Experten zweifeln an Finanzierung der Spitalneubauten in Luzern

Das Luzerner Kantonsspital hat seine Baustrategie präsentiert. Experten
begrüssen diese – äussern jedoch Zweifel an der Tragbarkeit.

Roseline Troxler
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Investitionen in Milliardenhöhe: Das Luzerner Kantonsspital (Luks) will am Hauptstandort in Luzern sowie in Wolhusen und der Region Sursee mehrere Neubauten erstellen. Dies zeigt die kürzlich präsentierte Baustrategie des Spitals auf (wir berichteten). In Luzern sollen bis zirka 2035 unter anderem das Hauptgebäude, das Kinderspital und das Parkhaus neuen Gebäude Platz machen (siehe Grafik).

Drei Gesundheitsexperten schätzen die Baustrategie des Spitals auf Anfrage ein: Marcus M. Maassen, Facharzt HNO, Hals- und Gesichtschirurgie und Präsident von PULSUS, einer Vereinigung von Ärzten und Therapeuten aus dem Gesundheitswesen; Willy Oggier, Ökonom und Berater im gesundheitsökonomischen Bereich und Herbert Widmer, Facharzt für Innere Medizin, während 24 Jahren FDP-Kantonsrat und ehemaliger Präsident der Ärztegesellschaft.

Wie beurteilen die drei befragten Experten die Baustrategie des Luzerner Kantonsspitals, auf Neubauten statt auf Sanierungen zu setzen?

Diese wird begrüsst. «Sanierungen sind oft nur schwer möglich und im Zeitalter der Digitalisierung mit erheblichen Kosten verbunden», sagt Marcus M. Maassen. Neubauten würden zu kürzeren Wegen und damit zu Zeitersparnissen und einer Senkung der Personalkosten führen. Auch Willy Oggier findet: «Die Strategie kann sehr vernünftig sein, wenn konsequent prozessorientiert gebaut wird und dadurch gegenüber heute substanzielle Kosten eingespart werden.» Er betont aber, dass die Pläne hochriskant werden, «wenn dieser Grundsatz nicht eingehalten wird». Herbert Widmer erachtet «die durch mehrjährige Planarbeiten entstandene Baustrategie als verständlich und sinnvoll». Er begrüsst, dass auf Neubauten statt Sanierungen gesetzt wird:

«Es ist zum Beispiel richtig, das grosse, viel Platz beanspruchende Parkhaus zurückzubauen und Parkplätze in den Untergeschossen zu schaffen.»

Das Luks rechnet bei Spitalbauten mit einer Lebensdauer von 30 Jahren. Ist dies realistisch?

Herbert Widmer sagt: «Vor dreissig Jahren hätte ich diese Frage noch nicht mit Ja beantwortet. Der Fortschritt hat die Gesundheitsbranche in den letzten Jahren aber überrollt.» Marcus M. Maassen hingegen erachtet die genannte Zeitspanne als «eher etwas optimistisch» und sagt: «Oft sind grössere Umbauten schon nach zwölf Jahren erforderlich. Nicht selten braucht es nach zwanzig Jahren grosse Anbauten.» Für Willy Oggier ist es viel entscheidender, «ob die Gebäude modular genug gebaut werden, um ohne grössere Umbaukosten in zehn oder zwanzig Jahren eine andere Medizin in den Gebäudehüllen zu betreiben».

Einige Bauten stehen seit vier oder fünf Jahrzehnten. Hat der Kanton es versäumt, als die Bauten noch in seinem Besitz waren, rechtzeitig Sanierungen anzugehen?

Die Experten sind sich uneins. Willy Oggier meint, er müsse diese Frage «eindeutig mit einem Ja beantworten». Wobei Sanierungen nicht nur vom Kanton Luzern, sondern etwa auch in St. Gallen versäumt worden seien. Anders sieht es Marcus M. Maassen: «In den letzten Jahren sind wegweisende Projekte realisiert worden – etwa die Augenklinik oder die Modernisierung der OP-Bereiche.» Und Herbert Widmer meint: «Im Allgemeinen hat es der Kanton nicht versäumt. Im Fall des Kinderspitals dauerte der Prozess allerdings viel zu lange, was einerseits zu vielen parlamentarischen Vorstössen, andererseits zu einem mehr oder weniger verlotterten Gebäude führte.»

Das Luks bezeichnet die Finanzierung selber als «sehr ambitiös». Ausserdem macht der Kanton Luzern als Eigner Vorgaben zum Eigenkapitalanteil. Kann das Spital die geplanten Projekte stemmen?

