Zusammenarbeit
Kardiologie-Knatsch: Aargauer Regierung gibt Tarif durch – und nimmt Kantonsspitäler an die Leine

Das Kantonsspital Baden (KSB) hat den Kardiologie-Vertrag mit dem Kantonsspital Aarau (KSA) gekündigt. Seither herrscht dicke Luft. Nun nimmt die Regierung die Spitäler an die Leine.

Noemi Lea Landolt, Mathias Küng
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Steht in der Kardiologie ohne Partner da: KSA-CEO Robert Rhiner.

Steht in der Kardiologie ohne Partner da: KSA-CEO Robert Rhiner.

Claudio Thome
War gezwungen, einen neuen Partner zu suchen: KSB-CEO Adrian Schmitter.

War gezwungen, einen neuen Partner zu suchen: KSB-CEO Adrian Schmitter.

Claudio Thome

Die Kooperation zwischen den beiden Kantonsspitälern in Aarau und Baden in der Kardiologie lief gut. Jahrelang gab es keinen Grund, daran etwas zu ändern. Doch diese Zeiten sind vorbei. Nachdem Chefarzt André Vuilliomenet nach 25 Jahren am KSA pensioniert wurde und sein Nachfolger Laurent Haegeli im Juni 2018 den Chefarztposten antrat, wurde es unruhig im Team.

KSA-Sprecherin Isabelle Wenzinger sagte Ende August gegenüber der AZ, es habe sich im Rahmen des Chefarztwechsels gezeigt, «dass es innerhalb des Teams unterschiedliche Vorstellungen zur Führung und zur Entwicklung der kardiologischen Abteilung gab». Diese unterschiedlichen Vorstellungen gipfelten darin, dass im Sommer innert kürzester Zeit fünf Ärzte des Kardiologie-Teams ihre Stelle kündigten. Sie arbeiten künftig als Belegärzte bei der Hirslanden Klinik in Aarau. Neben den Ärzten sei es auch zu Abgängen von weiteren Fachpersonen gekommen, sagt Wenzinger auf Anfrage.

Und nicht nur das Personal hat dem KSA den Rücken gekehrt: Auch das Kantonsspital Baden hat den Vertrag mit dem KSA gekündigt und kooperiert in der Kardiologie neu mit der Hirslanden Klinik Aarau. Die KSB-Verantwortlichen argumentierten, man habe reagieren müssen, um die Patientinnen und Patienten weiterhin im gewohnten Setting behandeln zu können. Man sei froh, die etablierte Zusammenarbeit mit den Kardiologen ohne Unterbruch weiterführen zu können.

Kantonsspital Aarau wirft Baden Rufschädigung vor

Über die neue Kooperation mit der Hirslanden Klinik hat das KSB die zuweisenden Ärzte und Regionalspitäler schriftlich informiert, wie das Online-Portal «Medinside» berichtete. Das KSA hat Kenntnis von den Schreiben und sagt, diese täuschten falsche Tatsachen vor und seien rufschädigend. «Wir sind von unserem Kooperationspartner enttäuscht», sagt Sprecherin Isabelle Wenzinger. Das KSA habe seine Aufgabe, kardiologische Leistungen sicherzustellen, jederzeit erfüllt. «Wir konnten alle unsere personellen Abgänge nahtlos und mit erfahrenen und motivierten Personen besetzen.»

Wir sind von unserem Kooperationspartner enttäuscht.

(Quelle: Isabelle Wenzinger, Mediensprecherin KSA)

KSB-Sprecher Omar Gisler sagt auf Anfrage der AZ nur, man habe «gute Gründe» gehabt, die Kardiologie neu zu organisieren. «Diese Gründe haben wir dem Eigentümer und dem KSA dargelegt.» In einem KSB-internen Papier, das der AZ vorliegt, findet KSB-CEO Adrian Schmitter deutlichere Worte. Auf die Frage, ob es keine Möglichkeit gegeben habe, die Zusammenarbeit weiterzuführen, antwortete er: «Das KSA konnte aus unserer Sicht verschiedene Dienstleistungen, die vertraglich vereinbart waren, nicht mehr erfüllen.» Da sich keine rasche Besserung der Situation abgezeichnet habe, habe sich das KSB gezwungen gesehen, den Vertrag zu kündigen.

Personeller Engpass, weil Ärzte krank waren und Ferien hatten

Im Juli hat das KSA laut «Medinside» in einer E-Mail informiert, dass der invasive Hintergrunddienst während sieben Tagen in der Nacht und am Wochenende nicht abgedeckt werden könne. Der Grund: ein einmaliger personeller Engpass. Die Patientinnen und Patienten mussten damals auf die Hirslanden Klinik Aarau oder das Unispital Zürich ausweichen.

