Mathilde Maier schlägt Alarm: Die Neonatologie der Uni-Klinik Ulm, in der auch extreme Frühgeborene medizinisch versorgt werden, muss immer wieder Risikopatientinnen in andere Kliniken schicken. Der Grund: Es stehe nicht mehr ausreichend Pflegepersonal zur Verfügung, um für alle den geforderten Versorgungsstandard zu erfüllen, sagt die Vorsitzende des Förderkreises für intensivpflegebedürftige Kinder.
In Ulm behandelte Frühchen müssen aus diesem Grund durchschnittlich eine Woche früher aus dem Zentrum in ein heimatnahes kleineres Krankenhaus zurückverlegt werden als noch vor einem Jahr, um so Brutkästen für schwerere Fälle frei zu machen.

Fachgerechte Behandlung ist Überlebensnotwendig

Es gebe durch diesen Engpass keinen Qualitätsverlust in der Versorgung der hochempfindlichen Kleinsten, die viel zu früh geboren wurden, sagt Prof. Klaus-Michael Debatin, Ärztlicher Direktor der Kinderklinik. Jedoch könnten wegen des Mangels an Pflegepersonal nicht mehr alle 18 bis 20 Intensivplätze für Frühchen in der Neonatologie besetzt werden, sondern vielleicht noch 12 oder 14. Man befinde sich wieder in einer Situation wie vor 30 Jahren, sagt Mathilde Maier: „Es gibt einen Frühchentourismus wegen des Pflegenotstands.“
Die kleinsten Frühchen in den Inkubatoren wiegen nur 400 bis 450 Gramm. Sie kamen bereits um die 23. Woche der Schwangerschaft zur Welt, nicht nach 40 Wochen wie bei einer normalen Geburt. Die Säuglinge sind hochempfindlich und kämpfen oft um ihr Leben. Schon eine nicht ganz fachgerechte Behandlung kann eine schwere Behinderung oder den Tod zur Folge haben. Deshalb wurde bereits 1986 ein Zusammenschluss der Kinder- und Frauenkliniken in Ostwürttemberg aus der Taufe gehoben.

Gute Bewertungen für Ulmer Frühchenstation

Zeichnet sich bei einer Schwangeren eine sehr frühe risikobehaftete Geburt ab, wird sie frühzeitig an das Zentrum der Uniklinik Ulm überwiesen, weil dort in der Neonatologie das erfahrenste Pflegepersonal für die kleinen Patienten vorgehalten wird. Kliniken von Friedrichshafen bis Aalen schicken Frühchen nach Ulm, die es im Mutterleib nicht mehr schafften, wenn es sich um extreme Frühgeborene handelt.
Tatsächlich lande die Ulmer Frühchenstation im nationalen Vergleich seit langem auf sehr guten Plätzen von 1 bis 3, sagt Debatin. Daran habe sich auch nichts geändert. Allerdings wurden die Bedingungen für solche hochspezialisierten Kliniken vor zwei Jahren deutlich verschärft, um den kleinen Patienten die besten Zukunftsaussichten zu sichern.
Der Gemeinsame Bundesausschuss (GB-A), ein Selbstverwaltungsgremium, in dem auch Kliniken und Krankenkassen vertreten sind und das die Bundesregierung in Gesundheitsfragen berät, gab zum 1. Januar 2017 eine neue Richtlinie heraus, die beispielsweise fordert, eine Pflegerin auf der Intensivstation dürfe nur für ein extremes Frühgeborenes unter 1500 Gramm da sein, auf der Überwachungsstation für zwei. Wenn auf heftige Schwankungen lebenswichtiger Parameter nicht sofort reagiert wird, drohten dem Kind schwerste Behinderungen, sagt Mayer.

