Endlich ein gesundheitspolitischer Erfolg: Operationslisten entlasten die kantonalen Finanzen massiv

Die Spitäler schicken Patienten immer öfter ohne Übernachtung nach Hause. Das freut die kantonalen Säckelmeister, die weniger Geld ausgeben als veranschlagt. Aber auch die Krankenkassen kommen besser weg als erwartet.

Simon Hehli
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Immer mehr Operationen finden ambulant statt, das ist günstiger und angenehmer für die Patienten, die rasch nach Hause dürfen. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Immer mehr Operationen finden ambulant statt, das ist günstiger und angenehmer für die Patienten, die rasch nach Hause dürfen. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Erfolgsmeldungen in der chronisch reformmüden Schweizer Gesundheitspolitik sind eine Seltenheit. Doch es gibt sie: Die Kantone haben im Spitalbereich 2018 viel besser abgeschnitten als erwartet. Das ergibt eine Auswertung der kantonalen Rechnungen durch die NZZ. Neun Stände melden Einsparungen von insgesamt 200 Millionen Franken gegenüber dem Budget. Den grössten Teil trägt Zürich mit 112 Millionen bei, aber auch im Aargau (25 Millionen Franken unter Budget), in St. Gallen (20,5 Millionen) oder Luzern (17,1 Millionen) können sich die Säckelmeister über unerwartete Einsparungen freuen.

Die meisten Kantonsregierungen müssen die genauen Gründe für die Budgetunterschreitungen noch analysieren. Doch einhellig heisst es: Die Hauptursache dürfte die Verlagerung vom stationären in den ambulanten Bereich sein. Dieser Prozess findet schon länger statt, denn der medizinische Fortschritt ermöglicht es, vermehrt Operationen so durchzuführen, dass der Patient anschliessend nach Hause kann. Ausserdem versuchen manche Spitäler durch eine bessere Triage auf den Notfallstationen, unnötige Hospitalisationen zu vermeiden. So sinkt vielerorts die Zahl stationärer Aufenthalte, oder sie stagniert zumindest. Zudem haben manche Gesundheitsdirektoren die Entwicklung weiter beschleunigt.

Einsparungen deutlich höher

Luzern gibt seit Anfang 2017 vor, welche Eingriffe die Ärzte ambulant durchführen müssen, sofern keine medizinischen Gründe dagegen sprechen. Ein Jahr später folgten die Kantone Zürich, Aargau, Zug und Wallis mit eigenen Spitallisten – das wirkt sich nun offensichtlich positiv auf die Finanzen aus. Die Liste habe eine höhere Verlagerung erwirkt als ursprünglich prognostiziert, sagt Daniel Winter, Sprecher der Zürcher Gesundheitsdirektion.

Besonders bei privat oder halbprivat versicherten Patienten macht sich ein Rückgang bemerkbar: Sie wurden bis anhin deutlich öfter stationär operiert als Grundversicherte, weil dies besonders lukrativ war. Doch im ambulanten Bereich sind die Tarife für alle gleich hoch. Deshalb fällt der Anreiz weg, bei Zusatzversicherten mehr zu machen als nötig. «Wir werten diese Entwicklungen als Erfolg unserer Politik der letzten Jahre», sagt Winter.

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) ging von Einsparungen in Höhe von lediglich 90 Millionen Franken dank der Förderung ambulanter Eingriffe aus, nun ist es mindestens doppelt so viel. Und die Zahlen könnten noch besser werden. Denn seit Beginn dieses Jahres gilt gesamtschweizerisch die Operationsliste des Bundes, die sechs Gruppen von ambulant durchzuführenden Eingriffen umfasst, darunter Kniearthroskopien oder Krampfaderoperationen.

Die Entlastung der kantonalen Staatskassen weckt Begehrlichkeiten. So fordert SP-Vizepräsidentin Barbara Gysi, dass die Kantone das Geld im Gesundheitswesen behalten und in die Langzeitpflege oder in eine Erhöhung der Prämienverbilligungen investieren. Dies erst recht, nachdem das Bundesgericht im Januar entschied, dass die Kantone für die Krankenkassenzuschüsse die Einkommensgrenzen nicht beliebig tief absenken dürfen und deshalb mancherorts Mehrkosten drohen.

Krankenkassen warnten zu Unrecht

Auch die Krankenkassen verfolgen die Entwicklung der stationären Kosten genau. Sie befürchten, dass die Devise «ambulant vor stationär» (Avos) sie zu den grossen Verlierern macht. Denn für stationäre Behandlungen müssen die Kantone 55 Prozent der Kosten übernehmen, die Versicherer nur 45 Prozent. Im ambulanten Bereich zahlen die Krankenkassen hingegen 100 Prozent der Rechnung.

Die Einsparungen pro Eingriff müssten massiv sein, damit ihnen keine Mehrkosten entstünden. Ralph Kreuzer vom kleineren Krankenkassenverband Curafutura sagt deshalb: «So sinnvoll die Verlagerung in den ambulanten Bereich auch ist – es darf nicht sein, dass sich die Kantone auf Kosten der Prämienzahler gesund stossen.»

Der Konkurrenzverband Santésuisse prophezeite 2018 eine zusätzliche Belastung der Prämienzahler von 70 Millionen Franken durch Avos. Doch neue Zahlen des Verbandes zeigen, dass die Entwicklung für die Kassen bisher kostenneutral verlaufen ist, wovon auch das BAG ausging. Trotzdem halten die Versicherer an der Forderung fest, dass die Kantone künftig auch an ambulante Behandlungen einen Beitrag leisten müssen.

Spitäler sind unzufrieden

Als Leidtragende von Avos betrachten sich derzeit vor allem die Spitäler. Aus ihrer Sicht kommen die Krankenkassen nur deshalb finanziell so gut weg, weil die Tarife für ambulante Eingriffe zu tief seien – gerade für Kinder oder Patienten mit Mehrfacherkrankungen. Früher konnten die Spitäler den defizitären ambulanten Zweig durch die Erträge im stationären Bereich quersubventionieren. Doch weil der erste Bereich wächst und der zweite stagniert oder schrumpft, geraten sie nun in die Bredouille. «Es braucht kostendeckende Tarife», fordert deshalb Dorit Djelid vom Spitalverband H+.

Sollte sie damit Erfolg haben, sähen sich die Krankenkassen doch noch mit Mehrkosten konfrontiert – zumindest falls die einheitliche Finanzierung auf sich warten lässt. Über eine entsprechende Reform berät derzeit das Parlament.