L 1 KR 275/18

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 30/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 1 KR 275/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Wird vom aufnehmenden Krankenhaus eine Verlegungsfallpauschale abgerechnet, so sind keine Abschläge gemäß § 3 Abs. 1 FPV 2015 begründet. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 2 FVP 2015 und gilt auch, wenn die Behandlung im verlegenden Krankenhaus nur wenige Stunden dauerte.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. April 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.760,41 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte der Klägerin weitere Krankenhausbehandlungskosten in Höhe von 5.760,41 EUR zu zahlen hat.

Der bei der Beklagten versicherte C. wurde am 1. Juli 2015 im Zeitraum von 11:00 Uhr bis 13:35 Uhr im E.-Hospital in E-Stadt behandelt und noch am gleichen Tag zur Behandlung in das Krankenhaus der Klägerin verlegt. Dort verstarb der Versicherte am 6. Juli 2015.

Die Klägerin stellte der Beklagten die Kosten der Behandlung auf der Grundlage der DRG A13D in Höhe von 29.646,73 EUR unter dem 10. August 2015 in Rechnung.

Die Beklagte forderte eine Rechnungskorrektur. Die untere Grenzverweildauer (UGVD) sei unterschritten. Daher seien UGVD-Abschlägen vorzunehmen. Dies gelte auch für Verlegungs-Fallpauschalen.

Unter dem 29. September 2016 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass ein Abschlag nicht vorgenommen werde. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Fallpauschalenvereinbarung (FPV) seien die Regelungen zur UGVD für Verlegungsfallpauschalen beim verlegenden Krankenhaus anzuwenden. § 3 FPV 2015 finde nach § 1 Abs. 1 Satz 3 FPV 2015 nicht auf Fallpauschalen Anwendung, die in der FPV als Verlegungsfallpauschale gekennzeichnet seien. Vorliegend sei eine Verlegungsfallpauschale abgerechnet worden, so dass § 3 Abs. 1 FPV nicht zur Anwendung komme.

Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 14. Oktober 2016 mit, dass es sich bei der Inrechnungstellung der DRG A13D um eine im Fallpauschalenkatalog gekennzeichnete Verlegungsfallpauschale handele. Die UGVD dieser DRG sei jedoch nicht erreicht worden. Nach § 1 Abs. 3 FPV 2015 seien deshalb die entsprechenden Abschläge zu berücksichtigen. Fallpauschalen, die im Fallpauschalen-Katalog als Verlegungsfallpauschale gekennzeichnet seien, würden bei Unterschreitung der mittleren Verweildauer nicht um die Verlegungsabschläge gekürzt. Werde jedoch in einem verlegenden Krankenhaus eine Verlegungspauschale abgerechnet und werde die UGVD nicht erreicht, so sei diese entsprechend um einen Abschlag wegen Nichterreichens der UGVD zu kürzen (§ 1 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 2 FPV 2015). Beim aufnehmenden Krankenhaus kämen Abschläge wegen Nichterreichens der UGVD nur in Betracht, wenn die Behandlung im verlegenden Krankenhaus nicht länger als 24 Stunden gedauert habe. Dies sei für die streitige stationäre Behandlung im E.-Hospital der Fall.

Die Beklagte zahlte mit Datum vom 22. November 2016 einen Betrag in Höhe von 23.886,32 EUR an die Klägerin.

Die Klägerin hat am 17. Januar 2017 Klage vor dem Sozialgericht Gießen erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass ein Abschlag von der Fallpauschale wegen Unterschreitung der UGVD nach § 1 Abs. 3 Satz 1 FPV 2015 ausscheide, da dem Aufenthalt bei der Klägerin eine Verlegung vorausgegangen sei. Auch die Anwendung des § 1 Abs. 3 Satz 2 FPV 2015 scheide aus, da die Vorschrift nach dem eindeutigen Wortlaut nur auf die Abrechnung des verlegenden Krankenhauses Anwendung finde.

Die Beklagte hat vorgetragen, dass vorliegend eine Ausnahme greife, da die Verlegung innerhalb von 24 Stunden erfolgt sei. Beim aufnehmenden Krankenhaus werde dieser Fall gemäß § 3 Abs. 2 FPV 2015 nicht als Verlegungsfall betrachtet, sondern wie eine Erstaufnahme behandelt. Dies sei auch die Auffassung des Bundesministeriums für Gesundheit. Die Klägerin übersehe, dass nach den Regelungen des § 3 Abs. 2 FPV 2015 eine Minderung wegen Unterschreitung der UGVD vorgenommen worden sei.

