Fixierung:Schwere Vorwürfe gegen Landshuter Kinder- und Jugendpsychiatrie

Fixierung: Nicht erst seit den Vorwürfen gegen die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Landshut wird darüber gestritten, wann die Maßnahme des Fixierens wirklich nötig ist.

Nicht erst seit den Vorwürfen gegen die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Landshut wird darüber gestritten, wann die Maßnahme des Fixierens wirklich nötig ist.

(Foto: Bezirk Niederbayern)

Der ehemaliger Chefarzt wirft der Klinik vor, Patienten häufiger als notwendig an Betten zu fixieren. Der Bezirk Niederbayern verspricht Aufklärung.

Von Christina Berndt und Dietrich Mittler, Landshut

Krisenstimmung in der Landshuter Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP). Ein Siebenjähriger ist völlig außer sich. Er tobt und schreit. Im Aufnahmezimmer beschimpft er das Pflegepersonal und seine Eltern. Er wirft mit Stühlen um sich, schlägt sogar auf seine Mutter ein, die ihn beruhigen will. Der Bub ist nicht zu bändigen, so sehen es die Ärzte. Daraufhin wird er nach Absprache mit den Eltern und auf richterliche Anordnung hin an einem Bett festgebunden.Fixiert, wie es in der Fachsprache heißt. Ganze fünf Stunden lang.

Das Kind zur Seite nehmen? Es beruhigen? Es vielleicht in einem sicheren "Auszeit-Raum" erst einmal zur Ruhe kommen lassen? Dafür sahen die Ärzte offenbar keine Möglichkeit mehr. Aber gab es wirklich keine? Und musste die Fixierung so lange dauern? Der Fall des Buben, aber auch andere Praktiken in Landshut, sorgen derzeit weit über Bayern hinaus für Diskussionen unter Fachleuten. Der Bezirk Niederbayern als Träger der Einrichtung sieht inzwischen selbst Handlungsbedarf: Als externer Berater soll Romuald Brunner, der Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Universität Regensburg, nun klären, ob die Therapiemethoden der KJP Landshut "den heutigen Behandlungsgrundsätzen entsprechen", wie der Bezirk mitteilte.

Fixierung: Dietmar Eglinsky kritisiert den Landshuter Klinikbetrieb.

Dietmar Eglinsky kritisiert den Landshuter Klinikbetrieb.

(Foto: oh)

Dass der Vorfall überhaupt nach draußen drang, liegt letztlich an einer Stellungnahme des Bezirks. Darin wehrt sich Hermann Spießl, der Ärztliche Direktor des Bezirkskrankenhauses Landshut (BKH), gegen "schwere Vorwürfe" durch den bisherigen KJP-Chefarzt Dietmar Eglinsky und teilt mit, dass man sich von diesem getrennt habe - nach gerade mal neun Monaten. Einer von Eglinskys Vorwürfen, so schrieb der Bezirk in seiner Stellungnahme, lautete: "Patienten sollen häufiger als notwendig an Betten fixiert worden sein."

Diesen Vorwurf bestätigt Eglinsky auf Nachfrage. Die Bereitschaft zur Fixierung sei in Landshut "niedrigschwellig", sagt er und fügt weitere Bedenken gegen die KJP Landshut hinzu: Dort würden zu viele Kinder und Jugendliche auf der geschlossen Station untergebracht. Und außerdem sei auf dieser der Umgang mit den Patienten nicht wertschätzend und lösungsorientiert, sondern bevormundend und abwertend. Etwa sei einem stark weitsichtigen Patienten die Brille abgenommen worden, damit er die Gläser nicht zum Suizid nutzen könne. "Es gab keinen Anlass, ihm die Brille wegzunehmen ", sagt Eglinsky. Es ist nicht das erste Mal, dass er kritisch an die Öffentlichkeit tritt. Bei einem Expertentreffen in Regen hatte er kürzlich angemerkt: "Wenn ihr von Kindern oder Jugendlichen aus der Landshuter Klinik über Missstände hört, dann tut das nicht einfach ab. Schaut bitte kritisch hin."

Angesichts seiner Beobachtungen hatte der 51-Jährige schon bald nach seiner Ankunft in Landshut beschlossen, die Klinik zu reformieren. Doch seine Kritik löste Gegenwehr aus. Die Oberärzte fühlten sich angegriffen. In einem gemeinsamen Brief warfen sie dem neuen Chef Inkompetenz, massive Fehler und Führungsschwäche vor. Offenbar war es Eglinsky nicht gelungen, sein Team auf dem Reformweg mitzunehmen. Inzwischen ist er von seiner Tätigkeit freigestellt, sein Vertrag läuft Ende des Monats aus. Warum er sich mit seiner Kritik nach außen wandte? Monatelang sei ihm innerhalb des Klinikums, vom Träger und vom Ärztlichen Direktor kein Gehör geschenkt worden, sagt er.

