L 1 KR 103/17

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 8 KR 1485/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 KR 103/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin wir zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Erstattung von Behandlungskosten i.H.v. 25.549,83 EUR, die in einer Privatklinik entstanden sind. Bei dem inzwischen verstorbenen Versicherten wurde 2003 ein aggressives, weit fortgeschrittenes, metastasiertes kolorektales Karzinom im Stadium IV diagnostiziert. Es wurde zunächst erfolgreich ein Teil des Dickdarms entfernt. In den Jahren 2008 und 2009 entwickelten sich dann jedoch Metastasen in der Leber und der Lunge. Im Oktober 2011 beantragte der behandelnde Arzt Dr. B. des Versicherten für dessen Ehefrau die Kostenübernahme für eine beabsichtigte Behandlung in der M.-Klinik, einer Privatklinik, zur Durchführung einer sogenannten regionalen Chemotherapie. Der Versicherte begann die Behandlung unverzüglich und wurde vom 23. Oktober bis 30. Oktober, vom 21. November bis 29. November und vom 3. Dezember bis 13. Dezember 2011 in der M.-Klinik behandelt, wofür die Klinik insgesamt 25.549,83 EUR in Rechnung stellte. Am 3. Januar 2012 verstarb der Versicherte. Die Beklagte lehnte den Antrag auf Übernahme der Kosten der Behandlung ab, weil diese nicht der aktuellen S3-Leitlinie zugelassener Chemotherapeutika entsprochen habe (Bescheid vom 29. November 2011 und Widerspruchsbescheid vom 11. Juli 2013). Im sich anschließenden Klagverfahren hat das Sozialgericht ein Gutachten des Internisten Prof. Dr. W. eingeholt, welcher ausgeführt hat, der Versicherte habe an einer Darmkrebserkrankung im Stadium IV mit Metastasen in der Leber, der Lunge und der Lymphknoten sowie Hinweisen auf einen malignen Pleuraerguss gelitten. Die Standardtherapie in so einem Fall sei die systemische Chemotherapie, wobei es mehrere Alternativen gebe. Mit diesen Behandlungskonzepten gelinge es, nicht nur das progressionsfreie, sondern auch das Gesamtüberleben signifikant zu verlängern. Diese Standardtherapien seien nicht ausgeschöpft gewesen. Bei dem Verfahren, welches der Versicherte angewendet habe, handele es sich um ein experimentelles Therapiekonzept bei welchem der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken nicht überwiege. Das Sozialgericht hat daraufhin mit Urteil vom 5. September 2017 die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) habe durch Beschluss vom 18. Januar 2005 die Anlage B ("Nicht anerkannte Untersuchungs- und Behandlungsmethoden") seiner Richtlinie zur Bewertung medizinischer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dahin geändert, dass er ihr unter Nr. 42 anfügte "Hyperthermie (u. a. Ganzkörperhyperthermie, Regionale Tiefenhyperthermie, Oberflächenhyperthermie, Hyperthermie in Kombination mit Radiatio und/oder Chemotherapie)". Eine Elektrohyperthermie gehöre somit grundsätzlich nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein anderes Ergebnis folge auch nicht aus verfassungsrechtlichen Erwägungen. Für eine grundrechtsorientierte Auslegung der Leistungsvorschriften des SGB V nach den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts im sogenannten "Nikolausbeschluss" müsse eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödliche Erkrankung oder zumindest wertungsmäßig vergleichbare Erkrankung vorliegen, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung stehe, und es müsse eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die begehrte Leistung bestehen. Zwar habe bei dem Versicherten eine notstandsähnliche Erkrankungssituation im Sinne dieser Rechtsprechung vorgelegen. Aus den Unterlagen zu seiner Krankheits- und Behandlungsgeschichte und nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. von