„Glücksritter“ oder Retter?

 MVZ-Kette mischt Sachsen auf

Die KV Sachsen und das MVZ DerArzt eG liefern sich eine verbale Schlammschlacht. Die Körperschaft sieht in dem Betreiber eine verkappte Heuschrecke, der Aufsichtsratschef indes „riecht den Angstschweiß“ der KV-Vorderen.

Sven EichstädtVon Sven Eichstädt Veröffentlicht:
Das MVZ DerArzt „dramatisiere Risiken“ der Praxisabgabe, so die KV, das Unternehmen widerspricht.

Das MVZ DerArzt „dramatisiere Risiken“ der Praxisabgabe, so die KV, das Unternehmen widerspricht.

© Kzenon / Fotolia

DRESDEN. Zwischen der KV Sachsen und der MVZ DerArzt eG ist ein heftiger Streit entbrannt. Die KV Sachsen warnt die Ärzte ausdrücklich vor dem Unternehmen und bezeichnet es als „Glücksritter“ und vergleicht es mit „Immobilienspekulanten oder Versicherungsvertretern, die unser Bundesland Sachsen in den Jahren nach der Wende heimgesucht“ hätten.

Der Aufsichtsratsvorsitzende des in Köln ansässigen Unternehmens, Michael Kosel, wertet dies auf Anfrage der „Ärzte Zeitung“ als „völlig fehlgeleitete Äußerungen des KV-Vorsitzenden“ und meint damit KV-Chef Klaus Heckemann.

Ihn sowie den Vorsitzenden des Regionalausschusses Leipzig, Frank Rohrwacher, und den Bezirksgeschäftsstellenleiter Dresden, Johannes-Georg Schulz, stuft Kosel als „Schreiberlinge“ ein. Sie gäben „triviale Behauptungen“ von sich, er – Kosel – könne deren „Angstschweiß förmlich riechen“.

Drittes MVZ für Sommer geplant

Anlass ist die aktuelle Ausgabe der monatlichen Mitgliederzeitschrift der KV Sachsen, die die MVZ DerArzt zum Hauptthema hat. In drei langen Beiträgen äußern Heckemann, Rohrwacher und Schulz ihre Sicht der Dinge zu dem Unternehmen und warnen die Vertragsärzte in Sachsen dringend davor, mit dem Unternehmen Verträge abzuschließen.

Im vergangenen Juni hat die KV Sachsen dem Unternehmen die Zulassung zum Betrieb von Arztpraxen erteilt. Derzeit hat die Firma in Sachsen laut Aufsichtsratschef Kosel zwei MVZ in Betrieb, und zwar in Chemnitz und Aue. In Chemnitz existiere außerdem ein Augenkompetenzzentrum, das im Juli mit der Übernahme einer weiteren Augenarztpraxis erweitert werden soll.

Im Sommer soll ein drittes MVZ gegründet, spätestens im Herbst in Marienberg mit dem Neubau eines Ärztehauses mit acht Praxen und einem Zentrum für Augenoperationen begonnen werden. Für das kommende Jahr sei der Baubeginn für ein Ärztehaus in Chemnitz vorgesehen, außerdem sei dort ein weiteres MVZ mit 15 Kassenarztsitzen geplant.

300 Hausarztsitze im Visier

Kosel berichtet, dass in den kommenden „fünf bis sieben Jahren“ 300 Hausarztsitze in Sachsen übernommen werden sollen. Neben Hausärzten hat Kosel als zweite Fachrichtung die Augenärzte in Sachsen als potenzielle Mitglieder der Genossenschaft im Blick und schätzt, dass 50 Prozent der Augenarztpraxen in Sachsen „sofort“ übernommen werden könnten, was 130 Praxen entspräche.

Genau davor warnt die KV Sachsen. Deren Vorsitzender Heckemann spricht davon, dass „dieses Ansinnen das Potenzial hat, die Versorgungslandschaft nachhaltig im Sinne einer Abkehr von den herkömmlichen Arztpraxen und damit auch von der Flächendeckung der Versorgung umzugestalten – mit der Tendenz zur Monopolisierung der (haus-)ärztlichen Versorgung“.

Er schätzt die Genossenschaft so ein, dass sie „vordergründig Kapital- und Investmentinteressen verfolgt“. Zu befürchten sei, „dass sich mit der Etablierung derartiger Konzepte Anbieter von Gesundheitsleistungen auf die Versorgungsbereiche fixieren, welche hohe Einnahmen garantieren und nicht auf das, was Patientinnen und Patienten in der Grundversorgung wirklich benötigen“.

MVZ DerArzt eG

  • „Wir werden Medizingeschichte schreiben“, heißt es auf der Webseite der Genossenschaft.
  • Die Gesellschafter repräsentierten ein Investment-Budget von 350 Millionen Euro, so die Eigenangabe auf der Webseite.
  • Als Ziele werden genannt: 1000 Praxen im Jahr 2023 und 2000 angestellte Ärzte binnen fünf Jahren.

