Schwerer Imageschaden. So müsste die finstere Diagnose für den Hausarzt lauten, wenn man Medizinstudenten um ihre Einschätzung bittet: „Das ist was für die Dummen, ich brauche was Vernünftiges.“ Diese und ähnliche Antworten förderten vor fünf Jahren in einer Befragung durch die Kassenärztliche Bundesvereinigung die Erkenntnis zu Tage, dass sich angehende Mediziner offensichtlich vor dem Schicksal eines Feld-, Wald-, und Wiesenarztes fürchten. Die Folgen sind in kleineren Gemeinden zu spüren. Zum Beispiel in Hermaringen im Landkreis Heidenheim. „Wir haben einen guten Zahnarzt, aber seit zwölf Jahren keinen Hausarzt“, erzählt Bürgermeister Jürgen Mailänder.

Medizinisches Versorgungszentrum gegen ländlichen Ärztemangel

Ähnlich verstaubt wie Landarzt dürfte in manchen Ohren die Genossenschaft klingen. Dabei könnte diese alte Rechtsform ein Mittel gegen den Ärztemangel auf dem flachen Land sein. Davon ist jedenfalls der baden-württembergische Genossenschaftsverband (BWGV) überzeugt. Auch im Gemeindetag hegt man diese Hoffnung, sodass gemeinsam ein Projekt entstanden ist: Bis in den August wird in Hermaringen und an sechs weiteren Standorten geprüft, wie mit zwei Genossenschaften ein medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) entstehen kann.
Eine große Sorge des medizinischen Nachwuchses ist nämlich die Aussicht, als Einzelkämpfer in seiner Praxis zu verkümmern. „Die Gesetzgebung erlaubt die Trägerschaft eines Versorgungszentrums aber nur Ärzten, Krankenhäusern und Kommunen“, erklärt Fabian Müller vom Gemeindetag. Deshalb sieht das Modell eine Ärzte-eG, eine Genossenschaft also, vor.
Zusätzlich soll eine Beteilgungs-eG entstehen, damit sich auch Bürger, Vereine und Unternehmen finanziell beteiligen können. „Es geht nicht in erster Linie um die Rendite. Die wird in der Aufbauphase sowieso häufig einbehalten“, sagt Anja Roth vom BWGV. „Aber in Zeiten niedriger Zinsen ist das eine sinnvolle Anlage, mit der man gleichzeitig die eigene medizinische Versorgung unterstützt.“
Im Gesundheitswesen sind weder Versorgungszentren noch Genossenschaften neu, wohl aber ihre Kombination. Wie damit junge Ärzte aufs Land gelockt werden, zeigen die ersten Zulassungen im hessischen Lindenfels, Bitburg und Tengen. Während eine Praxisgründung laut Apotheker- und Ärztebank im Schnitt mit 112.000 Euro zu Buche schlägt, genügt bei Genossenschaften eine überschaubare Einlage.
Daraus ergibt sich ein weiterer Vorteil: Viele Studenten beschwerten sich in der Befragung über die hohen Regressforderungen durch die Krankenkassen, wenn ein Arzt das pauschale Budget pro Patient überschreitet. In einer Genossenschaft aber beschränkt sich die Haftung auf den Geschäftsanteil. „Bei unserem Projekt ist die Kassenärztliche Vereinigung von Anfang an beteiligt, sodass der rechtliche Rahmen geklärt ist“, sagt Roth. Denn die Kassenärztlichen Vereinigungen sind für die Zulassung eines MVZ zuständig, wollen aber gleichzeitig nicht auf Regressansprüchen sitzen bleiben.
Abgesehen vom Finanziellen bietet eine solche Kooperation auch praktische Vorzüge. Die Ärzte praktizieren als Angestellte ihrer Genossenschaft, was der gewünschten Work-Life-Balance entgegenkommt. Im Modell des Gemeindetags entfällt außerdem der viel beklagte Verwaltungsaufwand, weil die Beteiligungs-eG alle nicht-ärztlichen Dienstleistungen übernimmt. „Dazu gehört der Bau und die Vermietung
vom Ärztehaus, genauso wie das Personal-Management oder die Abrechnungen“, sagt Fabian Müller.
Spätestens im Herbst soll klar sein, wie das Ganze in den sieben Kommunen und Gemeindeverbünden jeweils angepasst werden muss. Dann wählt das Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz drei Gemeinden, deren MVZ mit staatlicher Förderung realisiert wird.
In Hermaringen ist der Bau eines Senioren- und Pflegezentrums beinahe abgeschlossen, darüber hinaus investiert die Gemeinde in ein Ärztehaus mit Apotheke, Physio- und Ergotherapie. „Hier steht alles bereit“, sagt Bürgermeister Mailänder. „Nur die Ärzte fehlen uns noch.“

Welche Ziele man bisher verfolgt:

Insgesamt 14 Gesundheitsgenossenschaften gibt es in Baden-Württemberg. Häufigster Zweck für die Gründung ist eine gebündelte Kaufkraft. Dazu kommen gemeinsames Marketing, eine zentrale Verwaltung und der Wissensaustausch.
Älteste Ärzte-eG in Deutschland ist die Stuttgarter GenoMed. Die rund 2000 angeschlossenen Praxen erhalten wegen großer Abnahmemengen medizin-technische Geräte vergünstigt. niw