KSA-Sprecherin Wenzinger erklärt, einer der Leitenden Ärzte, der gekündigt habe, sei kurz darauf krankheitshalber ausgefallen. Ab demselben Zeitpunkt sei ein weiterer Leitender Arzt fünf Wochen in den Ferien und gemäss seiner Ankündigung nicht erreichbar gewesen. Ein Oberarzt hatte ebenfalls Ferien. Der Chefarzt habe deshalb eine Lösung finden müssen, um einen sich anbahnenden personellen Engpass zu vermeiden. Während der sieben Nächte seien je zwei Patienten in der Hirslanden Klinik und am Unispital Zürich behandelt worden. Termine habe das KSA keine absagen müssen. «Der Präsenzdienst unserer bisherigen KSA-Ärzte wurde in Baden unverändert aufrechterhalten», sagt Wenzinger.

Das Gesundheitsdepartement wurde über diesen einmaligen Engpass nicht informiert. «Da weder eine Versorgungslücke noch ein Nichterfüllen der Anforderungen entstanden sind, gab es keine Informationspflicht», sagt Sprecherin Jelena Teuscher.

Der Kanton wurde zu spät über die Kündigung informiert

Seit das KSB den Kardiologie-Vertrag gekündigt hat, brodelt es hinter den Kulissen. Das ist auch der Politik nicht entgangen. Schon kurz nachdem die AZ die Kündigung des Vertrages publik gemacht hatte, trafen sich die zuständigen Regierungsräte Stephan Attiger und Markus Dieth mit den beiden CEOs und Verwaltungsratspräsidenten der Kantonsspitäler zur Aussprache.

Am Dienstag hat die GLP-Fraktion einen Vorstoss zum Thema eingereicht. Die Grünliberalen stellen der Regierung Fragen zum Vorgehen des KSB und wollen wissen, ob das Spital den Regierungsrat rechtzeitig über die Kündigung und die neue Zusammenarbeit mit der Hirslanden Klinik informiert habe. Laut «Medinside» hat das KSB den Kanton erst am 30. August über die neue Kooperation informiert – einen Tag bevor die AZ darüber berichtete.

Das KSB hatte gute Gründe, die Kardiologie neu zu organisieren.

(Quelle: Omar Gisler, Mediensprecher KSB)

Die Informationspolitik zwischen den Kantonsspitälern und dem Regierungsrat beschäftigte auch die Regierung. Am Freitag informierte der Regierungsrat, dass er die Eigentümerstrategie geschärft habe. Neu erwartet er eine «frühzeitige Information über Vorhaben und Vorkommnisse von erheblicher unternehmerischer oder politischer Tragweite».

In der Mitteilung erinnert der Regierungsrat auch daran, dass bereits heute in den Eigentümerstrategien verankert sei, dass der Verwaltungsrat und der Kanton gemeinsam für eine kontinuierliche Abstimmung der Interessen sorgen. Regierungsrat Markus Dieth sagt denn auch, es wäre angezeigt gewesen, vor einem so wichtigen Entscheid wie zur Kardiologie mit dem Eigentümer zu reden. «Der Regierungsrat ist im Vorfeld nicht so informiert worden, wie wir es erwartet hätten.»

In Zukunft seien die Verwaltungsräte gehalten, den Eigentümer proaktiv über beabsichtigte Beendigungen von Kooperationen zwischen Kantonsspitälern und neue Kooperationen mit Dritten, welche die anderen Kantonsspitäler tangieren, zu informieren. Ausserdem sollen Kooperationen mit übrigen Spitälern neu nur noch dann eingegangen werden, «wenn keine vergleichbare Kooperation mit einem Kantonsspital im Besitz des Kantons Aargau möglich oder sinnvoll ist».

Dieth sagt, die Politik habe den Spitälern unternehmerische Verantwortung übergeben. «Daran ändert sich nichts. Sie sollen ihre Möglichkeiten abwägen dürfen.» Aber der Regierungsrat habe die Verantwortung dafür, eine gute Gesundheitsversorgung für die aargauische Bevölkerung sicherzustellen. «Dafür sind zwischen den Spitälern auch vernünftige Kooperationen nötig», sagt Dieth.

