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Bünde

Interview: "Ohne Kooperation kann das Lukas-Krankenhaus auf Dauer nicht bestehen"

Der geschäftsführende Klinikdirektor Dr. Steffen Krummbein und Geschäftsführer Roland von der Mühlen sprechen über die Veränderungen.

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Doppelte Führungsspitze: Geschäftsführer Roland von der Mühlen und geschäftsführender Klinikdirektor Dr. Steffen Krummbein. | © GERALD DUNKEL

Doppelte Führungsspitze: Geschäftsführer Roland von der Mühlen und geschäftsführender Klinikdirektor Dr. Steffen Krummbein. | © GERALD DUNKEL

30.06.2019 | 30.06.2019, 21:15

Bünde. Wechsel in der Führungsspitze, Umwandlung vom „Verein Evangelisches Krankenhaus Bünde" in die „Lukas-Krankenhaus Bünde gGmbH", Kooperation mit dem Wettbewerber und Gegner Klinikum Herford und der Einstieg des Kreises Herford als Gesellschafter: Im Bünder Krankenhaus hat sich in den vergangenen Jahren eine Menge getan – auch baulich, wenn man an die Millionen-Investition am Bettenhaus betrachtet. Sogar rund eine Million Euro für die Anschaffung eines Magnetresonanztomographen (MRT oder Kernspin) gab man aus. Besonders die strukturellen Veränderungen machten Mitarbeitern zum Teil Sorge. Die beiden Männer an der Spitze sehen Haus und Mitarbeiter aber gut aufgestellt für die Zukunft.

Herr Dr. Krummbein, Seit dem Weggang von Herrn Sorgenfrei sind Sie geschäftsführender Klinikdirektor. Was hat sich für Sie geändert? Wie oft stehen Sie in dieser neuen Funktion noch am Operationstisch?

STEFFEN KRUMMBEIN: Primär bin ich Chefarzt und Chirurg. Das bin ich mit Leib und Seele und daran wird sich auch nichts ändern. Ich stehe selbst noch oft am Tisch, habe aber auch ein sehr gutes Team aufgebaut, das mir viel abnehmen kann. Mein Oberarztteam ist stabil seit gut 14 Jahren.

Was sind genau Ihre Aufgaben in Ihrer neuen Funktion?

KRUMMBEIN: Im Grunde sind es die Aufgaben, die Herr Sorgenfrei größtenteils abgedeckt hat. Natürlich auch nur zum Teil, denn er war in erster Linie Vorstand und nicht als Arzt tätig. (Anm. d. Red.: Dr. Sorgenfrei war als Vorstand des Lukas-Krankenhauses auch Neurologe und Psychiater und nahm in diesen Eigenschaften in gewissem Umfang auch medizinische Konsile im neurologischen Institut des Lukas-Krankenhauses wahr).

Und welche Aufgaben sind das konkret?

KRUMMBEIN: Ich bin zuständig für die medizinische Qualität im Haus und Ansprechpartner in der Geschäftsleitung für das medizinische wie ärztliche Personal und Leistungen. Es gibt ein ökonomisches Controlling, für das Herr von der Mühlen verantwortlich ist, und es gibt das medizinische Controlling. Letzteres ist mein Bereich.

ROLAND VON DER MÜHLEN: Im Lukas-Krankenhaus ist es Tradition, dass ein Arzt in der Unternehmensleitung immer vertreten ist. Es kann nur von Vorteil sein, wenn sich die Unternehmensleitung nicht nur mit den reinen Zahlen beschäftigt, sondern auch mit den inhaltlichen, qualitativen und medizinischen Voraussetzungen für die Erfüllung unseres Versorgungsauftrages.

Herr von der Mühlen, Sie wurden im Januar 2014 Kaufmännischer Direktor des Lukas-Krankenhauses und sind seit 2017 Geschäftsführer. Wie haben Sie Bünde und die Bünder im Zusammenhang mit dem Krankenhaus kennengelernt?

VON DER MÜHLEN: Ich habe hier auf jeden Fall wahrgenommen, dass das Lukas-Krankenhaus „in der Mitte der Stadt" den Bürgern sehr stark am Herzen liegt.

Woran haben Sie das gemerkt?

VON DER MÜHLEN: Daran, dass die Öffentlichkeit sehr stark an krankenhausinternen Vorgängen Anteil nimmt. Ich selbst komme aus dem Ruhrgebiet, dort finden Entwicklungen in einzelnen Krankenhäusern kaum Beachtung in der Öffentlichkeit. Das ist hier in Bünde ganz anders, wie wir aktuell an den Diskussionen um die Veränderungen in der Onkologischen Ambulanz sehen. Den Bürgern steht ihr Krankenhaus sehr nah. Und darüber hinaus sind wir der zweitgrößte Arbeitgeber in der Stadt.

