Interview
«Wir reden auch über Schliessungen»: Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann zum Notkredit für die Spitalregion Fürstenland-Toggenburg

Die St.Galler Gesundheitsdirektorin nimmt Stellung zum Notkredit für die Spitalregion Fürstenland-Toggenburg. Und sie erklärt, weshalb es so lange dauert, bis die neue Spitalstrategie spruchreif ist.

Andri Rostetter und Michael Genova
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Im Herbst will Regierungsrätin Heidi Hanselmann der Öffentlichkeit die neue Spitalstrategie vorstellen. (Bild: Urs Bucher)

Im Herbst will Regierungsrätin Heidi Hanselmann der Öffentlichkeit die neue Spitalstrategie vorstellen. (Bild: Urs Bucher)

Die St.Galler Regierung muss die Spitalregion Fürstenland-Toggenburg vor dem Konkurs retten. Schlafen Sie noch gut?

Heidi Hanselmann: Ja. Die Situation ist herausfordernd. Schon als ich mein Amt antrat, befand sich die Spitallandschaft im Umbruch. Nun bin ich krisenerprobt und habe Erfahrung.

Und trotz dieser Erfahrung konnten Sie die Zahlungsunfähigkeit nicht verhindern?

Der Kantonsrat hat entschieden, die unternehmerische und politische Ebene zu trennen. Der Verwaltungsrat der Spitalverbunde ist seither verantwortlich für das Unternehmen, die Regierung für das Politische. Der Verwaltungsrat hat uns im November 2017 erstmals über das prognostizierte Defizit informiert, im Mai 2018 präsentierte er uns sein Grobkonzept. Seither läuft der politische Prozess.

Wollen Sie damit sagen, es geht nicht schneller?

Ich hätte es auch gerne schneller. Ein deutscher Amtskollege sagte mir einmal: Heidi, entscheide doch einfach! Ich musste ihm unsere Abläufe erklären.

Bedauern Sie es, dass die Regierung nicht mehr im Spitalverwaltungsrat vertreten ist?

Die Verantwortung der Politik bleibt, auch wenn man die Zuständigkeiten ändert. Das finde ich schwierig.

Kann die Regierung in dieser Struktur schnell genug handeln?

Die politischen Strukturen gehören zu unserer Demokratie. Das gilt es zu respektieren. Spitaldefizite sind aber kein spezifisch st.gallisches Problem, sondern ein gesamtschweizerisches. Deshalb müsste die Finanzierungsstruktur von ambulant, stationär und Pflege geändert werden. Wirksame Kosteneindämmung gelingt, wenn Fehlanreize verhindert werden können. Wir müssen die Zahl unnötiger Behandlungen reduzieren und nicht einfach nur die Kostenströme verschieben. Hier spielt die Musik aber in Bern.

Reden wir im Kanton St.Gallen nur deshalb über Spitalschliessungen, weil der Bundesrat die Rahmenbedingungen verändert hat?

Ein einziger Parameter genügt nicht. Es ist einiges zusammengekommen: Die Eingriffe des Bundesrats in die ambulante Tarifstruktur und die seit Anfang 2019 geltende Operationsliste mit sechs Eingriffen, die nur noch ambulant durchgeführt werden dürfen. Dazu kam 2017 die Übertragung der Immobilien vom Kanton an die Spitalverbunde. Das führte dazu, dass die Spitäler ihre Investitionen selber tragen müssen. Alle diese Entwicklungen führten zu den heutigen Schwierigkeiten.

Welche Bereiche sind für das Defizit verantwortlich?

Das lässt sich so nicht sagen. Wil und Wattwil sind ein Unternehmen. Diese Spitäler sind eng vernetzt, es gibt zum Beispiel nur eine Pflegedienstleitung für beide Standorte.

Aber es muss doch klar sein, ob die roten Zahlen hauptsächlich in Wattwil oder Wil anfallen.

Es gibt eine Gesamtrechnung für das Unternehmen. Und diese Rechnung geht jetzt nicht auf. Der Überbrückungskredit geht dementsprechend an die ganze Spitalregion.

Der Verwaltungsrat muss doch genauere Zahlen haben.

Wenn man fusioniert hat, dann ist man ein Unternehmen. Die veränderten Parameter betreffen das gesamte Unternehmen. Dazu kommt: Wattwil hat wenig Zusatzversicherte, die finanziell lukrativ sind. Dafür kann das Spital aber nichts.

Dagegen profitiert das Spital Grabs von vielen Zusatzversicherten aus dem Fürstentum Liechtenstein.

Ja. Ich habe schon mehrfach dafür plädiert, eine Spitalausgleichsfinanzierung einzuführen. Wenn ein Spital in Grenznähe von Zusatzversicherten aus dem Nachbarland profitiert, dann ist das zu begrüssen. Aber es hilft den anderen Spitälern nicht.

Das Problem ist aber nicht neu.

