Schorndorf

Stuttgart schnappt sich Arztsitz

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Die niedergelassenen Ärzte im Rems-Murr-Kreis wurmt gewaltig, dass das Klinikum Stuttgart einen Arztsitz in Schorndorf gekauft hat. Sie befürchten eine Kommerzialisierung ihres Berufsstandes. © Fotolia / Peter Jobst
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Herz-Telefonaktion
Dr. Karl-Michael Hess: „Wachgerüttelt“. © ZVW/Benjamin Büttner
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Landrat Richard Sigel: „Verwundert“. Foto: Habermann © ZVW/Gabriel Habermann

Schorndorf/Stuttgart. Im Gesundheitswesen wird mit härteren Bandagen gekämpft. Die niedergelassenen Ärzte im Rems-Murr-Kreis sind sauer über das Stuttgarter Klinikum, das den Arztsitz eines Gastroenterologen in Schorndorf gekauft hat. Landrat Richard Sigel zeigt sich als Aufsichtsratsvorsitzender der Rems-Murr-Kliniken verwundert über den Coup der Stuttgarter.

Die Praxis des Magen-Darm-Mediziners ist nicht die erste, die das Klinikum Stuttgart gekauft hat (siehe unten: „Weshalb Stuttgart in Schorndorf zugriff“). Dass Ärzte ihre Praxis nicht an einen Kollegen verkaufen, sondern an ein Krankenhaus oder einen privaten Investor, ist im Grunde nichts Neues, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. KVs sind für die vertragsärztliche Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenkassen zuständig und wachen unter anderem darüber, dass nur so viele Ärzte in einem Gebiet praktizieren, wie erlaubt ist. Wer aber an wen verkauft, geht die KV nichts an.

In einem MVZ ist der Arzt nicht der Chef, sondern ein Angestellter

In einer an ein Medizinisches Versorgungszentrum verkauften Praxis ist der praktizierende Arzt nicht gleichzeitig auch Chef, sondern ein Angestellter. Ohne auf den Fall Schorndorf konkret einzugehen, sieht die Kassenärztliche Vereinigung den Trend zu Versorgungszentren durchaus kritisch, nennt Kai Sonntag ein Beispiel, in welch falsche Richtung dies gehen kann.

Ein kleines Krankenhaus auf der Nordseeinsel Borkum, hinter der ein Investor steckt, kaufe reihenweise Arztsitze von Gynäkologen auf und strukturiert sie in „Kinderwunsch-Praxen“ um. Diese Spezialisierung sei nicht überall erwünscht. Sie führe im konkreten Fall dazu, dass sich die Basisversorgung für Patientinnen verschlechtert, weil sich um sie nun weniger Frauenärzte kümmern. – Die Motive von Krankenhäusern, Versorgungszentren zu gründen, seien vielfältig. Ein Grund sei sicherlich, dass diese Praxis ihre Patienten in aller Regel ihrem Arbeitgeber zuweist – und nicht der örtlichen Konkurrenz. Für die niedergelassenen Ärzte tauche ein neuer Marktteilnehmer auf, der nicht nur finanziell gut ausgestattet ist, sondern bei dem die Gefahr besteht, sich auf lukrative Behandlungen zu spezialisieren, spricht Kai Sonntag von Rosinenpickerei.

Der neue Sprecher der Waiblinger Ärzteschaft, der Schorndorfer Kardiologe Dr. Karl-Michael Hess, befürchtete: „Das Gesundheitswesen wird kommerzialisiert.“ Das persönliche Verhältnis zwischen Arzt und Patient stünde auf der Kippe, womöglich leide die Qualität. Der Fall Schorndorf habe die Ärzteschaft wachgerüttelt.