Fachkurse ausgesetzt

Medizinisch seien solche Forderungen wünschenswert, sagt auch Debatin. „Aber das dafür benötigte Personal gibt es gar nicht.“ Es gebe einen Pflegenotstand, nicht nur in Ulm, sondern an allen deutschen Kliniken. Zwar könnten in Einzelfällen auch mal Pflegerinnen aus anderen Bereichen aushelfen. Aber die fehlten dann dort. Außerdem müssen Pflegekräfte auf der Intensivstation der Neonatologie über viel Erfahrung und besondere Fähigkeiten verfügen. Fachkurse zur Weiterbildung zur Intensivpflege in diesem Bereich wurden schon vor Jahren ausgesetzt, sie sollen jetzt wieder aufgenommen werden.
Der extreme Sparkurs an der Uni-Klinik vor vier Jahren habe freilich noch zusätzlich zum Personalabbau und zur heutigen Misere mit beigetragen, räumt Debatin ein. Man habe die Entwicklung nicht abgesehen: Denn die Zahl der Geburten sei zwischenzeitlich wieder deutlich gestiegen und damit auch die der Frühgeburten.
Der Chefarzt findet, es müsse noch einmal über die strenge Richtlinie des GBA diskutiert werden, die auch vorsieht, dass Kliniken ab 2020 für die Versorgung der Frühchen deutlich weniger Geld erhalten, wenn sie die Richtlinie nicht wenigstens zu 95 Prozent einhalten. „Es macht keinen Sinn, etwas zu fordern, das beim besten Willen nicht erfüllt werden kann“, sagt Debatin. Mayer sieht das anders. Man dürfe nicht die kleinsten Risikokinder dem vorhandenen Klinikpersonal anpassen. Es müsse umgekehrt laufen.

Offene Stellen, keine Bewerber

Die Klinik tue alles, um mehr Pflegepersonal zu bekommen, sagt Debatin. Allerdings dauere die Ausbildung an den Pflegeschulen drei Jahre. Es gebe genug offene Stellen, aber eben keine Bewerber. Kliniken in München zahlten bereits eine Einstiegsprämie von bis zu 2000 Euro sowie Zusatzprämien, um Pflegepersonal anzulocken. Heute erfüllten nur 4 von 34 Unikliniken in Deutschland den geforderten GBA-Standard, in Baden-Württemberg angeblich nur Heidelberg, sagt der Chef der Kinderklinik.
Wenn man die Pflegekräfte nicht bekomme, habe man nur eine Möglichkeit: „Wir müssen die Kapazität in der Neonatologie herunterfahren.“ Deshalb müssten bei Anfragen Risikoschwangere abgelehnt und auf andere Kliniken verwiesen werden. Manchmal müssten sieben bis acht Kliniken angefragt werden, bis ein Platz gefunden werde. 2017 seien es etwa 100 Patientinnen gewesen, die Ulm abgewiesen habe.
Die nächsten Zentren gibt es in Tübingen und Augsburg, doch auch die seien überlastet. 2018 durften Frühchen durchschnittlich nur eine Woche kürzer in der Maximalversorgung bleiben als 2017 und wurden dann in kleinere Kliniken verlegt, auch Kinder unter 1500 Gramm.
Im Februar habe die Ulmer Neonatologie die Anforderungen der neuen Richtlinie immerhin zu 90 Prozent erfüllt, sagt Prof. Wolfgang Lindner, Chefarzt der Neonatologie. Doch bereits im März habe man wieder schlechter abgeschnitten, wegen Erkrankungen und der Grippewelle auch unter den Mitarbeitern. Entlastung ist kurzfristig nicht in Sicht, räumt der Mediziner ein.

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Noch fehlen 170 000 Euro für den neuen Baby-Muck

Spenden: Der Förderkreis für intensivpflegebedürftige Kinder führt derzeit eine Spendenaktion für einen neuen Baby-Notarztwagen durch, den Baby-Muck. 30.00 der insgesamt benötigten  200.000 Euro haben man bereits zusammen, man hoffe auf die vielen Stiftungen und andere Spender, sagt Förderkreisvorsitzende Mathilde Maier.
Fahrzeug: Das Fahrzeug soll den in die Jahre gekommenen Baby-Notarztwagen ablösen, der ebenfalls über eine Spendenaktion finanziert worden war. Wenn kleine Kinder schon verlegt werden müssen, die so extrem empfindlich auch gegenüber Stößen sind, die von der Fahrbahn her übertragen werden, brauchen sie wenigstens ein Fahrzeug mit Extremfederung, das in der Lage ist, diese Erschütterungen auszugleichen, sagt Maier. Der Wagen wird mit einem Transportinkubator und Spezialgeräten ausgestattet sein.