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Kliniken zur MDK-Reform

Abrechnungssystem muss einfacher werden

Wehrten sich gegen falsche Zahlen, kritisierten das Prüfsystem der Krankenhausabrechnungen und nahmen Stellung zum MDK-Reformgesetz, das 2020 kommen soll: Dr. Roland Ventzke (li.), Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses Kiel sowie Vorsitzender des 6K-Klinikverbundes, und Dr. Martin Blümke, Geschäftsführer des Westküstenklinikums Heide.

Wehrten sich gegen falsche Zahlen, kritisierten das Prüfsystem der Krankenhausabrechnungen und nahmen Stellung zum MDK-Reformgesetz, das 2020 kommen soll: Dr. Roland Ventzke (li.), Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses Kiel sowie Vorsitzender des 6K-Klinikverbundes, und Dr. Martin Blümke, Geschäftsführer des Westküstenklinikums Heide.

Kiel. Am meisten stören Dr. Roland Ventzke die öffentlich verbreiteten Zahlen, wonach 50 Prozent der Krankenhausabrechnungen falsch seien. "Das erfüllt für uns nahezu den Tatbestand der Verleumdung", sagte der Geschäftsführer des Städtischen Krankenhauses Kiel (SKK) in seiner Funktion als Vorsitzender des 6K-Klinikverbundes Schleswig-Holstein bei einem Pressegespräch am Montag im SKK.

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Die Wahrheit sei: Nicht 50, sondern "lediglich zwei Prozent der Abrechnungen lassen Spielraum für Diskussionen, ob die Datenlage der Abrechnung richtig oder falsch ist", so Dr. Martin Blümke, Geschäftsführer des Westküstenklinikums (WK) Brunsbüttel und Heide. Er lege seine Hand dafür ins Feuer, dass niemand im WK oder im 6K-Verbund vorsätzlich Mehrkosten fingiere.

6K - das ist der Verbund kommunaler Krankenhäuser in Kiel, Rendsburg und Eckernförde, Neumünster, Bad Bramstedt, Itzehoe, Brunsbüttel und Heide. "Das Prüfsystem bei Krankenhausabrechnungen und das MDK-Reformgesetz - wir gehen davon aus, dass es am 1. Januar 2020 greift - sind Themen, die uns ordentlich umtreiben", so Ventzke.

Der MDK (Medizinischer Dienst der Krankenkassen) wird im Auftrag der Kassen tätig. "Wir Kliniken machen eine Kosten-Dokumentation, wenn wir den Patienten vor uns sehen. Der MDK macht sechs Wochen später eine Prüfung aus den Akten."

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Eine Beispielrechnung

Beispielrechnung: Gehe man von einem Budgetvolumen von 100 Millionen Euro im Jahr aus - das SKK liege etwas darunter, das größere WK etwas darüber - "prüft der MDK 18 Prozent, entsprechend 18 Millionen. Das ist schon sehr viel."

Doch etwa drei Viertel dieser Prüfungen - entsprechend knapp 14 Millionen Euro - bezögen sich auf Verweildauer, Fehlbelegung und die Anwendung von Kodierrichtlinien, mithin auf medizinisch-inhaltliche Fragestellungen wie: Hätte der Patient einen Tag kürzer bleiben können? Hätte der Patient besser ambulant behandelt werden können als im Krankenhaus?

"50 Prozent Falschabrechnungen, das kann sich nur auf die Hälfte der restlichen vier Millionen beziehen", stellte Ventzke fest - also nur auf zwei Prozent des Budgetvolumens.

Kontrolle müsse sein, so der 6K-Vorsitzende. Er kritisierte aber, dass daraus ein Geschäftsmodell geworden sei. Ventzke gab an, dass 2012 der MDK etwa 730 Millionen Euro von den deutschen Krankenhäusern zurückgeholt habe - bei einem Verwaltungsaufwand von 270 Millionen Euro.

Hoher Verwaltungsaufwand

2016 - jüngste verfügbare Zahl - hätten 310 Millionen Euro Verwaltungsaufwand (davon fast die Hälfte an Krankenhäuser gezahlte Aufwandsentschädigungen) einer den Prüfungen folgenden Einnahme von 1,2 Milliarden Euro gegenübergestanden.

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Beide Seiten - der prüfende MDK und die geprüften Krankenhäuser - hätten personell immer weiter aufgerüstet. Allein ein Krankenhaus in der Größenordnung des SKK gebe jährlich eine halbe Million Euro dafür aus, Abrechnungen durch geschultes ärztliches und pflegerisches Personal möglichst prüfungssicher zu machen.