Wichert ergebe sich, dass nurmehr eine schmerztherapeutische und palliative Behandlung in Frage gekommen sei. Doch hätten dem Versicherten im konkreten Fall die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung für diese Erkrankungssituation mit palliativen Behandlungsformen allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsleistungen zur Verfügung gestanden. Allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende ("schulmedizinische") Behandlungsleistungen mit kurativer Intention hätten zwar nicht mehr zur Verfügung gestanden, weil bereits eine palliative Situation vorgelegen habe. Dafür, dass außer der Behandlung in der M.-Klinik keine andere anerkannte Behandlungsalternative mit palliativer Intention mehr in Betracht gekommen sei, sei aber nichts ersichtlich. Zudem müsse die neue Behandlungsmethode auch zumindest eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bieten. Dabei sei vorliegend in Rechnung zu stellen, dass die Anforderungen an die Erfolgschancen der streitbefangenen Hyperthermie-Behandlung deshalb besonders hoch seien, weil der GBA nach dem Überprüfungsverfahren im Rahmen des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V die Behandlungsmethode der Elektrohyperthermie bereits durch Beschluss vom 18. Januar 2005 ausdrücklich nicht als Behandlungsmethode anerkannt und so vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen habe. Es sei in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) anerkannt, dass für eine Anspruchsbegründung aufgrund grundrechtsorientierter Auslegung regelmäßig kein Raum mehr sei, wenn der GBA nach nicht zu beanstandender Prüfung zu einer negativen Methodenbewertung gelangt sei. Zwar sei es auch dann nicht schlechterdings ausgeschlossen, im Einzelfall durch die Formulierung eines grundrechtsunmittelbaren Leistungsanspruchs auf eine spezielle Behandlungsmethode eine entgegenstehende normative Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses außer Anwendung zu lassen. Doch bedürfe es hierfür konkreter Anhaltspunkte, dass und warum in der vor-liegenden Konstellation gleichwohl einen Leistungsanspruch begründende Erfolgschancen selbst bei Annahme fehlender schulmedizinischer Behandlungsalternativen bestehen sollten. Auch daran aber fehle es vorliegend. Indizien oder gar Evidenzen dafür, dass nur durch die streitbefangene Behandlung in der konkreten Lage des Versicherten positive Wirkungen auf den Krankheitsverlauf erzielt worden seien oder zumindest hätten erzielt werden können, seien nicht ersichtlich. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat gegen das ihm am 14. September 2017 zugestellte Urteil am 11. Oktober 2017 Berufung eingelegt, mit welcher er geltend macht, das Sozialgericht habe sich ebenso wie der gerichtliche Sachverständige nicht ausreichend mit der Stellungnahme des mitbehandelnden Arztes Dr. B. auseinandergesetzt. Der Sachverständige aber praktiziere die streitgegenständliche Behandlungsmethode nicht selbst und besitze daher keine Sachkenntnis. Die durchgeführte Therapie in der M.-Klinik habe eine über die palliativen Standardtherapien hinausreichende Erfolgsaussicht besessen. Hierbei seien auch die Nebenwirkungen der Leitlinien-Chemotherapie sowie die Schwächung des Immunsystems durch dieselbe zu berücksichtigen, hierzu habe sich der Sachverständige nicht geäußert. Der Sachverständige liege, was sich aus den Ausführungen des Dr. B. ergebe, in fast allen Punkten falsch.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. November 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2013 zu verurteilen der Klägerin Kosten für Krankenhausbehandlung in Höhe von 25.549,83 EUR zu erstatten.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.

Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 21. Februar 2019 den Sachverständigen Prof. Dr. W. angehört. Dieser hat ausgeführt, auch unter Anwendung des niedrigeren Maßstabs der Rechtsprechung an die Wirksamkeit der fraglichen Therapie könne er eindeutig sagen, dass die hier streitige Therapie für den Versicherten im rein experimentellen Bereich gelegen habe. Irgendwelche medizinisch wissenschaftlich nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass die bei ihm angewandte regionale Chemotherapie für den Versicherten über die Standardtherapie hinaus Schmerzlinderung oder irgendeinen anderen Nutzen hätte haben können, seien nicht erkennbar.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 21. Februar 2019 zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Akten und Unterlagen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist statthaft (§§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Sie ist indes nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Der Senat sieht nach eigener Überprüfung der Sach- und Rechtslage nach § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da die Berufung aus den in dem Urteil des Sozialgerichts vom 5. September 2017 dargelegten Gründen als unbegründet zurückgewiesen wird. Die weiteren Einlassungen der Klägerin sind nicht geeignet, eine abweichende Beurteilung zu tragen. Offen bleiben kann dabei, ob die Kostenerstattung der fraglichen Behandlung vom 23. Oktober 2011 bis zum 13. Dezember 2011 jedenfalls bis zum 29. November 2011 und ggfs. wegen einer Bindung des Versicherten an eine längere Behandlungsdauer auch darüber hinaus an der notwendigen Kausalität zwischen der Leistungsablehnung der Beklagten und der Inanspruchnahme der Behandlungen seitens des Versicherten scheitert, weil die Behandlung insoweit vor Erlass das ablehnenden Bescheides der Beklagten stattgefunden hat. Ebenso kann offen bleiben, ob es sich seitens der Beklagten um eine nicht rechtzeitige Erbringung einer unaufschiebbaren Leistung nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 1. Alt. handelte. Denn die hier wegen der fehlenden Anerkennung der Methode durch den GBA zu fordernden Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung nach dem Beschluss des BVerfG vom 6. Dezember 2005 (SozR 4-2500 § 27 Nr. 5; zuletzt bestätigt im Nichtannahmebeschluss vom 11.5.2017, Az. 1 BvR 452/17) liegen nicht vor. Voraussetzungen sind das Vorliegen einer lebensbedrohlichen Krankheit, das Fehlen einer anwendbaren Standardtherapie und das Bestehen von mehr als bloß ganz entfernt liegenden Aussichten auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf durch die streitige Therapie. Zweifellos litt der Versicherte an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, an der er letztlich wenige Tage nach Abschluss der streitbefangenen Behandlung auch verstarb. Der Senat hat aber in Anbetracht dieses Umstandes und der eindeutigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. W., denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, erhebliche Zweifel daran, dass der Gesundheitszustand des Versicherten über eine palliative Versorgung hinaus noch in erheblichem Umfang im Sinne einer Remission positiv zu beeinflussen war. Für eine palliative Versorgung indes standen den Ausführungen des Sachverständigen zur Folge leitliniengerechte Behandlungskonzepte zur Verfügung, unter deren Anwendung nicht nur das progressionsfreie, sondern auch das Gesamtüberleben im Einzelfall sogar signifikant verlängert werden kann. Diese Standardtherapien hat der Versicherte nicht ausgeschöpft. Darüber hinaus ist der Senat nicht davon überzeugt, dass es bezüglich der bei dem Versicherten angewendeten regionalen Chemotherapie medizinisch wissenschaftlich nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese über die Standardtherapie hinaus Schmerzlinderung oder irgendeinen anderen Nutzen hätte haben können. Auch insoweit folgt der Senat den Ausführungen des Sachverständigen. Auf die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob die Situation des Versicherten bereits palliativ war, bzw. ob überhaupt noch eine kurative Behandlung in Betracht kam, kommt es danach ebenso wenig an, wie darauf, ob in einer palliativen Situation grundsätzlich höhere Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis im Sinne des § 2 Abs. 1a SGB V zu stellen sind. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die Klägerin ist in diesem Verfahren nach § 56 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Sonderrechtsnachfolgerin ihres vor Klagebeginn, aber nach Antragstellung vom 20. Oktober 2011 verstorbenen Ehemannes († 3. Januar 2012) und damit gemäß § 183 Satz 1 SGG von Kosten befreit. Die Revision gegen dieses Urteil war nicht zuzulassen, weil die gesetzlichen Vorausset-zungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder Nr. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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