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OP im Bettenturm am Charité-Campus Mitte: Drei von vier Ärzten arbeiten dort mit befristeten Verträgen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Exklusiv

75 Prozent der Ärzte befristet angestellt: Die fragwürdige Personalpolitik der Berliner Charité

An der Universitätsklinik in Berlin sind selbst einige Oberärzte noch befristet angestellt. Der Wissenschaftsstaatssekretär sieht darin „eine Zumutung“.

Im Berliner Abgeordnetenhaus wird wohl bald über die Arbeitsverhältnisse an der Charité diskutiert – nur dass es dann nicht um die streikenden Ergo- und Physiotherapeuten geht, sondern um die Ärzte. Von derzeit 2812 an Europas größter Universitätsklinik beschäftigten Medizinern sind 2077 befristet angestellt.

Das geht aus einer Antwort von Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach (SPD) auf Anfrage von Catherina Pieroth, Gesundheitspolitikerin der Grünen-Fraktion, hervor. Im Vergleich zu anderen landeseigenen Betrieben sind 75 Prozent Befristungen viel, in anderen Kliniken sind solche Verhältnisse unüblich.

An der Charité aber kann nach dem Wissenschaftszeitvertragsgesetz verfahren werden. Es erlaubt, Personal im akademischen Mittelbau mit Kettenverträgen zu beschäftigen – was dem Rhythmus von Forschungsprojekten, Dissertationen und Studienjahren gerecht werden soll.

„Wir müssen das Wissenschaftszeitvertragsgesetz unter die Lupe nehmen und, falls nötig, die missbräuchliche Befristungspraxis beenden“, sagte Pieroth. „Die rot-rot-grüne Koalition steht zwar für Mobilität in der Wissenschaft, aber auch für Dauerstellen für Daueraufgaben.“

Unter Medizinern gilt als problematisch, dass an der Charité insbesondere junge Ärzte fast immer befristet angestellt werden. Doch selbst einige Oberärzte, die seit mehr als zehn Jahren an der Charité arbeiten, sind noch befristet angestellt. „Unglaublich, dass 75 Prozent der Ärzte an dieser renommierten Klinik nur befristete Verträge haben“, sagt der Landeschef des Marburger Bundes, Peter Bobbert. Die Ärztegewerkschaft wolle sich für Entfristungen einsetzen.

Wissenschaftsstaatssekretär Krach sagte dem Tagesspiegel: „Diese Befristungspraxis ist nicht nur für die Beschäftigten eine Zumutung. Es schadet der Institution mit Blick auf den steigenden Wettbewerb um Fachkräfte selbst.“ Er werde das in der Koalition besprechen. In der Antwort Krachs auf die Grünen-Anfrage heißt es zudem, dass 83 Mediziner sachgrundlos befristet angestellt sind – also ohne die im Wissenschaftsbetrieb üblichen Begründungen. „Das sind genau 83 befristete Stellen zu viel“, sagte Pieroth mit Blick auf den Beschluss des Abgeordnetenhauses vom November 2017, wonach bei Arbeitsverträgen in den landeseigenen Unternehmen grundsätzlich auf sachgrundlose Befristungen verzichtet werden soll. Staatssekretär Krach schrieb dazu, dass die Umsetzung des Beschlusses mit zeitlicher Verzögerung erfolgt sei und „das Verwaltungshandeln schon so weit fortgeschritten war, dass ein Abbrechen des Einstellungsprozesses nicht vertretbar war“ – die 83 Ärzte waren also im Herbst 2017 schon ausgewählt und deshalb später angestellt worden.

Auch Debatte um Charité-Tochterfirmen

Im letzten November hatte Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) im Roten Rathaus gesagt, dass es an der Charité im Sommer 2018 mehr als 2 600 sachgrundlos befristete Stellen gebe – die Klinikleitung wandelt diese fortlaufend in entfristete Arbeitsplätze um. An der Charité und in ihren Tochterfirmen arbeiten circa 17 000 Beschäftigte. Die Personalpolitik der Klinik ist auch Folge des Sparkurses, auf die die Senatskoalitionen der vergangenen zehn Jahre die Charité verpflichteten.

Derzeit streiken die Physio- und Ergotherapeuten, die für die Tochterfirma CPPZ arbeiten, immer wieder. Wie berichtet, erhalten sie als CPPZ-Angestellte oft zwischen 400 und 800 Euro brutto im Monat weniger als die nach Tarif des öffentlichen Dienstes bezahlten Kollegen im Charité-Stammhaus. Das Abgeordnetenhaus hatte beschlossen, dass die Tochterfirmen der landeseigenen Krankenhäuser eingegliedert werden sollen. Die Charité hatte zuletzt die teilprivate Tochterfirma CFM zurückgekauft.

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