S 5 KR 167/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 167/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 758,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.01.2013 zu zahlen. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 758,24 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für eine stationäre Behandlung.

Der bei der Klägerin versicherte I M, geboren am 00.00.1953 (im Folgenden: Versicherter) war in der Zeit von 19.10.2012 bis 22.10.2012 in stationärer Behandlung in dem nach § 108 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) zugelassenen Krankenhaus der Beklagten.

Bei dem Versicherten bestand eine große Nabelhernie. Diese wurde im Rahmen der stationären Behandlung operativ versorgt mittels transperitonealer laparoskopischer Technik mit Netzimplantation.

Die Beklagte forderte für die Behandlung mit Rechnung vom 24.10.2012 eine Gesamtvergütung i.H.v. 2.398,80 Euro. Die Klägerin überwies den Betrag am 24.01.2013 und beauftragte am 30.10.2012 den Medizinischen Dienst mit der Überprüfung des Behandlungsfalls.

Mit Gutachten vom 26.09.2013 kam der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Westfalen-Lippe (MDK) zu dem Ergebnis, dass derartige Eingriffe auf der Grundlage des § 115 b SGB V grundsätzlich ambulant durchgeführt werden können. Die Aufnahme zur stationären Behandlung sei zwar wegen der arteriellen Hypertonie, einer depressiven Episode sowie einer Adipositas noch nachvollziehbar, allerdings hätte der Versicherte nach einem Überwachungstag das Krankenhaus verlassen können. Gerechtfertigt sei daher die stationäre Behandlung nur für die Zeit vom 19.10.2012 bis zum 20.10.2012.

Die Klägerin forderte auf der Grundlage des Gutachtens mit Schreiben vom 30.09.2013 die Rückforderung des Differenzbetrages in Höhe von 758,24 Euro.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 24.10.2013 mit, dass sie sich der Meinung des Gutachters nicht anschließen könne. Der Versicherte habe noch am 20.10.2012 über Schmerzen geklagt.

In der weiteren Stellungnahme vom 04.11.2013 blieb der MDK bei seiner Einschätzung. Aus der Pflegedokumentation ergebe sich, dass der Versicherte ab dem 20.10.2012 in der grundpflegerischen Versorgung selbstständig war. Die Schmerzmedikation sei auch im ambulanten Setting verordnungsfähig gewesen.

Die erneute Aufforderung der Klägerin, den Differenzbetrag zu erstatten, blieb erfolglos.

Mit der bei Gericht am 23.02.2016 bei Gericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Rückzahlung des Differenzbetrages. Zur Begründung führt sie aus, Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit sei über den 20.10.2012 hinaus nicht gegeben. Dies ergebe sich aus den Ausführungen des MDK. Die Schmerztherapie sei nicht an die stationäre Erbringungsform gebunden gewesen, zumal das Krankenhaus nicht dokumentiert habe, in welchem Schweregrad Schmerzen bei dem Versicherten bestanden.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag i.H.v. 758,24 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 24.01.2013 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, der längere Verbleib in stationärer Behandlung sei medizinisch notwendig gewesen. Der Versicherte habe über Schmerzen berichtet. Insbesondere seien in der Pflegedokumentation Schmerzen bei der Mobilisation angegeben worden. Aus diesem Grunde wurde Oxycodon verabreicht. Hierbei handle es sich um ein Präparat, das mit anderen üblichen Schmerzmitteln gemeinsam verabreicht werde. Außerdem habe es sich um einen Risikopatienten gehandelt. Die Begleiterkrankungen hätten berücksichtigt werden müssen. Daneben sei die Operation selbst risikobehaftet gewesen.

