S 22 KR 638/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 22 KR 638/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 10.494,88 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.04.2017 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 10.494,88 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Zahlungsforderung in Höhe von 10.494,88 Euro als Vergütung für eine stationäre Krankenhausbehandlung.

Das für die Behandlung Versicherter zugelassene Krankenhaus der Klägerin behandelte die bei der beklagten Krankenkasse versicherte, am 00.00.1999 geborene Z I (im Folgenden: Versicherte) vom 15.12.2016 bis zum 16.01.2017 stationär. Hierfür stellte die Klägerin der Beklagten am 22.01.2017 einen Betrag in Höhe von 10.494,88 Euro in Rechnung. Die Rechnung wurde von der Beklagten vollständig ausgeglichen.

Am 02.02.2017 beauftragte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung der Notwendigkeit der stationären Behandlung. Der MDK kam in seinem Gutachten vom 22.03.2017 zu dem Ergebnis, eine stationäre Behandlung sei nicht erforderlich gewesen. Am 18.04.2017 verrechnete die Beklagte den Rechnungsbetrag in voller Höhe mit einer Forderung der Klägerin aus dem Behandlungsfall des Versicherten X L.

Mit ihrer am 24.07.2017 erhobenen Klage macht die Klägerin die Zahlung von 10.494,88 Euro geltend und trägt vor, die stationäre Behandlung sei vollumfänglich erforderlich gewesen.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.494,88 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.04.2017 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt nach Einholung eines erneuten Gutachtens des MDK vom 08.11.2017 vor, aus medizinischer Sicht könne nunmehr die Notwendigkeit der stationären Behandlung bestätigt werden. Allerdings habe die Klägerin dem MDK im Rahmen des Prüfverfahrens nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegt. Nach Ablauf der Fristen aus der "Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1c SGB (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV) gemäß § 17c Abs. 2 KHG" in der ab dem 01.01.2015 geltenden Fassung sei die Amtsermittlung auf die Daten beschränkt, die das Krankenhaus dem MDK vorgerichtlich zur Verfügung gestellt habe. Im gerichtlichen Verfahren könnten weitere Unterlagen nicht verwertet werden. Die gerichtliche Aufklärungspflicht sei insoweit eingeschränkt.

Die Klägerin trägt hierzu vor, sie könne keinen Nachweis erbringen, welche Unterlagen vorgerichtlich vorgelegt worden seien. Dies sei jedoch unschädlich. Die Beklagte handele treuwidrig, wenn sie sich auf die formalen Anforderungen der PrüfvV berufe. Diese habe die relevanten Umstände den ihr vorliegenden früheren Behandlungsdaten der Versicherten entnehmen können. Der PrüfvV ließen sich gerade keine im Gerichtsverfahren zu beachtenden materiellen Einwendungs- und Ausschlussfristen entnehmen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Behandlungsdokumentation der Klägerin sowie die von der Beklagten beigezogene Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die auf Zahlung der Behandlungskosten gerichtete Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, da es um einen sogenannten Parteienrechtsstreit im Gleichordnungsverhältnis geht, in welchem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt.

Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht der volle streitgegenständliche Betrag von 10.494,88 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 19.04.2017 zu.

Die Rechtsgrundlage für einen Vergütungsanspruch eines zugelassenen Krankenhauses gegenüber einer Krankenkasse bildet § 109 Abs. 4 Satz 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit § 7 Abs. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG). Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht nach ständiger Rechtsprechung unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und im Sinne des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist (vgl. BSG, Urteil vom 30.06.2009, Az. B 1 KR 24/08 R).

Gemäß § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Der Leistungsumfang umfasst gemäß §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3, 39 SGB V auch Krankenhausbehandlung, die vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht wird. Der Sachleistungsanspruch des Versicherten umfasst vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Die Erforderlichkeit der stationären Behandlung der Versicherten und die ordnungsgemäße Abrechnung sind zwischen den Beteiligten zuletzt unstreitig. Dieser Vergütungsanspruch erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte wirksam mit einem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung eines anderen Versicherten analog § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Aufrechnung erklärte. Denn ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch aus diesem Behandlungsfall steht der Beklagten nicht zu. Diese stationäre Behandlung war - unstreitig - medizinisch erforderlich.

Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang die Ansicht vertritt, dass aus der PrüfvV ein Einwendungsausschluss bzw. ein Beweisverwertungsverbot für das Gerichtsverfahren resultiere, weil die Klägerin vorgerichtlich nicht alle Unterlagen übersandt habe, folgt die Kammer dieser Rechtsauffassung nicht. Aus der PrüfvV folgt weder eine Präklusion in medizinisch-tatsächlicher Hinsicht noch eine eingeschränkte Amtsermittlung durch das Gericht, wenn die dort genannten Fristen nicht eingehalten wurden. Die Inhalte der PrüfvV sind nach § 2 Abs. 2 PrüfvV für die Krankenkassen, den MDK und die zugelassenen Krankenhäuser zwar unmittelbar verbindlich. Diese Verbindlichkeit bezieht sich aber nur auf das Prüfungsverfahren selbst, nicht auf ein sich hieran anschließendes Gerichtsverfahren. Ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage kann die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nicht eingeschränkt werden. Diesem Ergebnis entspricht der Sinn und Zweck sowie die Historie der PrüfvV. Die PrüfvV bezieht sich nämlich lediglich auf eine Beschleunigung und bundesweit einheitliche Gestaltung des Prüfverfahrens, weil die Ermächtigungsgrundlage in §17c KHG und die §§ 275 ff. SGB V allein auf dieses Verfahren ausgerichtet sind. Es dürfen nach der Ermächtigungsnorm lediglich Abweichungen im Hinblick auf die - hier nicht relevante - Sechswochenfrist zur Einleitung des Prüfverfahrens gemäß § 275 Abs. 1c Satz 2 SGB V vorgenommen werden.

Die PrüfvV als untergesetzliche Norm ist zudem nicht geeignet, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses nach dem SGB V einzuschränken. Nach der Rechtsprechung des BSG sind materiell-rechtliche Ausschlussfristen zu Lasten der Versichertengemeinschaft unzulässig, weil sie zur Folge haben, dass Krankenkassen verpflichtet werden, im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot Vergütungen auch für nicht erforderliche Krankenhausbehandlungen zu zahlen, und zudem gehindert sind, eigene Erstattungsansprüche im Falle von ungerechtfertigten Überzahlungen geltend zu machen. Gleiches muss auch für Vergütungsansprüche der Krankenhäuser gelten.

Dessen ungeachtet ist fraglich, ob § 7 Abs. 2 Satz 3 PrüfvV (in der bis zum 31.12.2015 gültigen Fassung) überhaupt als Ausschlussfrist konzipiert war, weil die Vertragsparteien der PrüfvV darin - anders als etwa in § 6 Abs. 2 Satz 3 PrüfvV und § 8 Satz 4 PrüfvV - nicht davon sprachen, dass es sich um eine Ausschlussfrist handele. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, weil auch die Konzeption als Ausschlussfrist keine Auswirkungen auf das Gerichtsverfahren hätte (zum Vorstehenden insgesamt Sozialgericht Detmold, Urteil vom 16.11.2017, Az. S 24 KR 836/16 m.w.N.).

Damit steht der Klägerin der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von 10.494,88 Euro zu. Diesen hat die Beklagte nach § 15 Abs. 1 Satz 3 Landesvertrag NRW antragsgemäß zu verzinsen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Teils. 3 SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Teils. 1 SGG i. V. m. §§ 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1, 63 Abs. 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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