Herbert Widmer hält es nicht für realistisch, dass das Spital die Projekte ohne Unterstützung des Kantons stemmen kann. «Da fehlt mir der Glaube.» Die neue Spitalfinanzierung sieht das zwar theoretisch vor, doch es gibt Kantone wie etwa Uri, der einen Teil der Finanzierung des Spitalneubaus trägt. Vor Einführung der neuen Spitalfinanzierung sei man davon ausgegangen, dass die Spitäler durch die Fallpauschalen genügend Mittel erwirtschafteten, um laufende Investitionen zu finanzieren, so Widmer. Untersuchungen hätten 2015 aber gezeigt, dass nur 16 Prozent der Spitäler eine genügend grosse Gewinnmarge erwirtschafteten. Widmer führt aus:

«Die Fallpauschalen werden stetig gesenkt, so dass den Spitälern immer weniger Gewinn für Investitionen bleibt.»

Maassen und Oggier sagen, dass sie das Finanzierungskonzept für eine Einschätzung im Detail kennen müssten. Maassen erachtet die Einhaltung des Kostendachs aber als grosse Herausforderung. Erschwerend seien die aktuellen politischen Tendenzen, dass auch den Spitälern künftig im Bereich der obligatorischen Krankenversicherung ein «für das Gesundheitswohl der Patienten schädliches Globalbudget aufgezwungen» werden soll. «Dies bedeutet, dass die Finanzierung innovativer Projekte immer schwieriger wird, weil die Erträge aus den Leistungen der obligatorischen Krankenversicherung nicht mehr ausreichen werden, die Kosten für Innovationen zu decken.» Oggier sagt zur Finanzierung: «Es ist zu vermuten, dass mit einem Buebetrickli versucht wird, die Eignerstrategie zu verändern und den Eigenkapitalanteil des Luks am Gesamtkapital zu senken.» Bei zu tiefem Eigenkapitalanteil könne dies für den Steuerzahler schief gehen, «wenn etwas Unvorhergesehenes geschieht und die Eigenkapitaldecke des Spitals dann zu gering ist.»

Mit dem Neubau in Wolhusen und dem Ersatz des Spitals Sursee investiert das Luks auch auf der Landschaft kräftig. Ist das sinnvoll?

Marcus M. Maassen bejaht: «Eine Zentralisierung des Versorgungsauftrags in Luzern ist nicht zielführend. Die Patienten können heimatnah bei ihren Familien viel besser ambulant betreut werden. Die Gesundheitsversorgung auf dem Land darf daher nicht benachteiligt werden.» Laut Willy Oggier werde die Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum in ganz Westeuropa mit der älter werdenden Bevölkerung und der drohenden ärztlichen Unterversorgung vermehrt zum Thema. «Entscheidend ist, dass die Spitäler flexibel konstruiert werden und digital mit der weiten Welt vernetzt sind.» Auch Herbert Widmer findet die Pläne für die Landbevölkerung richtig, betont aber: «Es muss dafür gesorgt werden, dass nicht überall alle Disziplinen angeboten werden.»

Für Gesundheitsdirektor Guido Graf (CVP) hört eine Kooperation mit anderen Spitälern nicht in der Zentralschweiz auf. Soll sich das Luks ausserkantonal besser vernetzten?

Für Herbert Widmer und Willy Oggier kommt ein Spital nicht darum herum, über noch grössere Räume zusammenzuarbeiten. «Medizin muss noch mehr Netzwerkarbeit werden. Mit der älter werdenden Bevölkerung steigt die Wahrscheinlichkeit von Mehrfach-Erkrankungen, die parallel behandelt werden.» Für Widmer fehlen bei der Zusammenarbeit aber ein gesamtschweizerisches Konzept sowie eine gewisse Kompromissbereitschaft. Ausserdem sei die Bereitschaft zur Zusammenarbeit zwischen Spitälern unterschiedlicher Rechtsformen ungenügend. Für Maassen bedeuten Kooperationen gerade für kleinere Spitäler mehr Möglichkeiten bei der Personalrekrutierung. Allerdings gebe es auch «in der Zentralschweiz Spitäler, welche ohne das Luzerner Kantonsspital einen hervorragenden Leistungsauftrag heimatnah für die Patienten erfüllen».

Welche Grösse erachten die befragten Experten für das Luzerner Kantonsspital denn als sinnvoll?

Die Grösse des Luks und seine Rolle bei Kooperationen werden kritisch angesehen. Maassen betont: «Wie bei anderen Spitälern und Privatkliniken sieht man auch beim Luks eine Tendenz, dass ambulante Praxen von den Spitalbetreibern aufgekauft oder neu eröffnet werden.» Während in anderen Bereichen sehr darauf geachtet werde, ob Monopolstrukturen aufgebaut würden, werde dies im Gesundheitswesen kaum gemacht. Auch Willy Oggier erachtet die Grösse des Luks als problematisch:

«Das Luzerner Kantonsspital ist ähnlich wie jenes in St. Gallen oder Aarau weder Fisch noch Vogel. Es ist zu gross für ein Regionalspital und zu klein für ein Universitätsspital.»

Er stelle in Zentrumsspitälern die Tendenz fest, dass sie sich in Richtung Unispital positionieren wollen. «Gesundheitsökonomisch betrachtet grenzt dies an Grössenwahnsinn, weil die Einzugsgebiete zu klein sind und wir heute schon im internationalen Vergleich zu viele Unispitäler haben.»