Das Spital Affoltern steht vor der Schliessung

Der Stadtrat von Affoltern am Albis sieht keine Perspektiven für das einzige Spital im Zürcher Säuliamt. Die Abstimmung im Mai dürfte somit das Schicksal des Krankenhauses besiegeln.

Jan Hudec und Nils Pfändler
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Die Zukunft des Spitals Affoltern ist ungewiss. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Die Zukunft des Spitals Affoltern ist ungewiss. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Es ist ein verblüffender Sinneswandel, den Clemens Grötsch durchgemacht hat. Noch vor gut einem Jahr forderte der Affoltermer Stadtpräsident in der NZZ, das Spital Affoltern zu einem Gesundheitszentrum auszubauen. Mit einer Investition in der Höhe von 150 bis 170 Millionen Franken könne das Krankenhaus auf den neusten Stand gebracht werden, Marktanteile gewinnen und schliesslich auch wieder in die schwarzen Zahlen kommen.

Damals war Grötsch noch Betriebskommissionspräsident des Spitals. Heute ist er Gemeindepräsident, und heute klingt er auch ganz anders: «Wir sehen keine Perspektiven mehr für die Zukunft des Spitals», sagte er am Dienstag vor den Medien. Ein Weiterbetrieb würde viel Geld verschlingen, und das könne er nicht verantworten.

Endlose Querelen

Das ist eine Aussage mit grosser Sprengkraft. Am 19. Mai werden die 14 Trägergemeinden darüber befinden, ob der Zweckverband aufgelöst und das Spital in eine gemeinnützige Aktiengesellschaft umgewandelt werden soll. Was hier technisch klingt, ist die Schicksalsfrage zum Fortbestand des über hundert Jahre alten Krankenhauses im Säuliamt.

Der Affoltermer Stadtrat empfiehlt den Stimmberechtigten, die Umwandlung in die Aktiengesellschaft abzulehnen. Damit wäre auch der geplante Neubau mit Kosten von 100 Millionen Franken vom Tisch. Und ohne Erneuerung bleibt dem Spital nichts anderes übrig als die Schliessung.

Das Krankenhaus am Sonnenberg steht seit Jahren im Regen. Seit 2011 folgt eine Krise auf die nächste. Reihenweise gaben sich Spitalführung und Mitglieder der Betriebskommission die Klinke in die Hand.

Die Umwandlung in eine AG scheiterte 2013 an der Urne. Und später wurde auch noch bekannt, dass sich der damalige Spitaldirektor und die Betriebskommission diverse Verfehlungen zuschulden kommen liessen. Die Vergangenheitsbewältigung verstellte lange Zeit den Blick in die Zukunft. Die dringend nötige Sanierung blieb aus.

«Wir mussten das Gemeinwohl höher gewichten als die Interessen des Spitals.»

Clemens Grötsch, Stadtpräsident von Affoltern

Der Bau aus den siebziger Jahren wirkt trist, die Infrastruktur ist veraltet. Ins Haupthaus wurde seit über dreissig Jahren nicht mehr investiert. Zudem machen die strengen Vorgaben des Kantons zu den Fallzahlen und zur Wirtschaftlichkeit dem einzigen Spital im Zürcher Säuliamt zu schaffen. Bei den Behandlungskosten gehört es zu den teuersten im Kanton.

So besteht auch die Gefahr, dass es Leistungsaufträge des Kantons verliert und damit auch Beiträge für die Spitalbehandlungen. Derzeit erstellt die Gesundheitsdirektion die neue Spitalliste, die per 2022 in Kraft treten wird.

Permanence als Ersatz

Es ist Grötsch bewusst, dass ein Nein aus Affoltern zu den geplanten Nachfolgeorganisationen «aller Wahrscheinlichkeit nach das Ende für das Spital Affoltern» bedeutet. Der Entscheid sei dem Stadtrat deshalb nicht leichtgefallen, sagt der Stadtpräsident. «Aber wir mussten das Gemeinwohl höher gewichten als die Interessen des Spitals.» Die hohen Folgekosten müssten am Ende in anderen Bereichen wie der Bildung eingespart oder durch eine Erhöhung des Steuerfusses gedeckt werden.

Der Stadtrat werde sich bei einer etwaigen Schliessung für eine faire Lösung für die Betroffenen einsetzen. Die Bereitschaft zur Beteiligung an einem Solidaritätsfonds sei vorhanden. Gegenwärtig beschäftigt das Spital rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Um keine Abstriche bei der Qualität der Gesundheitsversorgung machen zu müssen, schlägt der Stadtrat eine Permanence im Stadtzentrum vor, die 365 Tage im Jahr geöffnet hat.

In der Langzeitpflege sei die Stadt mit dem städtischen Haus zum Seewadel und der privat geführten Senevita ohnehin gut ausgestattet. Damit sei gewährleistet, dass in Affoltern und Umgebung auch in Zukunft ausreichend Pflegebetten zur Verfügung stünden. Ein weiteres Pflegeheim ist laut dem Stadtrat deshalb nicht nötig.

Der Stadtrat empfiehlt denn auch beim dritten Punkt, der im Mai zur Abstimmung kommt, Nein zu sagen. Dabei geht es darum, dass das Pflegezentrum, das heute zum Spital gehört, als interkommunale Anstalt organisiert würde.

Nun handelt es sich bei den Stellungnahmen des Stadtrats lediglich um Abstimmungsempfehlungen. Und da die Bewohner des Säuliamts nicht gerade bekannt dafür sind, obrigkeitshörig zu sein, könnte die Sache am Ende auch noch anders ausgehen.

Die Unterstützung für das Spital bröckelt aber schon seit längerem. So hat die Stimmbevölkerung in Hedingen und Bonstetten bereits im März 2018 den Austritt aus dem Zweckverband beschlossen, wobei der Austritt erst Ende 2020 erfolgen wird. Auch damals wurde mit den hohen Kosten und der ungewissen Zukunft des Spitals argumentiert. Wenn nun der Stadtrat der Standortgemeinde ein Nein empfiehlt, dann wird das auch in den übrigen Gemeinden wahrgenommen.

Harsche Kritik

Das erklärt auch die geharnischten Reaktionen auf die Aussagen vom Dienstag. Der Verein Ja zum Spital Bezirk Affoltern schreibt in einer Mitteilung vom «bedenklichen Mangel an Solidarität» und von einem äusserst mutlosen und kurzsichtigen Entscheid, der die unternehmerischen Chancen ausblende. Der Präsident der Betriebskommission, Stefan Gyseler, fürchtet um das Gesundheitssystem des Bezirks (siehe Interview).

Die Gewerkschaft VPOD schreibt in einer Stellungnahme, dass der Stadtrat das Spital zum Abschuss freigegeben habe. «Der VPOD wird sich auf jeden Fall dafür engagieren, dass die Krise des Spitals Affoltern nicht auf Kosten derjenigen ausgebadet wird, die am wenigsten daran schuld sind: die Spitalangestellten.» Dass der Stadtrat aber Bereitschaft zur Beteiligung an einem Solidaritätsfonds signalisiert habe, sei zu begrüssen. Dies werde man auch vom Kanton einfordern.

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