Das Gericht hat zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts ein Gutachten des Facharztes für Chirurgie Prof. Dr. L eingeholt. Auf Inhalt und Ergebnisse des am 08.06.2017 erstatteten Gutachtens wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten im Sach- und Streitstand nimmt die Kammer Bezug auf den Inhalt der Gerichtsakte, den der beigezogenen Verwaltungsakte der Klägerin und den Inhalt der Patientendokumentation. Die Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die auf Rückzahlung der Behandlungskosten des Versicherten gerichtete Klage ist als echte Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, denn es geht um einen sogenannten Parteienrechtsstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt nicht in Betracht kommt.

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Erstattung überzahlter Behandlungskosten in Höhe der geltend gemachten Klageforderung.

Rechtsgrundlage für die Forderung der Klägerin ist der allgemeine öffentlich rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts hergeleitete Anspruch besagt, dass Leistungen, die auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts ohne Rechtsgrund erbracht worden sind, zurück zu erstatten sind (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 28.09.2006, B 3 KR 20/05 R; SozR 4-1500 § 92 Nr. 3).

Ein solcher öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch besteht vorliegend, da die Klägerin Leistungen für die stationäre Behandlung des Versicherten zu Unrecht erbracht hat.

Rechtsgrundlage der von der Beklagten geltend gemachten Vergütung ist § 109 Abs. 4 Satz 3 Sozialgesetzbuch, 5. Buch (SGB V) i.V.m. § 7 S 1 des Gesetzes über die Entgelte für voll- und teilstationäre Krankenhausleistungen (Krankenhausentgeltgesetz-KHEntgG) und § 17 b des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG), die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2012 und die von den Vertragsparteien auf Bundesebene getroffene Vereinbarung zu den Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) für das Jahr 2012.

Die Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und i. S. d. § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist. Der Behandlungspflicht der zugelassenen Krankenhäuser nach § 109 Abs. 4 Satz 2 SGB V steht ein Vergütungsanspruch gegenüber. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert in aller Regel mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Demgemäß müssen beim Versicherten bei der Aufnahme in das Krankenhaus grundsätzlich die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sowie Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit (vgl BSG, Urt. v. 14.10.2014, - B 1 KR 27/13 R - juris) vorliegen.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die zur Krankenbehandlung gehörende Krankenhausbehandlung (§ 27 Abs.1 Satz 2 Nr. 5 SGB V) ist nur dann erforderlich, wenn die notwendige medizinische Versorgung allein mit Hilfe der besonderen Mittel eines Krankenhauses durchgeführt werden kann. Die Krankenhausbehandlung wird gemäß § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB V vollstationär, teilstationär, vor- und nachstationär sowie ambulant erbracht. Der Anspruch ist gerichtet auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V; BSG, Urt. v. 16.05.2012, - B 3 KR 14/11 R - juris). Die Frage, ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach medizinischen Erfordernissen (BSG, Großer Senat, Beschl. v. 25.09.2007, - GS 1/06; BSG -, Urt. v. 16.12.2008, - B 1 KN 3/08 KR R - juris). Eine vollstationäre Krankenhausbehandlung ist daher nur dann zur Verfügung zu stellen, wenn sie wegen des Gesundheitszustands des Versicherten erforderlich ist.

Das war vorliegend für die Zeit nach dem 20.10.2012 nicht der Fall.

Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen. Danach waren die besonderen Mittel des Krankenhauses nach dem 20.10.2012 nicht mehr erforderlich. Diese wurden auch nicht angewandt. Insbesondere konnte die Schmerzmedikation oral verabreicht werden und erforderte keine stationäre Überwachung. Dabei bestätigt der Sachverständige die Durchführung der Operation unter stationären Bedingungen aufgrund der Größe des Nabelbruchs. Dennoch ist der Eingriff entgegen der Auffassung der Beklagten als relativ klein anzusehen, so dass auch der postoperative Wundschmerz relativ gering ausfällt. Die von den behandelnden Ärzten und dem Pflegepersonal dokumentierten Schmerzen waren offenbar nicht erheblich, denn ein Schmerzprotokoll über die Intensität der Schmerzen wurde nicht angefertigt.