Das System sei von anfangs 640 auf fast 1400 Fallpauschalen angewachsen, "megakompliziert, schwer anzuwenden, allein dadurch entstehen Fehler". Das für die Abrechnungssicherheit eingesetzte Personal werde aber der Krankenversorgung entzogen - in Zeiten des Fachkräftemangels.

Scharfe Wortwahl

Zudem herrsche statt vertrauensvoller Zusammenarbeit im Sinne guter Patientenversorgung Misstrauen, das sich auch in teils scharfer Wortwahl im Pressegespräch niederschlug.

Ventzke und Blümke zitierten ein angebliches geflügeltes Wort des MDK-Personals zum Prüfkriterium Verweildauer des Patienten im Krankenhaus. Es laute: "Einen Tag finde ich immer."

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Einen Patienten einen Tag länger im Krankenhaus zu behalten als die jeweilige, ans Krankenhaus gezahlte Fallpauschale (DRG) vorsieht, heißt, so Ventzke, "dass dieser Tag uns auch dann abgezogen wird, wenn wir einen 85-Jährigen, der nicht gleich nach der Therapie zu Hause oder im Heim versorgt werden kann, einen Tag länger im Krankenhaus behalten, uns also sozial verhalten. Wir wollen dem Patienten nicht sagen: Tut uns leid, Sie müssen sehen, wie Sie allein klarkommen."

Ein Einzelfall? "Mitnichten", so Blümke. "Acht Prozent der Fälle liegen in oder über der oberen Grenzverweildauer. Dann muss die Kasse jeden zusätzlichen Tag einzeln zahlen, und jeden sieht sich der MDK ganz genau an. Mindestens ein Drittel der Prüfungen bezieht sich auf diesen Sachverhalt."

Er rechne nicht damit, dass sich das System hier verbessere, sagte Blümke, "ich habe Sorge, dass in deutschen Krankenhäusern gesagt werden wird: 'Dann machen wir das eben nicht mehr.' Und das wäre falsch und asozial."

Unterstützung für Spahn-Reform

Beide Klinikdirektoren begrüßten den Ansatz von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das MDK-Reformgesetz auf den Weg zu bringen, um den "Prüfwahnsinn" einzudämmen.

Im ersten Jahr des Gesetzes solle die Zahl der Prüfungen halbiert werden. Schon dagegen liefen die Kassen Sturm, so Blümke, und argumentierten, Herr Spahn entziehe den Versicherten Geld, um es Krankenhäusern in den Rachen zu werfen. Dabei solle nach dem ersten Jahr die Zahl der Prüfungen wieder ansteigen dürfen.

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Als positiv am MDK-Reformgesetz bewertete Blümke neben der Halbierung der Prüfungen im ersten Jahr die Regelung, dass weniger auffällige Kliniken seltener geprüft werden sollen.

Auch der Schlichtungsausschuss, der innerhalb von acht Wochen eine Entscheidung treffen müsse, sei "ein guter Ansatz".

Ebenso das Aufrechnungsverbot, "sodass das Geld nicht bei den Kassen bleibt und wir dann darum kämpfen müssen, was uns Krankenhäusern erhebliche liquide Mittel entzieht", und auch die künftige Verpflichtung, vor einem Klageverfahren ins Gespräch "mit der Kasse zu kommen", wie Ventzke betonte.

Ablösung des MDK? "Ein Feigenblatt"

Den Entschluss, den MDK von den Krankenkassen zu lösen und ihn zu einer eigenständigen Körperschaft des öffentlichen Rechts zu machen, nannten beide Geschäftsführer "ein Feigenblatt".

Denn im jeweiligen Verwaltungsrat würden von 23 Mitgliedern 16 von den Kassen benannte sein. Immerhin sei zu erwarten, dass fünf Patientenvertreter in diesem Gremium andere Sichtweisen, als die der Kassen kommunizieren würden.

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Nicht infrage gestellt werde die aus ihrer Sicht fehlerhafte Abrechnungslogik. Die Verweildauer, erklärte Martin Blümke, müsse entweder aus dem Abrechnungssystem gestrichen werden, oder die Spanne der Verweildauer müsse erweitert werden.

Besonders schädlich sei die untere Grenzverweildauer. Wenn diese für eine Fallpauschale mit bis zu zwei Tagen definiert sei, und das Krankenhaus entlasse den Patienten nach drei Tagen, werde gemäß dem Ondit "Einen Tag finde ich immer" ein Tag abgezogen und dem Krankenhaus nicht erstattet.

Zusätzlich jedoch werde der DRG-Wert bei Erreichen des unteren Grenzwerts bis zur Hälfte reduziert. Eine solche Praxis gebe aus betriebswirtschaftlicher Sicht gefährliche Fehlanreize für die gefürchtete "blutige", also zu frühe Entlassung des Patienten.

KN

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