Aussergerichtliche Einigung steht im Vordergrund

Im Fall der Kardiologie hat das KSB einen Kooperationsvertrag aufgelöst, der eigentlich eine Laufzeit bis Ende 2021 hat. Isabelle Wenzinger sagt, das KSA sei mit der «kurzfristigen und ausserordentlichen Kündigung des Vertrags nach wie vor nicht einverstanden» und bezeichnet das nichtpartnerschaftliche Verhalten des Kooperationspartners als «störend».
Die Grünliberalen gehen davon aus, dass das KSA formal befugt wäre, beim Verwaltungsgericht Klage wegen Vertragsbruch einzureichen, wie sie in ihrem Vorstoss schreiben.

Sie möchten von der Regierung wissen, was sie unternimmt, um eine juristische Eskalation zu vermeiden. KSA-Sprecherin Wenzinger sagt, das KSA setze momentan alles daran, die Situation aussergerichtlich und partnerschaftlich zu lösen.

Regierungsrat prüft die Versorgungssituation

Durch die neue Kooperation zwischen Hirslanden und KSB arbeiten im Aargau auf einen Schlag doppelt so viele Kardiologinnen und Kardiologen. Die GLP will deshalb vom Regierungsrat wissen, ob durch die neue Abteilung Kardiologie am KSB Überkapazitäten entstünden.
Eine Frage, die sich der Regierungsrat offenbar bereits selber gestellt hat. Das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) prüft derzeit nämlich nicht nur, ob die qualitativen und quantitativen Anforderungen gemäss Spitallisten 2015 und 2020 weiterhin eingehalten werden, sondern auch, ob eine Überversorgung in der Kardiologie vorliegt.

Departementssprecherin Jelena Teuscher sagt dazu: «Wir gehen davon aus, dass wir bis spätestens Ende Jahr Aussagen zur Versorgungssituation in der Kardiologie machen können.» Das weitere Vorgehen seitens Regierung hänge von den Ergebnissen der Überprüfung ab.
Die beiden Kantonsspitäler äussern sich nicht zum Thema Überkapazitäten in der Kardiologie. Parlamentarische Vorstösse würden durch den Regierungsrat beantwortet.

Das KSA hält allerdings fest, dass «die Kardiologie unverzichtbar zum Portfolio eines Endversorgerspitals gehört». KSB-CEO Adrian Schmitter betont im internen Papier, dass das Kantonsspital Baden mit der Reorganisation keine neuen Kapazitäten aufbaue. Es werde lediglich ein bereits bestehendes Angebot weitergeführt und optimiert.

Hat die private Hirslanden Klinik nun das Nachsehen?

Kooperationen Spitäler sollen Synergien nutzen, indem sie miteinander kooperieren. Innerhalb des Kantons und in der spezialisierten und hochspezialisierten Medizin auch über die Kantonsgrenzen hinaus. Das ist eines der Ziele, das im Spitalgesetz festgehalten wird. Entsprechend ist die Nutzung von Synergien auch Teil der Eigentümerstrategien der Kantonsspitäler im Aargau.

Am Freitag teilte der Regierungsrat mit, er habe die Eigentümerstrategien geschärft. Dabei ging es auch um die Kooperationen. Der Regierungsrat hat ein neues Ziel definiert. Dieses sieht vor, dass die Kantonsspitäler Aarau und Baden sowie die Psychiatrischen Dienste Aargau nur noch dann mit übrigen Spitälern kooperieren, «wenn keine vergleichbare Kooperation mit einem Spital im Besitz des Kantons Aargau möglich oder sinnvoll ist».

Diese neue Regelung dürfte im Kanton Aargau vor allem die private Hirslanden Klinik Aarau treffen. Bei Kooperationen mit Kantonsspitälern kommt sie nur noch zum Zug, wenn keine Zusammenarbeit zwischen den Kantonsspitälern in Frage kommt beziehungsweise diese nicht möglich oder nicht sinnvoll ist.

Doch darf das der Kanton so etwas überhaupt festhalten? Schliesslich ist im Krankenversicherungsgesetz geregelt, dass öffentliche und private Spitäler gleich behandelt werden müssen. Allerdings nur was die Finanzierung und Planung betrifft.

Der Kanton teilt denn auf Anfrage der AZ auch mit, «dass der Regierungsrat frei ist, im Rahmen der Eigentümerstrategie seine Erwartungen zu Kooperationen zwischen seinen eigenen Spitälern zu formulieren».

Ob die Änderung für die Hirslanden Klinik Konsequenzen hat, und falls ja welche, ist unklar. Hirslanden-Sprecher Philipp Lenz sagt auf Anfrage, die Hirslanden Klinik Aarau äussere sich nicht zu Eigentümerstrategien der Kantonsspitäler. (nla)