Medizin:Die dubiosen Millionengeschäfte der Radiologen

Medizin: Kontrastmittel werden Patienten gespritzt, um etwa Krebsherde oder verstopfte Herzkranzgefäße besser diagnostizieren zu können.

Kontrastmittel werden Patienten gespritzt, um etwa Krebsherde oder verstopfte Herzkranzgefäße besser diagnostizieren zu können.

(Foto: AFP)
  • In einigen Bundesländern bereichern sich Radiologen mit Kontrastmitteln, die sie günstig einkaufen und den Krankenkassen teuer in Rechnung stellen.
  • Das zeigen interne Unterlagen von Radiologiepraxen und Pharmaherstellern.
  • Bundesweit belaufen sich die Verluste für das Solidarsystem auf fast 200 Millionen Euro.

Von Christina Berndt und Markus Grill

In fünf Bundesländern können Radiologen auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen jedes Jahr Zehntausende Euro zusätzlich verdienen, indem sie bestimmte Medikamente billig einkaufen, für die sie dann von den Kassen teure Pauschalen erhalten. Das ergeben Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR in internen Unterlagen von Radiologiepraxen und Pharmaherstellern.

Bei den Medikamenten handelt es sich um Kontrastmittel, die Ärzte ihren Patienten bei Untersuchungen im Computertomografen (CT) oder Magnetresonanztomografen (MRT) spritzen, um etwa Krebsherde oder verstopfte Herzkranzgefäße besser diagnostizieren zu können. So konnten Radiologen in Bayern in einem Fall das MRT-Kontrastmittel "Dotagraf" der Bayer-Tochter Jenapharm zum Preis von 760 Euro je Liter einkaufen und bekamen es mit 3900 Euro vergütet. Bayer nahm dazu auf Anfrage keine Stellung. Auf diese Weise sind mit einem einzigen MRT-Gerät Zusatzeinnahmen von knapp 100 000 Euro pro Jahr möglich. Bundesweit belaufen sich die Verluste für das Solidarsystem auf fast 200 Millionen Euro.

Außer in Bayern können Radiologen auch in Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen Kontrastmittel über Pauschalen abrechnen. Wie niedrig die Einkaufspreise mitunter sind, haben Hersteller, Zwischenhändler und Ärzte bislang geheim gehalten - auch vor den Krankenkassen. NDR, WDR und SZ liegen nun erstmals Einkaufsrechnungen von Radiologen und Lieferangebote von Firmen vor, die zeigen, zu welchen Preisen Ärzte diese Präparate tatsächlich einkaufen.

Ärzten ist es eigentlich nicht gestattet, an der Weitergabe von Heilmitteln zu verdienen

Der ehemalige Vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer hält das Modell für "strafwürdig". Die Pauschalen nützten "weder den Patienten noch den Krankenkassen und dem Solidarsystem. Sie führen zur ungerechtfertigten Bereicherung von Einzelnen, und das ist nicht zu akzeptieren". Außerdem ist es Ärzten eigentlich nicht gestattet, an der Weitergabe von Arznei- oder Heilmitteln zu verdienen. Fischer fordert deshalb die Krankenkassen auf, dieses Modell zu beenden. Der Gesetzgeber solle dafür sorgen, dass die enormen Zusatzgewinne untersagt werden.

Außerdem besteht der Verdacht, dass mehr Patienten Kontrastmittel erhalten als nötig. Dies legt ein Vergleich von 28 radiologischen Praxen nahe. Kontrastmittel können Allergien auslösen und im Einzelfall auch schwere Nebenwirkungen haben. Stefan Delorme vom Deutschen Krebsforschungszentrum sagt: "Niemand sollte sie bekommen, wenn er sie nicht braucht." Das Bundesgesundheitsministerium teilte auf Anfrage mit, man sehe die Verantwortung bei den Kassen. Diese müssten sich an das Wirtschaftlichkeitsgebot halten. Die AOKs in den betroffenen Ländern lehnten Interviews zum Thema ab. Die AOK Bayern kündigte aber nach Konfrontation mit den Recherchen an, "künftig eine Vergütung auf Grundlage von Marktpreisen" erzielen zu wollen. Die AOK Nordwest prüft, ob sie Kontrastmittel ausschreibt.

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