Landshut
"Eigentlich müsste ich tot sein"

Krebsklinik in München vor dem Aus - Mitarbeiter und Ex-Patienten wollen Protonentherapie erhalten

06.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:20 Uhr
Alexander Schmid
Johannes Füßl aus dem Landkreis Landshut kämpft für den Erhalt des Rinecker-Zentrums in München, wo die Patienten mit Protonen bestrahlt werden. −Foto: Imago Images, privat

Landshut/München (DK) "Es gibt nichts Besseres", sagt Johannes Füßl.

Der ehemalige Angestellte aus dem Landkreis Landshut will deshalb kämpfen. Nicht um sein Leben, so wie noch vor zwei Jahren, sondern für diejenigen, die es gerettet haben. Füßl litt an Prostatakrebs. Geholfen hat ihm eine Bestrahlung mit Protonen, die als besonders effizient und schonend gilt - aber auch teuer ist. Ende des Jahres soll der Betrieb des Rinecker Proton Therapie Center (RPTC) in München eingestellt werden. Ehemalige Patienten sind entsetzt.

"Eigentlich müsste ich tot sein", erzählt auch der 65-jährige Olaf S. (Name auf Wunsch geändert) aus Westfalen. Bei ihm hatten die Ärzte Bauchspeicheldrüsenkrebs festgestellt, der bereits gestreut hatte. Lebenserwartung noch vor zwei Jahren: "Sechs Monate. " Sein Leben, sagt er, habe er dem RPTC zu verdanken.

In Deutschland stehen derzeit fünf Protonentherapieanlagen für den Patientenbetrieb zur Verfügung: in Heidelberg, Essen, Dresden, Marburg - und noch eine in München. Eine weitere Anlage für die Bestrahlung von Patienten mit Augentumoren steht in Berlin. Über 70 Zentren werden derzeit weltweit betrieben. "Diese Zahl wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Damit wird die Protonentherapie zunehmend als fester Bestand des strahlentherapeutischen Methodenarsenals verfügbar", heißt es in einer Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (Degro) vom Juni 2019. Aus physikalischer Sicht seien Protonen in bestimmten Situationen besser als bei der klassischen Strahlentherapie geeignet zur "Maximierung der Krebsabtötung und Minimierung der akuten Nebenwirkungen und Spätkomplikationen einer radioonkologischen Therapie".

Die Behandlung ermöglichte es zum Beispiel Hella L. aus dem Landkreis Landshut, wieder ein normales Leben zu führen. Bei ihr war ein Hirntumor diagnostiziert worden. Ein inoperabler Krebs, der immer weiter wuchs. Durch die Protonenbestrahlung, erzählt sie, konnte der Tumor gestoppt werden. "Auch mein Mann, er leidet an Prostatakrebs, hat sich dort jetzt behandeln lassen", sagt sie. Er ist einer der letzten Patienten des RPTC.

Ein Problem der Münchner Klinik wird durch die Stellungnahme der Deutschen Krebsgesellschaft in Berlin klar. Sie erklärte auf Anfrage: "Die Protonentherapie ist eine besondere und auch kostenintensive Form der Strahlentherapie, die bis auf wenige Ausnahmen, zum Beispiel beim seltenen Knochenkrebs, nicht als Standardtherapie zum Einsatz kommt. Vielmehr befindet sich die Therapie bei ganz bestimmten Patientengruppen noch in der Erprobung", so Angelina Gromes, Referentin für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Nur zwei ärztliche Leitlinien würden derzeit diese Art der Therapie erwähnen. "Anhand der Leitlinienempfehlungen ist also ersichtlich, dass es sich bisher um keine Standardtherapie handelt. " Keine Standardtherapie bedeutet: wenig Patienten.

"Mein Arzt hat gesagt, dass es keine ausreichend wissenschaftlich belegten Studien gibt, weil bisher nicht genug Patienten mit der Methode behandelt worden sind", sagt Olaf S. Solche Zahlen könne es, so der 65-Jährige, aber doch auch gar nicht geben, wenn niemand an das RPTC überweise und nicht alle Kassen die Kosten übernehmen würden. Stattdessen würde auf gängige Methoden vertraut - die für ihn das Todesurteil bedeutet hätten. "Ich galt als austherapiert. Eine weitere Chemo hätte ich nicht ausgehalten. "

Ähnliches berichtet auch Füßl. "Meine Krankenkasse wollte die Behandlung zunächst nicht zahlen", erzählt er. Die Behandlungskosten in Höhe von 28000 Euro streckte er vor und musste sich das Geld danach erstreiten. Erst nach einer Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen wurden die Behandlungskosten erstattet - allerdings nur "im Rahmen einer Einzelfallentscheidung", wie es in einem Schreiben seiner Krankenkasse heißt. Sein Urologe habe gar von einer "Luxusversion" seiner Krebsbehandlung gesprochen.

Die 2009 gegründete Münchner Klinik steckt seit Jahren in massiven finanziellen Schwierigkeiten. Der Vorstand der Betreibergesellschaft Pro Health AG hatte am 11. September 2017 Insolvenzantrag gestellt. Trotzdem hatte das RPTC uneingeschränkt Patienten behandeln und der Insolvenzverwalter Michael Jaffé den Betrieb mit Unterstützung des Technologiepartners Varian Medical Systems nahtlos fortführen können. Jetzt stehen allerdings unaufschiebbare Reparaturen und Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe an den hochkomplexen Anlagen an. "Das Münchner Protonentherapiezentrum RPTC muss zum Ende des Jahres in einen Ruhezustand versetzt werden", teilt der Insolvenzverwalter mit.

In zehn Jahren Betrieb sei nie die Patientenzahl erreicht worden, die ursprünglich pro Jahr geplant gewesen wäre, so Jaffé. "Das RPTC hat deshalb zu keiner Zeit kostendeckend arbeiten können und jährlich hohe Verluste erwirtschaftet. " Die Anlage war überdimensioniert für die erreichte Patientenzahl.

Sollte sich ein Investor finden, der bereit ist, das Zentrum zu angemessenen Konditionen zu übernehmen, könne das RPTC natürlich weiter existieren. Die Aussichten sind allerdings düster. So soll zwar sogar ein Scheich, dessen Frau in München behandelt worden ist, Hilfe angeboten haben. Geld floss bisher aber nicht.

Die 60 Beschäftigten der Klinik wollen aber nicht aufgeben. Sie haben eine Initiative zur Rettung des RPTC gegründet. Der ehemalige Patient Füßl will sich jetzt sogar an die Politik wenden, damit es weitergeht. "Ich versuche alles Mögliche, diese Klinik zu retten. Ob es gelingt, weiß ich erst am Ende, aber dann habe ich kein schlechtes Gewissen, nicht geholfen zu haben. Diese Klinik hat mir das Leben gerettet. "

Alexander Schmid