Soweit die Beklagte darauf hinweist, es habe sich um eine große und komplikationsreiche Nabelhernie gehandelt, rechtfertigt dies nicht zwangsläufig die Notwendigkeit einer längeren stationären Behandlung. Insofern verkennt die Beklagte nach Auffassung der Kammer, dass der Umfang der Operation bereits die stationäre Behandlungsbedürftigkeit an sich begründet. Sofern sich aus diesem Umstand die Notwendigkeit einer längeren Verweildauer ergeben sollte, muss sich dieser Umstand in der Patientendokumentation aufgrund der festgestellten Befunde und der dokumentierten Schmerzen niederschlagen. Dies ist allerdings nicht der Fall. Es wurde lediglich auf die vom Versicherten geäußerten Beschwerden hingewiesen, die medikamentös behandelt worden sind. Eine exakte Erfassung der Schmerzen erfolgte nicht. Der MDK weist insoweit zutreffend darauf hin, dass nach der S3-Leitlinie "Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen" die Erfassung der Schmerzintensität unmittelbar vor und 30 Minuten nach medikamentöser Verabreichung von Schmerzmitteln erforderlich gewesen wäre, um aus diesem Gesichtspunkt heraus stationäre Behandlungsbedürftigkeit ableiten zu können. Der Versicherte hat vorliegend Oxygesic 2 x 10 mg täglich erhalten, ohne dass zwischenzeitlich die Schmerzintensität erfasst worden ist. Diese Schmerztherapie hätte auch unter Berücksichtigung des starken Wirkstoffes ambulant fortgeführt werden können. Gegebenenfalls hätte eine poststationäre Behandlung am zweiten postoperativen Tag durchgeführt werden können. Der dokumentierte Gesundheitszustand des Versicherten ließ es daher zu, das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen, insbesondere durch ambulante Behandlung zu erreichen. Der im Regelungssystem des SGB V angelegte Vorrang der vertragsärztlichen vor der stationären Behandlung wurzelt dabei im Kern im Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V, § 70 Abs. 1 SGB V (std. Rspr. BSG, vgl. BSG, Urteil vom 17.09.2013).

Ebenso sind weitere Begleiterkrankungen, die gegebenenfalls eine längere stationäre Behandlungsdauer rechtfertigen können, nicht dokumentiert. Die bei dem Versicherten vorhandene Adipositas vermag die Notwendigkeit der weiteren stationären Behandlung nicht zu begründen. Auch insoweit verkennt die Beklagte, dass sich hieraus zwar die Notwendigkeit der stationären Durchführung der Operation ergeben mag, nicht aber die über den postoperativen Tag hinausgehende Verweildauer. Dies erfordert nach der oben bezeichneten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts den Einsatz der besonderen Mittel des Krankenhauses, die im Falle des Versicherten insbesondere unter Berücksichtigung der Angaben in der Patientendokumentation nicht zum Tragen gekommen sind.

Zu weiteren Ermittlungen sah sich die Kammer nicht veranlasst. Die Kritik der Beklagten an dem Gutachten des Sachverständigen geht in erster Linie dahin, dass die Operationsmethode und der Umfang des Eingriffs verkannt werden. Dieser Aspekt ist jedoch nach Auffassung der Kammer für die Beurteilung der Notwendigkeit des Verbleibs eines Versicherten in der stationären Behandlung allenfalls zweitrangig. Vielmehr ist - wie bereits ausgeführt - von Bedeutung, wie sich der Gesundheitszustand des Versicherten postoperativ darstellt. Hierzu hat der Sachverständige die für die Entscheidungsfindung notwendigen Feststellungen getroffen.

Die Klage war daher erfolgreich.

Der Zinsanspruch ist ab dem 25.01.2013 in der geltend gemachten Höhe gerechtfertigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197 a Abs. 1 SGG i.V.m. 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz (GKG).
Rechtskraft
Aus
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