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„Die Privatisierung von Kliniken ist ein falscher Weg“

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Edgar Pinkowski, Präsident Landesärztekammer Hessen.
Edgar Pinkowski, Präsident Landesärztekammer Hessen. © Peter Jülich

Ärztekammer-Präsident Pinkowski über die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens, E-Health und Rezepte gegen den Ärztemangel.

Frankfurt, Berlin, Wiesbaden, Mittelhessen: Als Präsident der Landesärztekammer ist Edgar Pinkowski seit einem Jahr noch mehr als früher unterwegs. Um den Kontakt zur Basis nicht zu verlieren, arbeitet der Anästhesist ein bis zwei Tage pro Woche in der Arztpraxis, die er mit Kollegen in Pohlheim bei Gießen betreibt. Wir treffen ihn im nagelneuen Kammergebäude, um unter anderem über ein Gesundheitssystem zu sprechen, in dem zunehmend der schnöde Mammon die Richtung angibt.

Herr Pinkowski, was ist aus Patientensicht schlimmer: Der Ärztemangel oder die Ökonomisierung des Gesundheitswesen?
Beides ist gleich schlimm. Und in Kombination ist es eine Potenzierung. Wobei ich das Wort Ökonomisierung durch Kommerzialisierung ersetzen würde möchte.

Warum Kommerzialisierung?
Kommerzialisierung heißt, ich mache Gewinn. Am einfachsten lässt sich das an einem Krankenhaus verdeutlichen. Schreibt es ein Schwarze Null, ist es ökonomisch mit den vorhandenen Mitteln umgegangen und hat den Patienten hoffentlich ausreichend versorgt. Eine Aktiengesellschaft hingegen muss möglichst hohen Gewinn erwirtschaften, um die Aktionäre zu befriedigen. Das ist Kommerzialisierung mit dem Leid der Menschen.

Rhön ist so eine Aktiengesellschaft. Das Land hat dem Konzern vor 13 Jahren die Uniklinik Gießen-Marburg verkauft. War die Privatisierung ein Sündenfall?
Es war vielleicht zum damaligen Zeitpunkt aus damaliger Sicht die einzige Möglichkeit, angesichts des hohen Investitionsdefizits die medizinische Fakultät in Gießen zu retten. Ich würde es nicht als Sündenfall bezeichnet. Aber aus heutiger Sicht war dies der falsche Weg ist. Das ist ein klarer Fall von Kommerzialisierung. Und es macht keinen Sinn, noch mehr Krankenhäuser in kommerzielle Trägerschaft zu geben.

Was macht den Unterschied?
Ein kommunaler Krankenhausverbund, zum Beispiel, muss keinen Gewinn machen. Wenn das Land im Rahmen seiner Daseinsvorsorge seinen Investitionsverpflichtungen nachkommen würde, dann muss der Verbund aus dem erwirtschafteten Geld ja nur die laufenden Kosten decken. Und es wäre auch einfacher, die Schwarze Null zu schreiben. Die Privatisierung, die ja eine Kommerzialisierung ist, ist ein falscher Weg, weil sich durch Personalreduktion der meiste Gewinn erwirtschaften lässt. Genau das Problem haben wir heute.

Haben wir zu viele Kliniken in Hessen?
Wir haben zu viele kleine Kliniken, die das Gleiche tun und zum Teil nicht in ausreichender Menge, so dass ihnen die Erfahrung fehlt. Die kleinen Krankenhäuser leiden noch mehr unter Personalmangel, darunter leidet wiederum die Zuwendung zu Patienten. Und wer am lautesten den Erhalt kleiner Kliniken fordert, lässt sich dann doch weit vom Wohnort entfernt in der bekanntesten Spezialklinik operieren.

Zur Person
Edgar Pinkowski, Jahrgang 1956, wurde vor einem Jahr an der Spitze der rund 37 500 hessischen Ärzte gewählt.

Der Präsident der Landesärztekammer arbeitet seit 1989 als Anästhesist und Schmerztherapeut in einer Gemeinschaftspraxis in Pohlheim bei Gießen.

