(11.4.2019) Gibt ein Arzt die Wahrscheinlichkeit für eine postoperative Komplikation mit der Formulierung "vereinzelt" an und beträgt das tatsächliche Risiko 20 %, so stelle dies keine zur Unwirksamkeit der Aufklärung führende Verharmlosung dar (Oberlandesgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 26.3.2019 - 8 U 219/16). Das Urteil widerspricht Wertungen einer kürzlich ergangenen BGH-Entscheidung zur Risikoaufklärung und ist kritisch zu betrachten.

Röntgenbild gebrochener ArmIn diesem Fall ging es um die - technisch einwandfrei ausgeführte - Operation eines gebrochenen Armes. In den Aufklärungsformular stand, dass es "vereinzelt" zu der Komplikation der Entstehung eines sog. Scheingelenks kommen kann, d.h. dass die Knochen nicht zusammenwachsen. So kam es dann auch, weshalb der Patient dem Arzt u.a. einen Aufklärungsfehler vorwarf. Diesen Vorwurf wies das OLG aber zurück. Der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige hatte erklärt, dass in diesem Fall eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 20 % vorläge, dass ein solches Scheingelenk entsteht (ebenso wie im Fall der Verwendung einer anderen operativen Methode zur Fixierung des gebrochenen Armes). Das OLG ging davon aus, dass das Wort "vereinzelt" dies abdecke und sah die Darstellung in dem Aufklärungsformular nicht als verharmlosend an.

Blickt man aber auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, muss man zweifeln: "Gelegentlich" bezeichnet ... in dieser Wortbedeutung eine gewisse Häufigkeit, die größer als "selten", aber kleiner als "häufig" ist (BGH, Urteil vom 29. Januar 2019 – VI ZR 117/18 Rn. 20 - juris). Der BGH nimmt dabei auf den Duden Bezug. Gelegentlich deckt danach aus Sicht des BGH ein Risiko bis 9 % ab und dieses "gelegentlich" ist größer als "selten". Das Wort "vereinzelt" wird im Duden definiert als "einzeln, nur in sehr geringer Zahl vorkommend; selten; sporadisch". Vereinzelt kann also auch als selten bezeichnet werden. Gelegentlich (bis 9 %) ist aber "größer als selten", so der BGH - dann bedeutet "vereinzelt" bzw. selten in jedem Fall weniger als 9 % und in keinem Fall bedeutet es bis zu 20 %.  

Auch das allgemeine Wortverständnis deckt sich nicht damit, etwas das vereinzelt auftritt, mit etwas in Verbindung zu bringen, dass in jedem fünften Fall auftritt. Wenn aus einer Gruppe von fünf Personen eine Person immer betroffen ist, kann man nicht von einem Einzelfall sprechen, sondern es liegt etwas Übliches und Häufiges vor.  

Vereinzelt bedeutet vielmehr einen Wert unter 9 % (da laut BGH gelegentlich 9 % beinhaltet und dies aber häufiger ist als selten = vereinzelt).

Setzt man eben diesen Maßstab an, nämlich dass vereinzelt ein Risiko unter 9 % beschreibt, so ist die Aufklärung im vorliegenden Fall fehlerhaft. 

Das OLG hat hier offensichtlich von der Rechtsfolge zum Ergebnis hin gedacht: Man wollte dem Arzt, der korrekt operiert hatte, nichts anhängen, weil auch bei Anwendung der anderen Operationsmöglichkeit laut Sachverständigen dasselbe Risiko eines Scheingelenks bestanden hätte. Rechtlich korrekt wäre es aber gewesen, hier die Begrifflichkeiten des BGH beizubehalten, die Aufklärung als fehlerhaft anzusehen ("vereinzelt" = selten = unter 9 %) und den Arzt dann über die hypothetische Einwilligung vom Haken zu lassen. Denn wenn auch die andere Operationsmethode dasselbe Risiko beinhaltet, hätte der Patient wohl schwerlich behaupten können, dass er sich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die stattgehabte Operation entschieden hätte. Stattdessen hat das OLG eine neue Kategorisierung vorgenommen, die mit dem System des BGH bricht. Das führt zu Rechstunsicherheiten. Bleibt zu hoffen, dass die Sache zum BGH geht und dieser sich klärend äußert. 

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Philip Christmann
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