Mit Urteil vom 19. April 2018 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.760,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24. November 2016 zu zahlen. Die Klägerin habe der Beklagten zu Recht einen Gesamtbetrag in Höhe von 29.646,73 EUR in Rechnung gestellt, denn es sei kein Abschlag wegen Nichterreichens der UGVD vorzunehmen. Grundlage für die Abrechnung von Fallpauschalen sei die Vereinbarung zum Fallpauschalensystem für Krankenhäuser für das Jahr 2015 (FPV 2015). Der Versicherte sei am 1. Juli 2015 im E.-Hospital aufgenommen und noch am gleichen Tag in die A.-Klinik verlegt worden. Zwischen der Entlassung aus dem E.-Hospital und der Aufnahme im Krankenhaus der Klägerin lägen somit keine 24 Stunden, so dass eine Verlegung im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 2 FPV 2015 vorliege. Die Klägerin habe vorliegend mit der Fallpauschale A13D unstreitig eine Verlegungsfallpauschale abgerechnet. § 1 Abs. 1 Satz 3 2. Halbsatz FPV 2015 sehe für diese vor, dass keine Minderung nach Maßgabe des § 3 FPV 2015 erfolge. § 3 Abs. 2 FPV 2015 sei nach dem eindeutigen Wortlaut der Norm nicht anwendbar. Zwar unterlägen die FPV-Abrechnungsbestimmungen grundsätzlich den allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft. Gleichwohl seien die Abrechnungsbestimmungen wegen der Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestands innerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Das DRG-basierte Vergütungssystem sei vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes und damit "lernendes" System angelegt. Zutage tretende Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen hätten in erster Linie die Vertragsparteien für die Zukunft zu beseitigen. Zudem komme ein Abschlag nach § 1 Abs. 3 Satz 1 FPV 2015 nicht in Betracht, da diese Regelung nach ihrem klaren Wortlaut lediglich auf Abrechnungen von nicht verlegten Patienten anwendbar sei. Vorliegend sei der Versicherte jedoch verlegt worden. Ein Abschlag nach § 1 Abs. 3 Satz 2 FPV 2015 scheide ebenfalls aus, da die Vorschrift nach ihrem Wortlaut auf Abrechnungen des verlegenden Krankenhauses anwendbar sei. Der Zinsanspruch beruhe auf § 288 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. § 112 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und § 10 des zwischen der Hessischen Krankenhausgesellschaft und der Beklagten geschlossenen Vertrags über die allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 26. April 2018 zugestellte Urteil am 22. Mai 2018 vor dem Hessischen Landessozialgericht Berufung eingelegt und ihren Vortrag wiederholt. Erneut hat sie darauf verwiesen, dass bei Verlegung innerhalb von 24 Stunden das aufnehmende Krankenhaus dies als Erstaufnahme betrachte und kein Verlegungsfall vorliege. Dies ergebe sich aus den Abrechnungsbestimmungen nach dem KHEntG und der FPV 2015, die von dem Spitzenverband der GKV und auch für die PKV festgelegt worden seien.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 19. April 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt (sinngemäß),
die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend. Die "Abrechnungsbestimmungen nach dem KHEntG und der FPV 2015" und der "Abrechnungsleitfaden 2006" hätten keine rechtliche Bindungswirkung. Es handele sich lediglich um einseitige Auslegungshinweise des GKV-Spitzenverbandes, die weder für die Klägerin noch für das Gericht verbindlich seien und darüber hinaus nicht mit dem Wortlaut der FPV 2015 in Einklang gebracht werden könnten.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 5.760,41 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 24. November 2016 zu zahlen.

Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils. Sie sind überzeugend und würdigen die fallentscheidenden Aspekte vollständig.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nicht ersichtlich ist, weshalb vorliegend keine Verlegung anzunehmen sein sollte. Die Beklagte kann sich insoweit nicht erfolgreich auf § 3 Abs. 2 Satz 2 FPV 2015 berufen. Zunächst ist festzuhalten, dass § 3 Abs. 2 Satz 2 FPV 2015 den Begriff der Verlegung nicht definiert. Diese Vorschrift sieht lediglich vor, dass bei schneller Verlegung vom aufnehmenden Krankenhaus kein Verlegungsabschlag vorzunehmen ist.

Darüber hinaus ist § 3 FPV 2015 gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 FPV 2015 vorliegend nicht anwendbar, da eine Verlegungs-Fallpauschale der Berechnung der Behandlungskosten zugrunde gelegt worden ist (s.a. LSG Hamburg, Urteil vom 19. Dezember 2013, L 1 KR 108/12, juris, Rn. 21; SG Wiesbaden, Gerichtsbescheid vom 6. Juni 2013, S 18 KR 163/12; SG Gießen, Urteil vom 21. September 2016, S 9 KR 329/15). Die Heranziehung der Verlegungs-Fallpauschale DRG A13D seitens der Klägerin ist von der Beklagten auch nicht beanstandet worden.

Ferner hat die Klägerin zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei den "Abrechnungsbestimmungen nach dem KHEntG und der FPV 2015" und dem "Abrechnungsleitfaden 2006" lediglich um Auslegungshinweise des GKV-Spitzenverbandes handelt, die für das Gericht nicht verbindlich sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen von § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG werden, wenn in einem Verfahren weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten kostenrechtlich privilegierten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Da der Rechtsstreit eine bezifferte Geldleistung betrifft, war der Streitwert in Höhe der Geldleistung festzusetzen (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).
Rechtskraft
Aus
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