Die wirtschaftliche Talfahrt des städtischen Krankenhausverbundes Gesundheit Nord (Geno) beschleunigt sich. Hatten die Verantwortlichen des Klinikkonzerns für das laufende Jahr ursprünglich einen operativen Verlust von 5,5 Millionen Euro eingeplant, so wird sich das Ergebnis vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen am Jahresende nun voraussichtlich auf minus 17,7 Millionen Euro belaufen. Es wäre das höchste Defizit seit der Keimkrise 2011/12 am Klinikum Mitte. Entsprechende Informationen des WESER-KURIER hat die Geno bestätigt. Die Hiobsbotschaft aus der Konzernzentrale setzt auch die neue Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) unter Handlungsdruck.
Aus Geno-internem Zahlenmaterial, das dem WESER-KURIER vorliegt, lässt sich ablesen, dass die Einnahmen der vier Häuser in Bremen-Mitte, Nord, Ost und Links der Weser auf breiter Front eingebrochen sind. Das gilt auch für bisher erlösträchtige Bereiche wie die Herzchirurgie am Klinikum Links der Weser (-4,4 Prozent gegenüber 2018). In einzelnen medizinischen Disziplinen wie der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde sind die Rückgänge den Unterlagen zufolge sogar deutlich zweistellig.
Als wichtigster Grund für die Misere gilt der Mangel an qualifiziertem Personal insbesondere in der Pflege. Diagnostische und therapeutische Leistungen können deshalb in manchen Fällen schlicht nicht erbracht werden. Nach Angaben von Geno-Sprecherin Karen Matiszick sind derzeit über alle Standorte rund 40 Vollzeitstellen im Pflegebereich nicht besetzt. Und das vorhandene Personal fällt offenbar immer öfter aus. Vor dem Hintergrund hoher Arbeitsbelastung seien manche Beschäftigte nicht mehr im gleichen Maß wie frühere Generationen von Krankenschwestern und -pflegern willens, „an ihre Grenzen zu gehen“, wie Matiszick es ausdrückt. Auf einem internen „Pflegegipfel“, der für den 10. September angesetzt ist, will die Geno nach Wegen suchen, wie die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten so verbessert werden können, dass die Identifikation mit dem Beruf wieder steigt und bei Schulabgängern die Bereitschaft geweckt werden kann, eine Ausbildung in der Pflege zu beginnen.
Ambulante Behandlung wird zum Problem für Krankenhäuser
Neben dem gravierenden Fachkräftemangel setzt offenbar eine weitere bundesweite Entwicklung den Bremer Kliniken zu: der Trend zur ambulanten Behandlung von Erkrankungen, die früher stationär versorgt worden wären. Was die Patienten freut, wird für die Krankenhäuser zunehmend ein Problem, denn das herkömmliche Abrechnungssystem passt oft nicht mehr zu den ambulant erbrachten Leistungen. In der Folge monieren die Krankenkassen immer häufiger die Rechnungen der Kliniken und verweigern die Erstattung. Nach Darstellung von Karen Matiszick versucht die Geno auch auf diesem Gebiet, sich den veränderten Gegebenheiten anzupassen und beispielsweise frei gewordene Sitze von niedergelassenen Ärzten zu erwerben, um über diesen Umweg ambulante Leistungen abrechnen zu können. All dies gehe „natürlich nicht von heute auf morgen, sondern braucht Zeit“. Noch sei es deshalb für die Gesundheit Nord „utopisch, schwarze Zahlen zu erreichen“.
Doch warum soll in Bremen unrealistisch sein, was andernorts möglich ist? In Berlin erwirtschaftet der Krankenhausverbund Vivantes seit Jahren positive Betriebsergebnisse. Vivantes ist kein auf maximale Effizienz getrimmter privatwirtschaftlicher Träger, sondern ein Unternehmen, das sich zu 100 Prozent in Landesbesitz befindet. Bei einem Umsatz von 1,3 Milliarden Euro machte Vivantes 2018 gut 16 Millionen Euro Gewinn und bewegte sich damit ungefähr auf Vorjahresniveau. In Fachkreisen gilt der Landesbetrieb als vorbildlich geführt.
Was ist dort möglicherweise nachahmenswert? Unter anderem die Erweiterung der Leistungspalette in Richtung von Pflegeeinrichtungen. Zum Vivantes-Verbund gehören nicht nur neun Krankenhäuser, sondern beispielsweise auch 17 Pflegeheime und zwei Seniorenwohnhäuser. Während die Geno immer noch in vielen Fällen Patienten stationär aufnimmt, obwohl diese eigentlich in eine Pflegeeinrichtung entlassen werden müssten, hat Vivantes dieses Element gleich in sein Leistungsspektrum integriert und verdient damit Geld.
In Bremen mahlen die Mühlen langsamer. Schon unter dem früheren Geno-Geschäftsführer Diethelm Hansen wurde 2009 ein Konzept zur Reorganisation der Geno-Häuser aufgestellt, 2018 legte die aktuelle Geno-Spitze ebenfalls ein Zukunftskonzept für den Klinikverbund vor. Ob und in welchem Umfang es tatsächlich umgesetzt ist, ist schwer abzusehen. Derzeit arbeitet die Geno-Geschäftsführung daran, dem Aufsichtsrat im Dezember Vorschläge für Modifikationen des Zukunftskonzepts vorzulegen. Fest steht für Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard nur eines: An den vier Häusern selbst soll nicht gerüttelt werden. „Eine Standortschließung schließt die Koalition aus“, sagt ihr Sprecher Malte Hinrichsen.