Die Kammer vertritt als Körperschaft des öffentlichen Rechts die beruflichen Belange ihrer Mitglieder. Sie überwacht, dass die Ärzte ihre Berufspflichten einhalten, bietet als Dienstleister Beratung, Information und Hilfe.

Sitz der Kammer ist Frankfurt. Ende Juni hat sie dort ihr neu gebautes eigenes Gebäude in der Hanauer Landstraße 152 bezogen. jur

Was ist Ihre Lösung? Kleine Krankenhäuser schließen? Umwidmen?
Die Fläche muss vernünftig abgedeckt werden, damit die Wege nicht zu weit werden. In einer so gut versorgten Region wie Rhein-Main hingegen ist es kein Problem, Krankenhäuser zu fusionieren, zu Spezialzentren zu machen und die kleinen Häuser zu schließen. Die ambulante Versorgung muss verstärkt werden, damit die Patienten nach der Entlassung vernünftig betreut sind. Das kann im medizinischen Zentrum geschehen, in der Tagesklinik oder in der kurzzeitstationären Einrichtung, in die der Hausarzt seinen Patienten für wenige Tage hinlegen kann. Häufig geht es ja nur darum, dass die Patienten überwacht werden oder die Möglichkeit haben, wenn was ist, zu klingeln. Das wäre auch ein ökonomischer Umgang mit den Ressourcen in einer alternden Gesellschaft mit immer mehr multimorbiden Bürgern.

Heißt das, die Sektorengrenzen ambulant – stationär aufzuweichen? Das Krankenhaus übernimmt auch ambulante Versorgung?
Nein, überhaupt nicht. Im ambulante Bereich werde ich vom Facharzt versorgt. Im Krankenhaus bekomme ich nur Facharztstandard. Das ist ein qualitativer Unterschied. Die Politik propagiert ambulant vor stationär. Dann soll sie auch dazu stehen. Sektorenübergreifende Versorgung darf nicht heißen, dass das Krankenhaus den ambulante Sektor schluckt. Das wird nicht günstiger und macht keinen Sinn.

Aber wie soll die ambulante Versorgung gewährleistet bleiben, wenn immer weniger junge Ärzte eine Praxis übernehmen wollen, weil sie die Kosten scheuen und auch ein Privatleben haben möchten?
Es gibt Möglichkeiten, eine ambulante Versorgung so zu organisieren, dass junge Leute, die sich nicht selbstständig machen wollen, angestellt werden können. Notfalls bei der Kommune oder bei Ärzte-Genossenschaften. Bei vernünftiger Beratung ist auch das finanzielle Risiko überschaubar. Der Beruf des niedergelassenen Arztes ist ein wunderschöner. Ich habe es vor 30 Jahren richtig gemacht, als ich aus der Klinik weg bin mit der Faust in der Tasche. Heute sind die Verhältnisse dort noch viel schlechter, da würde ich zwei Fäuste in der Tasche haben.

Die E-Health-Branche boomt. Nächstes Jahr gibt es Apps auf Rezept. Ist diese Entwicklung noch aufzuhalten?
Das ist ein Populismusschlager unseres Bundesgesundheitsministers. Die Digitalisierung des Gesundheitswesens muss weitergetrieben werden. Aber in dem Sinne, dass sie die Versorgung der Patienten verbessert und vereinfacht. Und dem Arzt Zeit spart und keine zusätzlichen Kosten verursacht. Das ist der Industrie ziemlich egal, die ist nur auf Profit orientiert. Digitalisierung wird auch nie die Zuwendung des Arztes ersetzen können. Das Thema lenkt nur von dem eigentlichen Problem ab: Arztzeit ist nicht vermehrbar.

Was ist Ihre Lösung?
Wir brauchen bundesweit mindestens 6000 Medizinstudienplätze pro Jahr mehr, nachdem Horst Seehofer in seiner Zeit als Bundesgesundheitsminister Tausende gestrichen hat. Und wir müssen den Beruf wieder so attraktiv machen, dass in Deutschland ausgebildete Ärzte nicht ins Ausland abwandern oder in die Wirtschaft. Medizin ist weiblich geworden, Teilzeitarbeit muss möglich sein. Das heißt, wir müssen einen altersbedingt ausscheidenden Arzt durch zwei neue ersetzen.

Interview: Jutta Rippegather

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