Ansetzung beatmungsfreier Intervalle im Rahmen von Entwöhnungsbehandlungen heimbeatmeter Patienten

Aktuelle Rechtsprechung des BSG vom 17.12.2019 – B 1 KR 19/19 R

Im Anschluss an den mündlichen Verhandlungstermin des Bundessozialgerichts vom 17.12.2019 informieren wir Sie über die eine das Krankenhausvergütungsrecht betreffende Entscheidung, welche durch unsere Kanzlei erwirkt werden konnte.

Instanzenzug

  • Bundessozialgericht – B 1 KR 19/19 R (17.12.2019)
  • Bayerisches Landessozialgericht – L 5 KR 202/18 (12.03.2019)
  • Sozialgericht Regensburg – S 14 KR 170/17 (28.02.2018)
Dr. jur. Jens-Hendrik Hörmann, LL. M.

Dr. jur. Jens-Hendrik Hörmann, LL. M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Rechtsanwalt Dr. Hörmann berät und vertritt Krankenhäuser im Krankenhausrecht, insbesondere zur Vergütung stationärer Krankenhausleistungen, (DRG-Abrechnungen, Fallprüfungen) und hiermit in Zusammenhang stehenden Klageverfahren.

1. Rechtsfrage

Streitgegenständlich war ausweislich der auf der Homepage des Bundessozialgerichts aufgeführten „Anhängigen Rechtsfragen“ das Folgende:

„Sind Spontanatmungsstunden auch dann als Beatmungszeit abzurechnen, wenn der Entwöhnungsversuch bis zur Entlassung des Patienten nicht zu einer stabilen respiratorischen Situation geführt hat?“

2. Sachverhalt

Der durch unsere Kanzlei vertretene Träger eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses behandelte den bei der beklagten Krankenkasse versicherten, schon seit rund fünf Monaten aufgrund einer in Folge Stammganglienblutung aufgetretenen Aspirations-pneumonie invasiv heimbeatmeten Patienten, der auch bei der Aufnahme in das Krankenhaus über ein Tracheostoma invasiv-maschinell beatmet wurde, vom 02.-13.07.2015 wegen einer Durchfallerkrankung intensivmedizinisch auf der Intensivstation. Das Krankenhaus setzte zunächst die (Heim-)Beatmung vornehmlich durch invasive Beatmung mittels IPPV, BIPAP und CPAP/ASB fort, unterbrach aber diese alsbald durch nicht unterstützte Spontanatmungsphasen (u.a. Heat and Moisture Exchanger am Tracheostoma, sog Feuchte Nase).

Der vor dem stationären Aufenthalt täglich 24-stündig invasiv beatmete Versicherte musste gegen Ende des stationären Aufenthaltes nur noch nachts beatmet werden. Das Krankenhaus entließ den Versicherten ohne bei diesem eine stabile respiratorische Situation herbeiführen zu können. Das Krankenhaus berechnete die Fallpauschale DRG A11F (Beatmung > 249 Stunden …) unter Berücksichtigung einer Beatmungszeit von 251 Stunden.

Die Krankenkasse ging von deutlich weniger Beatmungsstunden aus, weil sie Zeiten der Spontanatmung als nicht berücksichtigungsfähig ansah. Sie forderte für die Ansetzung beatmungsfreier Intervalle sowohl eine durchgeführte Entwöhnungsbehandlung als auch das Vorliegen einer stabilen respiratorischen Situation. Überdies sah Sie in jener im Rahmen der Spontanatmungsphasen ergänzend durchgeführten Sauerstoffinsufflation mittels O2-Sonde keine Entwöhnungsbehandlung.

Nachdem die beiden Vorinstanzen dem vom uns vertretenen Krankenhausträger bereits Recht zugesprochen und die beklagte Krankenkasse antragsgemäß verurteilt hatten, legte diese die zugelassene Revision zum Bundessozialgericht ein.

3. Entscheidungsgründe

Das Bundessozialgericht hat diese Revision der beklagten Krankenkasse zurückgewiesen und dies wie folgt begründet:

Das Krankenhaus dürfe die für die abgerechnete Fallpauschale erforderlichen mehr als 249 Beatmungsstunden unter Berücksichtigung einer größeren Zahl von Spontanatmungsstunden kodieren. Nach der DKR 1001l seien Spontanatmungsstunden in der Periode der Entwöhnung auch dann als Beatmungsstunden berücksichtigungsfähig, wenn der Patient bei seiner Entlassung ganz oder teilweise auf maschinelle Beatmung angewiesen bleibe, ein voller Entwöhnungserfolg also bis zur Entlassung nicht eintrete. Sofern keine stabile respiratorische Situation vorläge, verbleibe es bei den in der DKR normierten, übrigen Beendigungstatbeständen für die Beatmung – hier die Entlassung des Versicherten – welche sodann zu berücksichtigen seien. Die Dauer der Entwöhnung könne dabei inklusive beatmungsfreier Intervalle in die Zählung der Beatmungsstunden einfließen.

4. Fazit

Die Entscheidung des Bundessozialgerichts ist kodierrichtlinienkonform und bestätigt die bereits rechtsfehlerfrei ergangenen Entscheidungen der Vorinstanzen.

Die DKR 1001 postuliert gerade kein Erfolgselement hinsichtlich des Eintritts einer stabilen respiratorischen Situation bei stattgehabter Entwöhnungsbehandlung. Die Differenzierung zwischen den Beendigungstatbeständen der DKR 1001 und den dort geregelten Vorgaben zur Dauer der Beatmung hat die Sozialgerichtsbarkeit in allen drei Instanzen bestätigt.