Sehen Sie diese Anteilnahme denn als Vor- oder Nachteil?

VON DER MÜHLEN: Es ist auf jeden Fall ein Vorteil, denn diese Anteilnahme hat ja eine Tradition. Als ich hier angefangen habe, wurden wir 125 Jahre alt, seit Gründung wird das Haus von einem Bürger-Verein getragen. Wo gibt es das sonst, dass sich Bürger noch selbst in einem Verein engagieren, der sich mit einem Krankenhaus um die medizinische Versorgung kümmert? Das bedeutet natürlich auch eine breitere Öffentlichkeit und Diskussion.

Wohnen Sie denn mittlerweile selbst in Bünde?

VON DER MÜHLEN: Ja.

...und Sie, Dr. Kummbein, als Chefarzt ja sowieso. Gilt für Chefärzte eigentlich eine „Residenzpflicht"?

KRUMMBEIN: Nein, das ist nicht mehr zeitgemäß, so etwas vertraglich festzuhalten. Aber es liegt ja in meinem ureigensten Interesse als Chefarzt, innerhalb kürzester Zeit im Krankenhaus bei den Patienten zu sein. Für mich stand das nie zur Diskussion, nicht in Bünde zu wohnen.

Was bedeutet der bundesweite Fachkräftemangel für das Lukas-Krankenhaus?

VON DER MÜHLEN: Die Krankenhäuser laufen perspektivisch in einen Fachkräftemangel hinein. Wie in einem Krankenhausreport neulich zu lesen war, werden in Deutschland 2030 4,9 Millionen Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen insgesamt gebraucht, dem steht aber dann nur ein Arbeitsangebot von 3,6 Millionen gegenüber. Und wir kommen jetzt in die geburtenschwachen Jahrgänge. Zukünftiger Fachkräftemangel ist also ein sehr großes Thema für die Krankenhäuser, um die derzeitigen Versorgungsangebote aufrechterhalten zu können, insbesondere im ärztlichen Bereich und in der Pflege. Besonders bei diesen Themen ist es auch wieder wichtig, einen Arzt in der Geschäftsleitung zu haben, der das Ganze aus der beruflichen und ausbildenden Sicht beurteilen kann.

Was konkret muss sich in den Voraussetzungen ändern?

KRUMMBEIN: Im ärztlichen Bereich ist das Problem, dass zu Wenige zum Medizinstudium zugelassen werden.

Wegen der Beschränkung durch den Numerus clausus?

KRUMMBEIN: Ich halte den Numerus clausus für hochgradig albern. Einige von denen, die ein Abi von 1,0 haben, studieren Medizin, weil sie es können – aber nicht unbedingt, weil es ihre primäre Berufswahl ist.

VON DER MÜHLEN: Es gibt aktuell viele Änderungen durch den Gesetzgeber wie Pflegepersonaluntergrenzen und Pflegepersonalstärkungsgesetz, die begrüßenswert sind. Aber man hätte schon Jahre vorher beginnen müssen, die Ausbildungskapazitäten dafür zu erweitern. Wir sind im Lukas-Krankenhaus noch in einer sehr glücklichen Lage, weil wir die Pflege immer sehr hoch gehalten haben und einen großen Anteil an examiniertem Pflegepersonal beschäftigen. Es gibt aber bereits Häuser, die sich zeitweise von der Versorgung abmelden, weil sie das übergangsweise nicht mehr bewerkstelligen können.

Also einfach Personal einzustellen, funktioniert nicht?

VON DER MÜHLEN: Richtig. In ein paar Jahren wird den Krankenhäusern vorgeworfen werden, nicht genügend Personal eingestellt zu haben. Aber woher? Es gibt dieses Personal dann nicht. Genauso ist es bei den Ärzten auch. Die Ausbildungskapazitäten wurden über Jahrzehnte nicht erweitert. Für das Sommersemester 2019 Medizin lag die Quote der Bewerber je Studienplatz bei 11:1.

Vor einigen Jahren wurde die Frauenklinik hier im Lukas-Krankenhaus geschlossen. Von einer Million Euro Minus pro Jahr war da die Rede. Jährlich kommen aber immer noch mehr als 300 Bünder in anderen Häusern zur Welt. War das rückwirkend betrachtet der richtige Schritt?

