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Personal in der neuen Bielefelder Kinder- und Jugendpsychiatrie überlastet?

Hilfe für junge Patienten-Seelen

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"Sind in der Findungsphase": Chefarzt Michael Siniatchkin und EvKB-Chefin Maren Thäter vor der neuen Psychiatrie-Klinik. | © Kurt Ehmke

"Sind in der Findungsphase": Chefarzt Michael Siniatchkin und EvKB-Chefin Maren Thäter vor der neuen Psychiatrie-Klinik. | © Kurt Ehmke

25.02.2019 | 25.02.2019, 09:40

Bielefeld. Ein paar Wochen ist sie alt - die "Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie" des EvKB in Bethel. Jetzt wurde über einen Informanten bekannt, dass es vom Personal bereits mehrere Überlastungsanzeigen gab - und auch Verletzungen nach Auseinandersetzungen mit Patienten.

Die Klinik räumt das auf Anfrage unumwunden ein. Und noch mehr: Chefarzt Michael Siniatchkin ordnet die Vorfälle als eher üblich denn als besorgniserregend ein. Dafür hat er gute Argumente. Zum einen nimmt er für sich und die Kollegen "eine Findungsphase" in Anspruch. Hilfreich bei dieser sei, dass bei der Tagesklinik als einen Baustein ein komplettes Team aus dem Lippischen nach Bielefeld gewechselt ist.

Auf der stationären Jugendstation sowie im Akut-Bereich aber müssten sich Teams tatsächlich erst einmal finden - das aber unter guten Rahmenbedingungen. Ein Vorteil aus Siniatchkins Sicht ist, "dass 70 Prozent der Pfleger Fachpfleger mit speziellen Kenntnissen" seien - in den Bereichen Psychiatrie und Psychotherapie. Das sei ein hoher Anteil.

»Wir können uns kaum retten vor Anfragen«

Dennoch gab es in der Startphase erhebliche Belastungen. Zu diesen trage auch bei, dass es in Bielefeld jahrzehntelang eine Unterversorgung gegeben habe - und sich nun quasi eine Art Ventil geöffnet habe: Viele Fälle seien so gelagert, dass die Kinder und Jugendlichen längst hätten behandelt werden müssen; der Druck sei teilweise enorm. EvKB-Geschäftsführerin Maren Thäter spricht gar von einem "Stau der krisenhaften Situationen". Und so war die Klinik quasi aus dem Stand voll - und der Kinderbereich ist dabei noch gar nicht eröffnet. Siniatchkin: "Wir können uns kaum retten vor Anfragen."

Thäter: "Vor allem im Akutbereich wird es dadurch schnell brenzliger." Seien von acht Kranken auf der Akutstation zwei auf eine 1:1-Betreuung angewiesen, sei personell "die Grenze schnell gerissen".

EvKB-Sprecherin Sandra Gruß: "Wir sehen erst jetzt den echten hohen Bedarf." Darauf müsse man flexibel reagieren. Da aber alle Bereiche im Haus am Remterweg 13 a untergebracht sind, könne auch einmal die Akutversorgung aufgestockt und die Normalversorgung reduziert werden.

Unter dem Strich aber sehen die Verantwortlichen die neue Klinik bisher als große Erfolgsgeschichte. Natürlich eine "mit zum Teil sehr schwierigen Patienten", wie Siniatchkin sagt, aber das liege in der Natur der Sache. Es gebe auch körperliche Einsätze in einer solchen Klinik, das lasse sich nicht vermeiden. Immer wieder gebe es 1:1-Betreuungssituationen; oft seien sogar mehrere Kollegen gleichzeitig gefordert. So auch bei der bisher stärksten Eskalation, die offenbar den Informanten dazu bewogen hatte, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Siniatchkin: "Wenn hier jemand austickt, sind manchmal erhebliche Kräfte mit im Spiel."

Die Patientin, die offenbar maßgeblich für die bisherigen Eskalationen gesorgt hat, habe sich übrigens längst besser eingefunden in der Klinik, sagt Siniatchkin - und die verletzte Pflegerin sei am nächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen. Die Stimmung sei positiv. Thäter: "Ich hatte viel mehr Unruhe erwartet, denn das Themenfeld Kinder und Psyche ist nun einmal sehr sensibel."

Mitarbeiter werden im Bereich Deeskalation geschult

Dass es Überlastungsanzeigen gegeben hat, bewertet Thäter eher als normalen Vorgang denn als aufsehenerregend. Denn: "Das ist ein klar definierter Weg, das gehört dazu." Nur so könnten Ebenen wie Klinikleitung, Betriebsrat und Geschäftsführung geregelt von Arbeitsbelastungen erfahren; und darauf reagieren.

Im Fall der neuen Klinik sei reagiert worden. Ein Sicherheitsdienst sei nun abends und in der Nacht vor Ort. Und mit der Polizei in Brackwede habe sich "eine sehr gute Zusammenarbeit ergeben", sagt Siniatchkin. Exzellent sei die Zusammenarbeit mit der Stadt. Zudem würden die Mitarbeiter im Bereich Deeskalation geschult. Regelmäßig. Und eine Supervision ist angekündigt.

Thäter: "Das Signal, dass Ressourcen fehlen, ist angekommen - wir erfüllen aber alle Vorgaben." Dennoch helfe zusätzliches Personal des EvKB aus. Thäter: "Bis die Teams sich eingespielt haben, haben wir alles leicht aufgestockt." Jörn Niebusch, Leiter der Tagesklinik: "Die neuen Teams müssen erst einmal an Sicherheit gewinnen, wir dagegen sind schon sehr gut eingespielt."

Siniatchkin jedenfalls ist bisher mehr als zufrieden: "Ich bin begeistert, wie schnell sich die Dinge hier entwickeln."

Information


Klinik für Kinder-/Jugendpsychiatrie und Psychotherapie


  • Die Klinik besteht aus verschiedenen Bereichen.
  • Die Tagesklinik als Therapiestation mit 16 Plätzen für 6- bis 18-Jährige. Zurzeit sind es 5 Kinder und 11 Jugendliche. Sie sind von 7.30 Uhr bis 15.15/16.15 Uhr in der Klinik – nach zwei bis drei Wochen der Diagnostik dann im Schnitt etwa drei Monate lang.
  • Hinzu kommt die Krisenstation für akute Fälle. 8  Plätze hat sie, überwiegend werden Jugendliche ab 12 Jahren aufgenommen, meist geht es um eine Gefährdung von sich selbst oder anderen. Sie bleiben von ein paar Tagen bis zu ein paar Wochen, es geht um die Abwendung von Gefahr. Danach kann es in der Tagesklinik weitergehen – oder in Einrichtungen sowie beim niedergelassenen Arzt mit der Therapie.
  • Weiterhin gibt es bereits die Jugendstation (10 Plätze) sowie absehbar die Kinderstation (9 Betten), die zum Sommer eröffnet werden soll. Hier geht es unter anderem um Verhaltenstherapien, im Schnitt zwei Monate lang. Danach geht es ambulant bei niedergelassenen Ärzten weiter.
  • In den Bereich der Diakonissenhäuser Abendfrieden und Abendlicht kommen weitere ergänzende Bereiche der Klinik: die Dothanschule unterrichtet an der Tagesklinik, eine Forschungsabteilung mit 10 Wissenschaftlern ist im Aufbau, die psychiatrische Ambulanz soll zunächst ans Betheleck wechseln und dann perspektivisch (mit einer Akutversorgung am Tag) ab 2020/21 die Klinik ergänzen. Und die neue, benachbarte Kinderklinik soll eng kooperieren.

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