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Delir im Krankenhaus

Prävention im Paket

Das Delir ist eine akute Funktionsstörung des Gehirns, die häufig bei älteren Menschen im Krankenhaus auftritt. Ein Delir kann die Sterblichkeit deutlich erhöhen. In der Prävention spielt die Arzneimittelanamnese eine wichtige Rolle.
Brigitte M. Gensthaler
25.04.2019  14:01 Uhr

Ein Delir kann sich ganz unterschiedlich äußern. Akut treten Bewusstseins-, Aufmerksamkeits- und Denkstörungen auf, die im Tagesverlauf stark schwanken können. Während ein hyperaktives Delir mit Unruhe, Agitiertheit, Angst und Halluzinationen rasch erkennbar ist, wird ein hypoaktives Delir, gekennzeichnet durch verminderten Antrieb und Apathie bis hin zum völligen Rückzug, leicht übersehen. Etwa zwei Drittel der Betroffenen entwickeln ein Delir vom Mischtyp. Im Gegensatz zu einer Demenz, die ebenfalls eine neurokognitive Störung ist, beginnt ein Delir akut und verläuft fluktuierend. Zudem ist das Bewusstsein getrübt.

30 bis 80 Prozent der Intensiv­patienten im Krankenhaus erleiden ein Delir; bei chirurgischen Patienten liegt die Inzidenz je nach Eingriff zwischen 5 und 52 Prozent, schreiben Privatdozent Dr. Norbert Zoremba vom St. Elisabeth Hospital in Gütersloh und Professor Dr. Mark Coburn von der Uniklinik Aachen in einem Übersichtsartikel im »Deutschen Ärzteblatt« (DOI: 10.3238/arztebl.2019.0101). Etwa ein Drittel der internistischen Patienten über 70 Jahre sei betroffen. Ursachen und Auslöser sind zum Beispiel akute Infektionen, anticholinerg wirkende Arzneistoffe, Substanzentzug, Elektrolytstörungen, Blutzuckerentgleisungen, Schmerzen und Hypoxie.

Medizinischer Notfall

Ein Delir – früher als Durchgangssyndrom bezeichnet – hat massive Folgen: erhöhte Letalität, längerer Krankenhausaufenthalt und schlechteres Behandlungsergebnis. Jeder vierte Patient behält kognitive Funktionsstörungen zurück. Die Autoren betonen: »Das Delir ist zweifelsfrei ein medizinischer Notfall, der vermieden oder zeitnah diagnostiziert und therapiert werden muss.«

Zur Diagnose gibt es validierte Screening-Verfahren, die auch für Intensivpatienten zur Verfügung stehen. Mehrmals täglich, auf Intensivstationen mindestens alle acht Stunden, sollte ein Screening erfolgen.

Laut einer Metaanalyse können nicht medikamentöse Maßnahmen die Delir-Inzidenz um 44 Prozent senken. Das Präventionspaket umfasst Maßnahmen zur Reorientierung, Angstvermeidung und -reduktion, Frühmobilisierung, optimierte Flüssigkeits- und Nahrungszufuhr, Verbesserung des Schlafs, adäquate Schmerztherapie und Vermeidung einer Polypharmazie. Letztere ist ein wichtiger Risikofaktor für ein Delir, zumal viele Medikamente, zum Beispiel Anticholinergika und Antipsychotika, deliro­gen wirken. Eine Interaktion mit dem cholinergen, dopaminergen oder serotonergen System kann das akute Syndrom auslösen. Dies sei bereits durch eine hochpotente Substanz, zum Beispiel Lorazepam, möglich. Aber auch die Kombination von mehreren geringgradig delirogenen Arzneistoffen könne das Risiko erhöhen, berichten die Autoren. Sie empfehlen, kontinuierlich die Medikation zu überprüfen und nicht dringend benötigte Medikamente abzusetzen.

Keine Medikamente zur Prophylaxe

Eine medikamentöse Delirprophylaxe wird von den Autoren nicht empfohlen. Vielversprechend sei der selektive α2-Agonist Dexmedetomidin (Dexdor®, als Sedativum zugelassen). Laut einer Metaanalyse kann die perioperative Gabe die Delir-Inzidenz bei chirurgischen Patienten signifikant senken. In der Praxis werden häufig auch psychoaktive Medikamente eingesetzt. Die Autoren nennen zum Beispiel α2-Agonisten und kurz wirksame Benzo­diazepine zur Kontrolle einer Agitation oder niedrig dosiertes Haloperidol oder atypische Neuroleptika wie Risperidon, Olanzapin oder Quetiapin bei produktiv-psychotischen Symptomen.

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