Doch Bezirk und Krankenhaus setzen sich zur Wehr. "In der Klinik werden keine Fixierungen ohne richterliche Genehmigung durchgeführt", heißt es. Außerdem erfolgten sie erst "nach der Ausschöpfung aller anderen deeskalierenden Maßnahmen". Allerdings weisen die Zahlen darauf hin, dass relativ häufig fixiert wird: 2018 sind in Landshut laut Bezirk 63 Fixierungen vorgenommen worden. Davon waren 28 Patienten betroffen, was angesichts von 470 Patienten 6,0 Prozent der Patienten entspricht. 2017 waren es 4,6 Prozent.

Das ist viel im Vergleich zu anderen Häusern. So wurden 2018 in der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikums Nürnberg mit ihren 1100 Patienten 13 Personen fixiert, das entspricht 1,2 Prozent, an der Heckscher-Klinik in München waren es im gleichen Zeitraum 0,9 Prozent, an den zum Universitätsklinikum Würzburg gehörenden Institutionen 2019 gemittelt 2,6 Prozent. Der Bezirk betont, dass sich die Zahlen nur schwer vergleichen lassen. Allerdings sind all diese Häuser ebenso wie das BKH Landshut zur Versorgung all jener Patienten verpflichtet, die zu ihnen kommen. Und an allen Häusern gilt das Credo: Fixierungen sind so gut es geht zu vermeiden. Eglinsky sagt: "Eine Fixierung ist die maximale Traumatisierung, die man in der Kinder- und Jugendpsychiatrie anrichten kann."

In einem weiteren Punkt fällt Landshut auf: An keiner anderen Klinik ist in den vergangenen Jahren ein Kind unter zehn Jahren fixiert worden, sofern es nicht geistig behindert war. "Bei einem so jungen Kind hat man schon wegen der Körpergröße in der Regel andere Möglichkeiten", sagt Luise Poustka, Direktorin der KJP des Universitätsklinikums Göttingen. Auch die Länge der Fixierung des Siebenjährigen irritiert. In der Regel dauern Fixierungen 15, 30 oder maximal 60 Minuten, nur im Einzelfall Stunden. Auch in Landshut sei das aber eine Ausnahme gewesen,betont der Bezirk.

Neben der hohen Fixierungsquote sorgt ein weiteres Detail für Unruhe in der Fachwelt: der in Landshut praktizierte "Stufenplan". Demnach gilt für suizidgefährdete Kinder und Jugendliche zunächst die "Stufe Null". In dieser dürfen die Patienten nur mit dem Löffel essen - Messer und auch Gabeln gelten als zu gefährlich. Sie dürfen ihr Zimmer nicht verlassen, Bad und Toilette nur in Begleitung betreten. Alle Schränke sind verschlossen. Bei angemessenem Betragen gelangen die Kinder und Jugendlichen später auf Stufe Eins. Wer sich aber gegenüber Pflegepersonen und Ärzten nicht ruhig und respektvoll verhält, nicht auf körperliche Distanz achtet, zu den Mahlzeiten keine angemessenen Portionen isst oder gar mit Mitpatienten zu tuscheln anfängt, wird laut Plan wieder zurückgestuft. Überdies: Aufforderungen sei stets ohne Diskussion nachzukommen.

Renate Schepker, Regionaldirektorin beim Zentrum für Psychiatrie Südwürttemberg, hat sich mit dem Landshuter Stufenplan auseinandergesetzt. Ihr Fazit: Eine Isolierung sei für suizidale Patienten "genau die falsche Herangehensweise". Dass die Patienten das Zimmer nicht auf eigenen Wunsch verlassen dürfen, sei eine freiheitsentziehende Maßnahme, und diese nach einem Plan tagelang durchzuziehen, sei seit Oktober 2017 nicht mehr legal. Dass Patienten Aufforderungen ohne Diskussion nachzukommen hätten, zementiere ein Machtverhältnis wie beim Militär. "Vollkommene Anpassung und Unterwerfung", das könne in der Psychiatrie doch niemand wollen, sagt sie.

Fixierung: Ärztlicher Direktor Hermann Spießl weist die Kritik zurück.

Ärztlicher Direktor Hermann Spießl weist die Kritik zurück.

(Foto: Bezirk Niederbayern)

Auch Michael Kölch hält den Landshuter Stufenplan für problematisch. Jede Klinik, so betont der stellvertretende Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, halte sich an gewisse Standards. Aber die müssten so gestaltet sein, "dass sie nicht zynisch oder menschenverachtend werden", dass sie nicht ins Absurde abgleiten. "Was letztlich hinter diesem Stufenplan steht, ist meines Erachtens die Sorge, etwas falsch zu machen", sagt er.

Ungeklärt bleibt derweil die Zahl der Unterbringungen auf der geschützten Station in Landshut. Der Bezirk gibt sie nicht heraus. Eglinsky zufolge liegt sie bei rund 50 Prozent. Sollte diese Zahl zutreffen, sei sie "erstaunlich hoch", sagt Kölch. Er findet es "ungewöhnlich, dass die Hälfte aller Patienten offenbar nicht freiwillig da ist oder einen Beschluss braucht". Üblich seien 15 bis 30 Prozent.

Für Dietmar Eglinsky steht jedenfalls eines fest: Er will mehr Öffentlichkeit für die Vorfälle in Landshut - egal, welche Folgen das für ihn persönlich haben wird. "Wenn Interessen von Kindern betroffen sind", sagt er, "kann ich nicht schweigen."

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