Wattwil hat es schwieriger, weil es sich schon immer in einem anspruchsvollen Umfeld behaupten musste.

Noch im April war die Regierung nicht sicher, ob es einen Notkredit braucht. Nun sind es 12,7 Millionen Franken. Wie kann das sein?

Auch hier müssen wir klar zwischen der unternehmerischen und politischen Ebene unterscheiden. Bevor wir als Regierung entscheiden können, brauchen wir Zahlen. Diese stellt der Verwaltungsrat zur Verfügung. Erst wenn der Spitalverwaltungsrat einen Überbrückungskredit beantragt, kann die Regierung dazu eine abschliessende Aussage machen. Das war im Juni der Fall. Ich finde es schwierig, wenn man die Verantwortlichkeiten vermischt. Der Kantonsrat hat klar festgehalten: Wir wollen Politik und Unternehmen trennen.

Der Vorwurf der Intransparenz ist also ungerechtfertigt?

Wenn man will, dass die Politik früher handelt, müsste man die bestehenden Strukturen hinterfragen. Ausserdem waren zahlreiche Parlamentarier frühzeitig informiert. So orientierte der Finanzdirektor etwa die Finanzkommission bereits im März über eine mögliche Überbrückungsfinanzierung.

An gefährdeten Standorten wie Walenstadt laufen bereits die Fachkräfte davon.

Ich kann gut nachvollziehen, dass die Mitarbeitenden verunsichert sind. Es ist eine hehre Aufgabe, die Mitarbeitenden in einer solch komplexen Situation zu motivieren. Das muss die Spitalleitung intern lösen. Die Regierung muss möglichst schnell Lösungen präsentieren und Klarheit schaffen. Das werden wir noch dieses Jahr tun. Aber auch wenn es drängt, braucht es trotzdem Zeit für ein solches Riesenprojekt.

Es gibt aber keine Garantie, dass nicht noch mehr Hiobsbotschaften folgen.

Mir geht es darum, eine gute Lösung zu finden, die man versteht und bei der die Regionen nicht abgehängt werden. Natürlich muss es wirtschaftlich aufgehen.

Die CVP bezeichnet die Spitalpolitik als einen «Abbruch auf Raten».

Ich kann nachvollziehen, dass man diesen Eindruck hat. Diese Unsicherheit muss man ernst nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir rasch gute Lösungen finden.

Können Sie bereits skizzieren, wie diese Lösungen aussehen werden?

Nein, jetzt noch nicht. Die Arbeit des Lenkungsausschusses ist in der Schlussphase. Wir prüfen alle alternativen Modelle und beziehen alle Betroffenen mit ein. Es wurden Workshops mit der Ärzteschaft und den Gemeindebehörden durchgeführt.

Auch Spitalschliessungen?

Ja, wir reden auch über die Schliessung von Standorten. Aber das ist nur eine von mehreren Varianten.

Wann informieren Sie über die neue Strategie ?

Noch diesen Herbst wird die Regierung einen Vernehmlassungsentwurf vorlegen. Zuerst wird die Politik informiert, dann die Öffentlichkeit.

Und wann kommt die Vorlage ins Parlament?

Sie soll nach Wunsch der vorberatenden Kommission dem Parlament spätestens Ende Jahr zur Verfügung stehen. Über den Zeitpunkt wird die Regierung entscheiden.

Dann kann der Kantonsrat im Februar erstmals darüber befinden. Eine zweite Lesung fände im April statt. Das wird also dauern.

Die Traktandierung im Rat bestimmt das Parlamentspräsidiums. Ich würde es begrüssen, wenn die schnellstmögliche Variante zum Tragen käme.

War es ein Fehler, dass die Regierung 2014 keine Spitäler geschlossen hatte?

Ein solcher Entscheid ist immer ein politischer Kompromiss. Die Regierung wollte 2013 auch schon Spitäler schliessen. Gelungen ist es nicht.

Was ist mit Ihnen? Wollen Sie Spitäler schliessen?

Ich bin immer für einen guten Service public eingestanden. Dazu gehört eine wohnortnahe moderne Grundversorgung mit einem gezielten stationären Angebot. Eine Strategie ist aber nicht statisch, sie muss sich weiterentwickeln. Wenn sich das Umfeld ändert, müssen wir neue Lösungen finden.

Die Spitalvorlage von 2014 hätte heute deutlich weniger Chancen.

Das kann man nicht vergleichen, heute haben wir eine andere Zeit. Diese Vorlage wurde damals von drei Departementen erarbeitet. Es war kein Alleingang, sondern ein Kompromiss. Zu jeder Vorlage haben Parlament und Volk klar Ja gesagt. Es ging auch darum, das Baumoratorium zu beenden. Hätten wir beispielsweise beim Kantonsspital nicht modernisieren können, wäre der Gesundheitsstandort St.Gallen massiv ins Hintertreffen geraten.