KRUMMBEIN: Das System ist eng gestrickt. Man versucht, besonders die kleineren Häuser durch ökonomische Zwänge in die Knie zu zwingen. Was aber nie bewertet wird – und was auch unser Haus besonders auszeichnet und deshalb bin ich nach so langer Zeit noch hier – das ist die Wärme, die es ausstrahlt. Und das merken die Patienten. Es wird immer Frauen geben, die ihr Kind gern in Bünde zur Welt bringen würden. Aber die Voraussetzungen dafür waren nicht mehr gegeben.

Wie weit sind Sie in der Kooperation mit dem Klinikum in Bezug auf eine Pflegeschule in Herford?

VON DER MÜHLEN: Wir sind weiter dabei, die Pläne für eine zentrale Schule in Herford zu betreiben. Da sind die Verhandlungen aber noch nicht abgeschlossen. Fakt ist aber, dass wir 2019 den Ausbildungsgang wie gewohnt noch hier in Bünde beginnen werden.

Ein großes Thema in den Köpfen der Bürger, aber auch Krankenhausmitarbeiter, ist die Kooperation mit dem Klinikum Herford, nachdem der Kreis nun 25 Prozent der Anteile am Lukas-Krankenhaus hält. Das hat auch für Unruhe gesorgt. Wie gehen Sie und die Mitarbeiter jetzt damit um?

KRUMMBEIN: Ich denke, das hat sich beruhigt. Aber man darf auch nicht vergessen, dass das Klinikum zuvor unser Wettbewerber war – und Gegner. Das wurde auch gepflegt. Und dieser Wettbewerber sollte dann unser Partner werden. Das war für viele schwierig zu verstehen. In einem Schreiben an die Belegschaft haben wir noch einmal erklärt, dass wir alleine nicht bestehen können. Wir wollen gute Medizin machen und auch das warme, empathische Krankenhaus sein, aber gleichzeitig werden wir finanziell immer mehr aus den genannten Gründen in die Enge getrieben. Da bleibt nur der Weg, dass man bestimmte Dinge mit anderen zusammen macht. Das Klinikum ist da naheliegend.

Aber ist denn noch die Sorge der Mitarbeiter zu spüren?

KRUMMBEIN: Insgesamt hat sich das beruhigt. Man muss einfach auch über die Dinge reden, die dafür sprechen. Die Strahlentherapie zum Beispiel. Seit über zehn Jahren haben wir als Darmzentrum eine reibungsfreie Zusammenarbeit mit dem Klinikum. Auch in der Psychoonkologie gibt es Kooperationen. Was spricht dagegen, Patienten für die Therapien, die wir hier nicht vorhalten, nach Herford zu schicken?

VON DER MÜHLEN: Für die Belegschaft war es schwer zu verstehen, warum wir das ohne wirtschaftliche Not getan haben. Aber das ist das Jetzt, und wir müssen eben die Voraussetzungen schaffen, dass wir das in fünf bis zehn Jahren auch weiterhin in derselben Qualität und wohnortnah machen können. Ein Haus unserer Größe muss sich mit anderen zusammen organisieren, denn um uns herum haben sich alle anderen Krankenhäuser schon so organisiert. Dass der Kreis in Lukas-Krankenhaus eingestiegen ist, ist ja vor allem ein Zeichen, dass der Kreis Herford die medizinische Versorgung seiner Bürger stärken und sicherstellen will.

Wo sehen Sie das Lukas-Krankenhaus in zehn Jahren?

KRUMMBEIN: Ich sehe es qualitativ hochwertig aufgestellt. Allerdings nicht als Stand-alone-Lösung, sondern in einer Kooperation.

VON DER MÜHLEN: Wie sich der stationäre Versorgungsbedarf im Kreis entwickelt, ist über einen Zehn-Jahres-Zeitraum schwer vorherzusehen. Aber wir haben 281 Betten und Bünde ist damit als Krankenhausstandort im Kreis Herford auch zukünftig unverzichtbar. Leider gibt es immer noch eine gesetzgeberisch starre Trennung zwischen stationärem und ambulanten Sektor. Das wird man sich zukünftig nicht mehr leisten können. Bis Sie heute in einem Krankenhaus aufgenommen werden, haben mehrere verschiedene Stellen Ihre Krankenkassenkarte eingelesen und Sie haben einen Stapel Formulare unterschrieben. Meine Wunschvorstellung wäre jedenfalls, dass hier über die Jahre ein Bürokratieabbau stattfindet und sich insbesondere das medizinische Personal wieder auf das konzentrieren kann, was man gelernt hat und wozu man da ist: auf die ärztliche, medizinische und pflegerische Versorgung von Patienten.

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Das Gespräch führte Gerald Dunkel