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„Patienten liegen im eigenen Kot“

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Arzt
145 000 Überstunden hätten die Beschäftigten am Standort Marburg Stand September angehäuft, sagt der Betriebsratsvorsitzende. © Patrick Seeger/dpa

Pflegenotstand in Marburg: Der Betriebsrat der Uniklinik zitiert aus Überlastungsanzeigen. Die Geschäftsleitung wiegelt ab.

Die Personalsituation in Marburg habe sich entspannt, behauptet die Geschäftsführung der privatisierten Uniklinik Gießen-Marburg. Doch das deckt sich nicht mit dem, was der Marburger Betriebsratsvorsitzende Wolfgang Demper berichtet: „Wir erleben nicht, dass sich grundsätzlich etwas ändert“, sagt Demper der Frankfurter Rundschau. „Immer wieder sitzen Kollegen weinend vor mir.“ 145.000 Überstunden hätten die Beschäftigten am Standort Marburg Stand September angehäuft, die Information stamme von der Klinikleitung.

Auch fragt Demper, wie die Geschäftsleitung zu dem Urteil komme, dass es weniger Überlastungsanzeigen gibt. Die Situation sei alarmierend: „Wir sehen in einigen Anzeigen strafrechtlich relevante Tatbestände.“ So berichteten Kollegen, dass Patienten wegen Personalmangels ohne ärztliche Anordnung fixiert würden oder eine Magensonde gelegt bekämen.

Uniklink Gießen-Marburg: Es klemmt überall

Es klemme an allen Ecken und Enden, dem Rhön-Konzern scheine nicht daran gelegen, dies zu ändern. Die Rufbereitschaft werde zum normalen Personalbestand einfach hinzugerechnet. „Die Dienstpläne sind nicht mehr besetzbar.“ Zu den Dauerbrennern kommt jetzt ein weiterer Konflikt hinzu: Der Betriebsrat, sagt Demper, solle bestätigen, dass 60 neue Pflegekräfte eingestellt wurden. Der Hintergrund: Der Rhön-Konzern will Mittel aus dem Pflegestellen-Förderprogramm des Bundes bekommen. Bislang allerdings sei es der Geschäftsführung nicht gelungen, diese Aufstockung um 60 Pflegekräfte glaubhaft zu belegen, sagt Demper. Bis dies der Fall sei, werde er nichts dergleichen bestätigen: „Ich kann das mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.“

Am Standort Gießen mussten jüngst drei Stationen geschlossen werden, weil Personal fehlte. Auf FR-Anfrage hatte die Geschäftsleitung mitgeteilt, dass es in Marburg keine Engpässe gebe. „Unsere Fluktuationsraten, insbesondere in der Pflege, und die Tatsache, dass wir an beiden Standorten in den vergangenen Jahren Personal für uns gewinnen konnten, zeigen, dass unsere Arbeitsbedingungen attraktiv für unsere Mitarbeiter sind“, hieß es aus der Pressestelle. Auch seien die Überlastungsanzeigen rückläufig.

Uniklink Gießen-Marburg: Geschäftsführung versucht, die Wogen zu  glätten

Überlastungsanzeigen in Kliniken dienen dazu, Schwachpunkte in der Patientenversorgung zu identifizieren, um sie abzustellen. Doch an Wochenenden sei das zuständige Meldesystem mitunter ausgeschaltet, sagt Betriebsrat Demper. Mitarbeiter seien auch schon angewiesen worden, Anzeigen zu unterlassen. Die Kolleginnen und Kollegen täten ihr Bestes. Trotzdem reichten die Kräfte nicht aus. Demper zitiert aus einer Überlastungsanzeige: Das Personal habe nur noch sicherstellen können, „dass niemand länger als 30 Minuten in seinem eigenen Stuhlgang und/oder Urin liegen musste“. Körperpflege musste bei den zehn Schwerstpflegebedürftigen ausfallen.

Unterdessen versuchte der Vorsitzende der Geschäftsführung in der vergangenen Woche einmal mehr, die Wogen zu glätten. Gunther Weiß mahnte in einer Pressemitteilung zur Besonnenheit: Es gebe keinen Pflegenotstand in Gießen. Krankenhäuser befänden sich bundesweit in einer schwierigen Situation. Die Uniklinik bemühe sich um Personal. Und: „Für unsere Patientinnen und Patienten gilt weiterhin: Alle werden bestmöglich medizinisch und pflegerisch versorgt im Uniklinikum.“

Von Jutta Rippegather

Aus Furcht vor Infektion mit dem Corona-Virus meiden Kranke Kliniken und Praxen. Die Behandlungen von Schlaganfällen, Krebs oder Magengeschwüren werden so verschleppt.

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