Schorndorf

Krankenkassen wollen minimalinvasive Meniskus-OP nicht zahlen

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Er kann nichts tun: Der Schorndorfer Orthopäde Dr. Matthias Müller-Eißfeldt darf Kassenpatienten keine minimalinvasive Meniscus-Operation mehr anbieten. Denn die Krankenkassen würden die Kosten nicht tragen. © ZVW/Gaby Schneider

Meniskus-Operationen können seit rund 25 Jahren minimalinvasiv durchgeführt werden. Diese Methode sei, so sagt der Schorndorfer Orthopäde Dr. Matthias Müller-Eißfeldt, international anerkannt und Stand der Wissenschaft. Doch ein Urteil des Stuttgarter Sozialgerichts gibt den deutschen Krankenkassen recht, die diese Methode nicht zahlen wollen. Patienten, sagt Müller-Eißfeldt, könnten jetzt „nicht mehr optimal“ versorgt werden.

Der Meniskus, jener Knorpel im Knie, der zwischen dem Ober- und dem Unterschenkelknochen das Polster gibt, ist für ein schmerzfreies Gehen und Springen unerlässlich. Meniskus-Verletzungen passieren vor allem bei schnellen Drehungen und beim schnellen Beugen und Strecken. Sportler leiden oft darunter. Im schlimmsten Fall können sie ihr Knie überhaupt nicht mehr bewegen.

Behandelt werden gerissene Menisken, indem der kaputte Teil entfernt wird oder indem der Operateur den Knorpel wieder zusammennäht. Vor allem bei jüngeren Patienten ist das das Vorgehen der Wahl. Denn fehlt der dämpfende Knorpel, ist eine Arthrose des Kniegelenks absehbar und damit Schmerzen und die nächste OP, in der eine Prothese eingesetzt werden muss.

Seit Mitte der 90er Jahre können Meniskuseinrisse minimalinvasiv operiert werden. Das heißt: Der Chirurg muss nur noch zwei sehr kleine Schnitte unterhalb der Kniescheibe setzen. Ein Schnitt ist für die Kamera. Der zweite für die Gerätschaft, mit der genäht wird. Mittels dieses speziellen Geräts wird eine Nadel durch den Knorpel gestochen. In der Nadel liegen Fäden und ein kleiner Anker. Diesen Anker kann man sich vorstellen wie einen Spreizdübel. Er wird hinter der Verletzung platziert, legt sich quer und bleibt damit an Ort und Stelle, Nadel und Faden ziehen sich zurück, und der erste Stich, der die beiden Knorpelteile verbindet, ist getan. Diese Methode heißt „Refixation“. Dr. Matthias Müller-Eißfeldt, Orthopäde aus Schorndorf, bezeichnet die Methode als „einfach genial“.

Drei Zentimeter langer Schnitt in die Kniekehle

Bevor es diese Technik gab, musste die Nadel von vorne unter der Kniescheibe eingeführt werden. Hinten in der Kniekehle wurde ebenfalls geschnitten. Und zwar gute drei Zentimeter lang. Dort holte der Operateur die Nadel dann raus, um sie zu wenden und den fixierenden Stich zurücksetzen zu können. In der Kniekehle laufen Nervenstränge und eine Beinschlagader. Traf der Chirurg diese heiklen Stellen, hatte der Patient unter schlimmen Folgen zu leiden.

Doch auch wenn der Schnitt perfekt platziert war – die Methode schätzt Müller-Eißfeldt deutlich weniger. Denn, so sagt er, mehr und größere Schnitte bergen ein höheres Infektionsrisiko und bedeuten eine längere Heilungsphase. Da die Methode mit den drei Schnitten länger dauert, steige auch das Narkoserisiko. Und während die minimalinvasive Operation ambulant über die Bühne geht, ziehe die alte Methode oft einen Krankenhausaufenthalt nach sich.

Der einzige Nachteil: Die endoskopischen Gerätschaften sind teuer. Die Sachkosten, die die Krankenkassen zu tragen haben, sind deutlich höher als bei der althergebrachten Methode. Pro gesetztem Anker sind, so Müller-Eißfeldt, mit etwa 350 Euro an Materialkosten zu rechnen. Bei großen Meniskusrissen braucht’s schon zwei bis sogar drei Anker. Macht über tausend Euro.

Die Krankenkasse wollte diese Zusatzkosten nicht tragen

Das gefällt den Krankenkassen nicht. Am 10. Februar 2015 verkündete das Sozialgericht Kiel das Urteil in einem Streit um eine Meniskusoperation, die im Mai 2011 durchgeführt worden war. Der Chirurg hatte minimalinvasiv und mit dem Anker-System gearbeitet. Die Krankenkasse wollte diese Zusatzkosten nicht tragen. Die Streitparteien waren sich einig, dass das Ergebnis der Knieoperation mit einer gut durchgeführten konventionellen Methode genauso gut hätte sein können. Der Operateur hob die schonendere Art und Weise und das verminderte Komplikationsrisiko hervor.