Die MVZ DerArzt eG spiele „mit vermeintlichen Zukunftsängsten von Ärzten“ und dramatisiere „Risiken, die sich bei näherem Hinsehen als zweifelhaft erweisen“. Der Beitrag des Dresdner Leiters der Bezirksgeschäftsstelle Schulz ist mit „Warnung vor DemArzt“ überschrieben, womit das Kölner Unternehmen gemeint ist. Der Leipziger KV-Regionalausschuss-Chef Rohrwacher hat seinen Beitrag mit „Glücksritter reloaded“ betitelt und schreibt, dass die MVZ DerArzt eG ein „eklatantes Beispiel“ dafür sei, dass „Renditeerwartungen immer mehr in den Mittelpunkt“ rückten und dass das Unternehmen versuche, „durch Druckausübung auf potenzielle Mitglieder in den lukrativen Markt einzudringen und die Versorgung zu steuern“ und dafür „jedes noch so teure Angebot recht“ sei.

„Polemisch und scheinheilig“

Aufsichtsratschef Kosel erwidert im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“, sein Unternehmen verfolge „dieselben Profitinteressen wie die Kassenärztlichen Vereinigungen in Deutschland, der niedergelassene Arzt und jedes andere Unternehmen“. Nun sind die KVen allerdings Körperschaften öffentlichen Rechts und arbeiten nicht gewinnorientiert.

Kosel sagt weiter: „Der Vorwurf von kassenärztlichen Funktionären, wir wären profitorientiert, ist an Scheinheiligkeit, Polemik und mangelndem betriebswirtschaftlichen Wissen kaum zu übertreffen. Schließlich werfen wir einem KV-Vorsitzenden auch nicht vor, er würde sich mit einer Vergütung von 300.000 Euro pro Jahr plus kostenfreiem Praxisvertreter an den Ärzten bereichern.“ Damit ist allerdings der Vorwurf, von dem Kosel sagt, er wolle ihn nicht erheben, im Raum.

Der Aufsichtsratsvorsitzende berichtet davon, „etwa 15 Anfragen von Bürgermeistern sächsischer Städte und Kommunen vorliegen“ zu haben, die das Unternehmen „um Hilfe bei dem Problem der von der Schließung bedrohten Hausarztpraxis im Ort konsultiert“ hätten. In ländlichen Regionen seien „Cluster-MVZ“ geplant, bei denen „Praxen von zwei bis fünf Gemeinden in einer Einrichtung zusammengelegt“ würden.

Gegenwind von der Kammer

Kosel verspricht „Öffnungszeiten von 8 bis 18 Uhr an fünf Tagen der Woche ohne Pausen“ und dass „Patienten in der gesamten Region eine bessere Versorgung“ geboten werde, da „die Einrichtung nicht mehr wegen Urlaub, Krankheit oder Budgetüberschreitung geschlossen“ werde. Er stuft dies als „die einzige sinnvolle Lösung für das Hausarztsterben auf dem Lande“ ein.

Die Sächsische Landesärztekammer sieht dies anders. Präsident Erik Bodendieck sagt auf Anfrage, dass die Kammer „Fremdkapitalinvestitionen innerhalb der medizinischen Versorgung mit dem Ziel der Gewinnmaximierung“ ablehne.

Er zeigte sich davon „überzeugt, dass marktwirtschaftliche Interessen zu einer Selektion in der medizinischen Versorgung in vor allem zwei Bereichen“ führten, nämlich einer „Hinwendung zu renditeintensiven Leistungen mit einer Reduktion von renditeschwachen Leistungen und einem Rückzug aus Versorgungsgebieten, in denen nur geringe Profite möglich“ seien – strukturschwachen ländlichen Regionen.

Der Kammerchef ergänzt, dass er die Kritik der KV Sachsen an dem Kölner Unternehmen „in allen Punkten“ teile. Ein Ende der Auseinandersetzung zeichnet sich somit nicht ab.

MVZ-Zahnarztketten an der langen Leine

  • Die große Koalition hat im Terminservicegesetz (TSVG) auf den letzten Metern des parlamentarischen Verfahrens eine komplizierte Regelung für zahnärztliche MVZ getroffen.
  • Ein Krankenhaus darf ein Zahnarzt-MVZ künftig nur dann gründen, wenn der Versorgungsanteil der jeweiligen MVZ-Kette in einem Planungsbereich zehn Prozent nicht überschreitet.
  • Nur bei schlechter Versorgungssituation vor Ort darf die Kette einen Versorgungsanteil von bis zu 20 Prozent haben. (fst)

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Furcht vor dem Großinvestor

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