann in die medizinische Qualität investieren.

WELT: Das macht die Sache nicht einfacher.

Sturm: In unserem Konzern sind einzelne Häuser und Abteilungen betroffen. Grundsätzlich ist eine gewisse Fluktuation bei den Ärzten gesund, zuletzt war sie allerdings deutlich höher, als ich mir das gewünscht habe. Im Bereich Pflege hatten wir zwar viele Bewerbungen, wir waren aber erschreckend schwach, wenn es darum ging, diese Bewerber zur Anstellung zu bringen. Auch daran arbeiten wir.

WELT: Kürzlich haben Sie Prämien von bis zu 8000 Euro für neue Pfleger ausgelobt. Das wirkt ziemlich verzweifelt.

Sturm: Einspruch: Diese Prämien sind sicher kein Spitzenwert in Deutschland. Und wir bieten als attraktiver Arbeitgeber noch mehr als Prämien. Ziel ist es, in diesem Jahr 1000 neue Pflegekräfte einzustellen. Wir sind da auf einem guten Weg. 600 neue Kolleginnen und Kollegen sind bereits an Bord.

WELT: Bekommen Sie nun die Schattenseiten des neuen Pflegekräftegesetzes zu spüren?

Sturm: Wir müssen uns tatsächlich die Frage stellen, inwieweit das Ganze finanzierbar ist. Wenn alle Pflegekräfte in bestimmten Abteilungen komplett von den Kassen erstattet werden, wie es das Gesetz vorsieht, ist das eine Abkehr vom Gedanken, Verschwendung zu vermeiden. Ich bin gespannt, wie sich das auf die Kosten im System und die Krankenkassenbeiträge auswirken wird.

WELT: Womit rechnen Sie?

Sturm: Ich beobachte das sehr interessiert. Sinkende Beiträge werden wir wohl kaum sehen.

WELT: Kürzlich ist Bayer-Chef Werner Baumann als erster Dax-Chef auf einer Hauptversammlung nicht entlastet worden. Ganz allgemein gesprochen: Eine Zeitenwende in der deutschen Aktionärskultur?

Sturm: Es gibt seit einigen Jahren in der Tat den Trend zur Arbeitsteilung unter großen institutionellen Investoren. Diese beauftragen Stimmrechtsberater damit, die Vorschläge an eine Hauptversammlung zu überprüfen. Allerdings ist deren Kriterienkatalog relativ starr, auf Besonderheiten wird keine Rücksicht genommen. Das fördert nicht gerade das Vertrauensverhältnis zwischen Unternehmen und ihren langfristig orientierten institutionellen Investoren.

WELT: Was heißt das konkret?

Sturm: Die Stimmrechtsberater haben zum Beispiel sehr strenge Anforderungen an Dividende und Ausschüttungsquote, denen Fresenius meistens nicht gerecht wird. Allerdings wird dabei nicht berücksichtigt, dass wir als einziges börsennotiertes Unternehmen in Deutschland unsere Dividende nun schon zum 26. Mal in Folge erhöhen. Wir versuchen, damit trotzdem zurechtzukommen – und arbeiten an der 27. Dividendenerhöhung.

WELT: Sollte ein Vorstandschef seinen Hut nehmen, wenn die Mehrheit der Aktionäre ihn nicht entlastet?

Sturm: Gegenfrage: Die Mehrheit der Amerikaner würde laut Umfragen Trump nicht mehr wählen. Tritt er deswegen zurück?

WELT: Wohl kaum. Nur finden Sie das wirklich vergleichbar?

Sturm: Ich bin ein Fan der repräsentativen Demokratie. Was in der repräsentativen Demokratie die Parlamente sind, ist bei den Unternehmen der von den Aktionären gewählte Aufsichtsrat. Ein Vorstand muss dann gehen, wenn der Aufsichtsrat nicht mehr hinter ihm steht oder wenn ihm mehrfach das Vertrauen der Basis entzogen wird. Einen einmaligen Denkzettel, der alle möglichen Ursachen haben kann, halte ich hingegen für tolerabel.

WELT: Sind lange Hauptversammlungen überhaupt noch zeitgemäß?

Sturm: Auch kleinere Aktionäre sollten das Recht haben, sich zu äußern. Die Hauptversammlung ist dafür das richtige Forum. Allerdings sollte der Dialog in geordneten Bahnen stattfinden und Missbrauch entschiedener als bisher verhindert werden können. Die Unternehmen sollten sich besser verteidigen können, etwa wenn einzelne Aktionäre versuchen, die Beschlüsse einer Hauptversammlung durch Zeitschinderei bis nach Mitternacht ungültig zu machen. Was unsere Hauptversammlungen anbelangt: Ich stelle mich jedes Jahr gern dem Lob und Tadel unserer Aktionäre.

WELT: Ach, Lob bekommen Sie auch?

Sturm: Vor einigen Jahren hat einer unserer Aktionäre den Aufsichtsrat sogar aufgefordert, er möge den Vorstand ordentlich bezahlen. Ich wurde daraufhin gefragt, ob wir diesen Herrn vorher extra angeheuert haben. Hatten wir natürlich nicht. (lacht)

WELT: Ihr Vertrag endet 2021. Was kommt danach?

Sturm: Ich weiß das Privileg, für Fresenius zu arbeiten, sehr zu schätzen. Ich würde das gern noch eine Weile länger machen.

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