Aufgrund der vorliegend monatelangen, invasiven Beatmung des Versicherten war im zu entscheidenden Fall zwischen den Beteiligten das Vorliegen einer Gewöhnung an die Beatmung nicht streitig und auch unzweideutig gegeben. Diese Gewöhnung fordert das BSG jedoch trotz fehlender medizinisch-wissenschaftlicher Fundierung weiterhin. Jedoch lagen im zu entscheidenden Fall alle Voraussetzungen vor, die das Bundessozialgericht diesbezüglich selbst in jener erheblich kritikwürdigen Entscheidung vom 19.12.2017 (B 1 KR 18/17 R; Mandantenrundbriefe 25/2017, 05/2018, 12/2019 und 13/2019) selbst aufstellte. Dort heißt es wörtlich wie folgt:

„Nach Wortlaut und Regelungssystem der DKR 1001h sind Spontanatmungsstunden nur dann als Beatmungsstunden mitzuzählen, wenn der Wechsel von Beatmung und Spontanatmung in einer Phase der Entwöhnung erfolgt. Diese Phase ist durch das Ziel geprägt, den Patienten vom Beatmungsgerät zu entwöhnen. Schon begrifflich setzt eine Entwöhnung eine zuvor erfolgte Gewöhnung an die maschinelle Beatmung voraus. (…) Vielmehr setzt sie voraus, wenn sie die Zeit einer Entwöhnung in die Beatmungsstunden einbezieht, dass das Krankenhaus tatsächlich eine Methode der Entwöhnung anwendet, weil eine Gewöhnung eingetreten ist. Die DKR 1001h verlangt nur nicht, dass die Methode der Entwöhnung (zB CPAP, SIMV, PSV) von der künstlichen Beatmung eigens kodiert wird. Nur dann, wenn sich der Patient an die maschinelle Beatmung gewöhnt hat und dadurch seine Fähigkeit eingeschränkt ist, vollständig und ohne maschinelle Unterstützung spontan atmen zu können, setzt das Krankenhaus eine Methode der Entwöhnung ein und wird der Patient im Sinne der DKR 1001h entwöhnt. (…)

Dabei geht DKR 1001h von dem normativen Regelfall aus, dass ein Patient zunächst mittels Intubation oder Tracheotomie ununterbrochen maschinell beatmet wird und sich schon durch den Wechsel der Art der maschinellen Beatmung, insbesondere beim nachfolgenden Einsatz einer Beatmungsmaske eine zeitliche Zäsur zwischen Gewöhnungs- und Entwöhnungsphase ergeben kann. (…) Nur unter dieser Voraussetzung sind bei einer intermittierenden Entwöhnungsbehandlung auch Stunden der Spontanatmung als Beatmungsstunden zu berücksichtigen, sofern die Beatmungsstunden im Falle der Beatmung durch Masken-CPAP sechs Stunden am Tag nicht unterschreiten.“

Diese Voraussetzungen sieht das Bundessozialgericht mit der aktuellen Entscheidung zumindest bei über ein Tracheostoma heimbeatmeten Patienten, die auch im stationären Sektor weiterhin invasiv beatmet werden und deren Beatmungsunterstützung im Rahmen des Aufenthaltes nicht auf null zurückgeführt werden kann, als gegeben an.

5. Sonstiges

Nach Vorliegen der schriftlichen Entscheidungsgründe dürften diese für alle Fälle herangezogen werden können, bei denen eine Gewöhnung an die maschinelle Beatmung iSd. DKR 1001 zu bejahen ist, eine Entwöhnungsbehandlung durchgeführt wurde und keine stabile respiratorische Situation eingetreten ist. Es dürfte sich nicht nur auf heimbeatmete Patienten beschränken lassen.

Leider hat sich das Bundessozialgericht weder in der mündlichen Urteilsbegründung noch im veröffentlichten Terminbericht zur Sauerstoffinsufflation geäußert. Dies wird es in den schriftlichen Entscheidungsgründen nachzuholen haben, nach deren Vorliegen wir weiter informieren werden.

Das dargestellte Urteil stellt zudem die letzte Entscheidung in der aktuellen personellen Besetzung des 1. Senats am Bundessozialgericht dar. Der Vorsitzende des Senats, Herr Prof. Dr. Hauck, tritt mit Ablauf des 31.12.2019 in den Ruhestand. Auf ihn folgt als Vorsitzender ab 01.01.2020 der aktuelle Präsident des Bundessozialgerichts, Herr Prof. Dr. Schlegel.

Die Kodierrichtlinie 1001 zur Beatmung wird sich ab 01.01.2020 zudem in vielen Streitpunkten der letzten Jahre erheblich ändern und diese entschärfen. Jedoch ist bereits jetzt aufgrund der zwischen den Selbstverwaltungspartnern im Nachgang zur Normierung der DKR 2020 erfolgten „Erläuterungen der Selbstverwaltungspartner“ deutlich geworden, dass auch die neue Beatmungskodierrichtlinie 1001 für neue Frage- und Problemstellungen sowie gerichtliche Auseinandersetzungen sorgen wird.

Wir wünschen Ihnen und Ihren Familien ein gesegnetes Weihnachtsfest und einen guten Rutsch in das neue Jahr 2020, mit all seinen Neuerungen für die Krankenhausabrechnungsprüfung. Wir bedanken uns herzlich für das auch in 2019 entgegengebrachte Vertrauen in unsere Arbeit und freuen uns, Sie auch unter neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen in 2020 weiter beraten zu dürfen.