Das Gericht urteilte: Krankenkassen dürften nur Leistungen bezahlen, die „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ seien. Die minimalinvasive Methode aber entspreche „dem aktuell anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft“, mindere die Gefahr von Verletzungen von Gefäßen und Nerven, sei ambulant durchführbar und verkürze die Zeit der Rekonvaleszenz nach der Operation. Die Krankenkasse musste damals die Kosten tragen.

Die Verwendung der Anker entspreche nicht dem „Wirtschaftlichkeitsgebot“

Etwa drei Jahre nach diesem Urteil, am 13. September 2018, wurde in einem vergleichbaren Fall wieder ein Urteil gesprochen. Diesmal am Sozialgericht in Stuttgart. Es ging um den verletzten Meniskus einer sehr jungen Patientin, die im Januar 2015 ambulant und ebenfalls minimalinvasiv und mittels Anker-System behandelt worden war. Doch diesmal wurde zugunsten der klagenden Krankenkasse entschieden. Die Verwendung der Anker entspreche nicht dem „Wirtschaftlichkeitsgebot“, da eine gleichermaßen zweckmäßige, aber günstigere Behandlungsmethode existiere. Bei gleichem Heilerfolg sei die Maßnahme auszuwählen, die „die geringsten Kosten verursacht“. Der einzige Vorteil der minimalinvasiven Methode sei die Zeitersparnis beim Operieren. Das Besondere bei diesem Urteil: Das Gericht ließ keine Berufung zu. Das Urteil war damit sofort für die beiden damaligen Streitparteien bindend.

„Wir können“, sagt Matthias Müller-Eißfeldt, „Patienten jetzt nicht mehr optimal versorgen.“ Eine Meniskus-Operation nach der althergebrachten Methode berge ein viel größeres Risiko, doch eventuelle Folgekosten interessierten die Krankenkassen nicht.

Was aber geht einen Schorndorfer Orthopäden das Gerichtsurteil irgendeines anderen Arztes an? Nun, die Ärzte sehen eine Klage- und Kostenwelle auf sich zukommen: „Manche Krankenkassen, insbesondere die AOK Baden-Württemberg, die BEK und andere, gehen nun hin und verweigern, mit Bezug auf das Urteil, in allen Fällen die Erstattung der Meniskus-Naht-Implantat-Systeme“, schreibt Dr. Ralf Müller-Rath, Vorsitzender des Berufsverbands für Arthroskopie. Die Ärzte fürchteten daher jetzt, „persönlich in Regress genommen zu werden“, das heißt, die Implantate aus eigener Tasche bezahlen zu müssen, falls sie sie dennoch einsetzen.

Bundesweit unterschiedliche Handhabung

Offenbar sind vor allem in Baden-Württemberg die Krankenkassen sehr sparsam. Müller-Rath schreibt: „Bundesweit wird das Thema sehr unterschiedlich gehandhabt, und in vielen Regionen besteht gar kein Problem.“

Tatsächlich erklärt die AOK Ludwigsburg-Rems-Murr: Das Sozialgericht sei zu der Überzeugung gekommen, dass die Verwendung der Anker „nicht dem Wirtschaftlichkeitsgebot“ entspräche. „Damit dürfen Fast-Fix-Ankersysteme von den Krankenkassen bis auf weiteres nicht mehr bezahlt werden. Müller-Rath erklärt dazu: „Damit können die Ärzte die zumeist jungen Patienten nicht mehr gemäß der Leitlinie und dem aktuellen medizinischen Standard versorgen.“

Auch der Schorndorfer Orthopäde Matthias Müller-Eißfeldt sieht keinen Ausweg aus der Misere. Leistungen, die „nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken“, hieß es schon 2015 im Urteil von Kiel. Anders als beim Zahnarzt, wo vieles längst über den privaten Geldbeutel läuft, dürfen Orthopäden selbst Kassenpatienten, die es sich leisten könnten, die minimalinvasive OP nicht einmal als Selbstzahlerleistung anbieten.

Zeitverzögerung

Das Stuttgarter Urteil wurde am 13. September 2018 verkündet. Laut Dr. Matthias Müller-Eißfeldt wurde das Urteil aber erst im April unter den Ärzten bekannt. Im Mai sei es den betroffenen Ärzten von der Kassenärztlichen Vereinigung mitgeteilt worden. Berufsverbände waren etwas früher dran. Der Berufsverband für Arthroskopie beispielsweise informierte seine Mitglieder am 18. März. Die Verzögerung erklärt der Vorsitzende Müller-Rath mit der „fehlenden Veröffentlichung des Urteils in gängigen juristischen Datenbanken“.

In der Zeit von der Verkündung des Urteils bis zur Kenntnisnahme durch die Ärzte seien, sagt Müller-Eißfeldt, schon viele Operationen durchgeführt worden. Für diese werden die Krankenkassen möglicherweise nicht mehr aufkommen.

In einem Schreiben des Berufsverbands für Arthroskopie wird den Ärzten empfohlen, Patienten vor der Operation eine Kostenübernahmeerklärung der Krankenkasse einholen zu lassen. Wird die Kostenübernahme abgelehnt, könnten die Ärzte den ambulanten Eingriff ablehnen.

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