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Warum in Deutschland immer mehr Kinder per Kaiserschnitt zur Welt kommen

In Lübbecke-Rahden und Detmold liegt die Quote unter dem Durchschnitt

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Was viele vergessen: Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen medizinischen Eingriff, der mit Risiken verbunden ist. | © pixabay

Was viele vergessen: Bei einem Kaiserschnitt handelt es sich um einen medizinischen Eingriff, der mit Risiken verbunden ist. | © pixabay

26.08.2019 | 26.08.2019, 20:57

Lübbecke/Detmold. Immer mehr Frauen bringen ihre Babys per Kaiserschnitt auf die Welt. In Nordrhein-Westfalen wurden laut Versichertendaten der Kaufmännische Krankenkasse KKH im vergangenen Jahr 33,1 Prozent der Neugeborenen per Sectio geboren. Die Kaiserschnittgeburten sind damit gegenüber 2017 (32 Prozent) leicht gestiegen. Im bundesweiten Vergleich liegt NRW leicht über dem Durchschnitt. Deutschlandweit betrug die Kaiserschnittquote im vergangenen Jahr laut KKH-Daten 31,6 Prozent.

"Ein Kaiserschnitt wird durchgeführt, wenn eine medizinische Notwendigkeit vorhanden ist", sagt Albert Neff, Direktor der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus Lübbecke-Rahden. Dazu gehören unter anderem Auffälligkeiten bei der Kardiotokografie (CTG), die Beckenendlage und Mehrlingsgeburten. Da es sich bei einem Kaiserschnitt um einen operativen Eingriff handelt, müssen die Frauen zunächst über die Risiken wie Embolie, Thrombose oder die Verletzung innerer Organe aufgeklärt werden, so der Experte. "Das sind standardmäßige Operationsrisiken. Der Kaiserschnitt ist der am häufigsten durchgeführte Eingriff in Deutschland." Deshalb gebe es kaum noch Komplikationen.

Angst vor der Entbindung

"Und dann gibt es da noch die Frauen mit dem Kaiserschnittwunsch ohne eine tatsächliche medizinische Indikation", sagt Susann Grabsch, leitende Hebamme an der Frauenklinik am Klinikum Lippe. "Dabei handelt es sich oft um Frauen, die große Angst haben vor der Entbindung. Häufig sind Erfahrungsberichte über komplizierte Geburten aus dem Familien- oder Freundeskreis die Ursache oder aber überhaupt die Angst vor möglichen Schmerzen." Chefarzt Andreas Luttkus ergänzt: "Viele Frauen, die ursprünglich einen Kaiserschnitt ohne medizinischen Grund wünschten, entscheiden nach einem intensiven Beratungsgespräch für eine normale Geburt. Das ist aus medizinischer Sicht ein großer Erfolg. Aber, niemand wird bei uns abgewiesen und in letzter Konsequenz gilt der Wille der werdenden Mutter."

Dass sich ein Kaiserschnitt zeitgenau planen lasse, sei auch einer der Gründe dafür, dass mehr Frauen diese Geburt einer natürlichen vorzögen, sagt Neff. "Das ist Ausdruck der gesellschaftlichen Veränderung und dem verstärkten Wunsch nach einem Wunschkaiserschnitt. Die Frauen sagen: Da passt es mir sehr gut, da hat mein Mann Urlaub." Das habe nichts mit einem bestimmten Datum für die Geburt des Kindes zu tun, sondern eher mit der Organisation des eigenen Haushalts. So müsse beispielsweise die Betreuung von Geschwisterkindern gewährleistet sein. "Ich sehe das zwiegespalten", sagt Neff. "Auf der einen Seite bin ich ein Verfechter der Autonomie der Frauen, aber ein Kaiserschnitt ist ein Eingriff in die Natur."

Neugeborene werden immer schwerer

Eine Mehrzahl an Kaiserschnitten könne in Detmold nicht beobachtet werde, so Luttkus. "Wir beobachten seit Jahren eine stabile Kaiserschnittrate zwischen 22 und 23 Prozent. Auch kommen nicht mehr Frauen mit einem Wunsch nach einem Kaiserschnitt zu uns als in früheren Jahren." Die Kaiserschnittquote an den Mühlenkreiskliniken, zu dem das Krankenhaus Lübbecke-Rahden gehört, lag im vergangenen Jahr bei 24,7 Prozent (2017: 22,8 Prozent).

"Ich glaube, wir werden es mit einer weiter steigenden Kaiserschnittrate zu tun haben", sagt der Experte. Das liege meist nicht an medizinischen Gründen: Neben dem Wunsch der Frauen seien auch Personalengpässe in den Geburtskliniken ein Faktor. Um dem entgegenzuwirken und den Hebammenberuf attraktiver zu machen, hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die Einführung eines dualen Studiums für Geburtshelfer vorsieht. So sollen Hebammen besser auf die gestiegenen Anforderungen vorbereitet werden.

Zuletzt seien auch "immer höhere Kindsgewichte" ein Grund für die steigende Zahl an Kaiserschnitten. In der Regel wiegen Neugeborene rund 4.000 Gramm, so der Experte. "Wir haben aber teilweise Wochen, in denen die Kinder deutlich über 4.000 Gramm wiegen." Der schwerste Kind im ersten Halbjahr von 2019 habe 5.400 Gramm gewogen - kein Vergleich zum Rekordbaby am Krankenhaus Lübbecke-Rahden: 6.300 Gramm.

"Das ist ein Ausdruck der Wohlstandsgesellschaft und der Überversorgung", sagt Neff. Auch medikolegale Aspekte, also solche, die die Rechtssprechung in der Medizin betreffen, seien ausschlaggebend. Bei der Geburtshilfe könne es zu Fehlern kommen, so Neff. Die Ärzte seien deshalb versucht, "so wenig Risiko wie möglich" einzugehen, um eine eventuelle Anklage seitens der Eltern zu vermeiden.

Information

Qualitätssiegel "Babyfreundlich"

Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Krankenhaus Lübbecke-Rahden sowie die Frauenklinik Detmold am Klinikum Lippe wurden von der Weltgesundheitsorganisation und UNICEF als "Babyfreundliche Geburtsklinik" ausgezeichnet. Diese Einrichtungen zeichnet aus, dass sie sich um eine natürliche Geburt, eine gelungene Stillbeziehung und die Eltern-Kind-Bindung kümmern.

Dazu gehören in OWL außerdem:

- die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Mathilden Hospital in Herford

- die Klinik für Geburtshilfe am Sankt Elisabeth Hospital in Gütersloh

- das Klinikum Gütersloh

- die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am St. Franziskus-Hospital in Bielefeld