Mit den Rems-Murr-Kliniken hat die Ärzteschaft vor Jahren ein Stillhalte-Abkommen geschlossen, dass die Kliniken keine MVZ gründen und den niedergelassenen Ärzten somit Konkurrenz machen. Umso verblüffter zeigt sich Landrat Richard Sigel nun, dass Stuttgart eine Arztpraxis für Gastroenterologie in Schorndorf erworben hat. „Ich habe dazu bereits mit dem Oberbürgermeister von Stuttgart, Fritz Kuhn, das Gespräch gesucht und habe meine Verwunderung über diesen Vorgang zum Ausdruck gebracht. Wir als Rems-Murr-Kreis setzen mit der Medizinkonzeption unserer Rems-Murr-Kliniken bewusst auf eine Zukunftsstrategie, die auf eine nachhaltige Gesundheitsversorgung für unsere Bürgerinnen und Bürger im eigenen Landkreis abzielt. Vor diesem Hintergrund und dem interkommunalen Rücksichtnahmegebot sehen wir das Betreiben der Arztpraxis durch das Klinikum Stuttgart als unfreundlichen Akt an.“

Mit dem 2014 eröffneten Rems-Murr-Klinikum in Winnenden und einem neuen, mit der Schorndorfer Klinik abgestimmten Medizinkonzept ist offensichtlich dem Stuttgarter Klinikum in den vergangenen Jahren eine ernstzunehmende Konkurrenz erwachsen. Das Stuttgarter Klinikum steckt wie die Rems-Murr-Kliniken in roten Zahlen und kämpft um Patienten. In Winnenden sind neue Fachgebiete aufgebaut worden wie beispielsweise die Onkologie. Der Marktanteil der Rems-Murr-Kliniken steigt, weil weniger Bürger in Krankenhäuser ausweichen (müssen).

Landrat Sigel: „Wir sehen Gesprächsbedarf“

Die Rems-Murr-Kliniken von heute sind eben kein Vergleich mehr zu den Feld-Wald-Wiesen-Kreiskrankenhäusern von einst. Wenn Landrat Sigel also von einer kooperativen und konstruktiven Zusammenarbeit schreibt, so könnte die – zumindest in den Augen der Stuttgarter Verantwortlichen – in Sachen Medizin schon vor Jahren von Seiten des Rems-Murr-Kreises aufgekündigt worden sein. „Wir sehen Gesprächsbedarf, wenn von einer anderen Kommune eine Dienstleistung bei uns erbracht wird, die auch von den Rems-Murr-Kliniken für die Menschen im Rems-Murr-Kreis vorgenommen wird“, heißt es in der Pressemitteilung des Landratsamtes zu dem Streit um den Arztsitz-Kauf.

Weshalb Stuttgart zugegriffen hat

Die Gastroenterologie in Schorndorf ist nicht die erste Praxis, die das MVZ des Klinikums Stuttgart gekauft hat, bestätigt ein Sprecher des Klinikums auf Anfrage. „Überwiegend handelt es sich um die Integration bereits am Klinikum betriebener KV-Sitze (Pathologie, Nuklearmedizin), aber auch um die Integration eines radiologischen Sitzes aus Stuttgart.“ Die Webseite des Klinikums führt sechs solcher Praxen auf, darunter auch die von Dr. med. Arne Dehling in Schorndorf, wo schwerpunktmäßig Koloskopien und Gastroskopien (Darm- und Magenspiegelungen) durchgeführt werden. „Dr. Dehling wird montags bis donnerstags in seiner Zweigpraxis in Schorndorf tätig sein und freitags in den Räumlichkeiten der Klinik für Allgemeine Innere Medizin, Gastroenterologie, Hepatologie, Infektiologie und Pneumologie endoskopische Leistungen anbieten.“ Das Angebot werde schrittweise ausgebaut werden.

Als Ziele des Stuttgarter MVZ nennt das Klinikum „die Sicherung der vor- und nachstationären Versorgung und Verbesserung der nahtlosen sektorübergreifenden Behandlung im Interesse des Patienten“. Und weiter: Der Schorndorfer Gastroenterologe habe für seine Praxis trotz intensiver Bemühungen und des Austausches mit lokalen Kliniken keinen Nachfolger gefunden. Diese Situation betreffe etwa 500 Praxen in Baden-Württemberg und sei Ausdruck des Ärztemangels. „Das Klinikum Stuttgart engagiert sich daher intensiv in der Ausbildung von Medizinstudenten im Praktischen Jahr und sehr erfolgreich in der Ausbildung von Allgemeinmedizinern.“

Der KV-Sitz wurde vom Medizinischen Versorgungszentrum des Klinikums Stuttgart übernommen und soll zur Verbesserung der sektorübergreifenden Versorgung am Standort Stuttgart Mitte integriert werden. Mit Landrat Dr. Sigel habe „ein konstruktiver und klärender Austausch“ stattgefunden, dem weitere Gespräche folgen sollen.