Viele Russinnen ziehen das Schwangersein unter Palmen dem unwirtlichen Wetter in ihrer Heimat vor – auch wenn sie dafür den Mann und die älteren Kinder dort zurücklassen. (Bild: Ljuba Naminova)

Viele Russinnen ziehen das Schwangersein unter Palmen dem unwirtlichen Wetter in ihrer Heimat vor – auch wenn sie dafür den Mann und die älteren Kinder dort zurücklassen. (Bild: Ljuba Naminova)

Gebären in Miami: Schwanger hin, mit Pass und Kind zurück

Wer in den USA geboren wird, erhält den amerikanischen Pass. Viele Russinnen reisen deshalb nach Miami Beach, um dort ihr Kind zur Welt zu bringen. Wir haben die schwangere Alexandra aus Moskau begleitet.

Ljuba Naminova
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Früher war Miami Beach berühmt für sein Kokain. Heute ist es die Hauptstadt der Schwangeren. Diese tauchen für ein paar Monate auf und reisen wieder ab mit Baby. Eine von ihnen ist Alexandra Mironowa. Alexandra, 27, und ihr Mann Andrei, 33, gehören der russischen Mittelschicht an. Ihr Sohn Anton ist zwei, der zweite Sohn unterwegs. Andrei, ein Unternehmensjurist, verdient so gut, dass das Paar auf nichts verzichten muss. Grosses Auto, Eigentumswohnung in Moskau. Nur etwas fehlt, um richtig glücklich zu sein, und Alexandras Schwangerschaft bietet nun die Lösung: ein westlicher Pass.

Seit 1868 erhalten alle Kinder, die in den USA geboren werden, die US-Staatsangehörigkeit. Dafür sorgt der 14. Zusatzartikel zur US-Verfassung, weshalb auch Präsident Trumps Ankündigung vergangenen Herbst, dieses Recht per Dekret auszuhebeln, unrealistisch scheint. Frauen aus aller Welt nutzen das Schlupfloch, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Illegal ist das also nicht – solange die Schwangerschaft nicht verheimlicht wird.

Als die Mironows im Sommer 2018 erfuhren, dass sie ein zweites Kind erwarten, war Andrei klar: Das ist die Chance, dass einer seiner Söhne Amerikaner werden kann. Denn sobald er nach US-Recht mit 21 Jahren die Volljährigkeit erreicht, kann die gesamte Familie eingebürgert werden.

Ausbildung in den USA ermöglichen

Alexandra und Andrei Mironow möchten ihre richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen, machen aber kein Geheimnis aus ihrem Vorhaben. Befreundete Europäer schütteln meist verständnislos den Kopf. Wozu der ganze Aufwand und Stress? Weil es ihren Kindern auch eine Ausbildung in den USA ermögliche, die für Staatsbürger deutlich günstiger sei, antworten die Mironows. «Ausserdem wird es die USA noch in zwanzig Jahren in derselben Staatsform geben», sagt Andrei, «bei Russland bin ich mir nicht so sicher – vor allem, wenn Putin nicht mehr da ist.» Scherzhaft fügt er an: «Es wäre nicht übel, sich nach der Rente nach Florida abzusetzen.»

Täglich sitzen bis zu acht schwangere Russinnen im Flugzeug von Moskau nach Miami, wie die Deutsche Welle ausgerechnet hat. Offizielle Zahlen gibt es nicht, Anfragen an das Standesamt im County Miami und bei der russischen Botschaft bleiben unbeantwortet. In der 34. Schwangerschaftswoche ist es auch bei Alexandra so weit (die meisten Airlines erlauben das Fliegen bis Ende der 36. Woche). Sie fliegt mit ihrem Mann, ihrem Sohn Anton und ihrer Mutter nach Miami. An der Grenze stellt niemand Fragen wegen ihres Bauchs.

«Wenn ich könnte, würde ich das erste Flugzeug zurück nach Moskau nehmen. Hier kann ich meinem Nestbautrieb nicht frönen.»

In einem Hochhaus in Hollywood, einem Vorort nördlich von Miami, mieten sie eine Zwei-Zimmer-Wohnung im 12. Stock. Der Blick geht aufs Meer, ein Pool gehört auch dazu. Einmal hier, wird klar, dass Alexandra gegenüber dieser Reise viel ambivalenter ist. Sie steht am Panoramafenster ihres Schlafzimmers, vor ihr breitet sich der azurblaue Atlantik aus, und sie sagt: «Ich sollte das hier geniessen, aber wenn ich könnte, würde ich das erste Flugzeug zurück nach Moskau nehmen. Hier kann ich meinem Nestbautrieb nicht frönen.»

Alexandra Mironowa ist ihrem Mann zuliebe nach Florida gekommen. Sie fürchtete den Stress, doch er drängte darauf. Am Ende gab sie nach, «damit er es mir später nicht vorhält».

Vater ist bei Geburt in Moskau

«Alexandra hat immer noch nicht verstanden, warum der amerikanische Pass so wichtig ist», sagt Andrei anderntags. Er selber wird bei der Entbindung nicht dabei sein. Er kann nur wenige Tage in Miami bleiben, dann muss er zurück nach Moskau, um Geld zu verdienen. Vaterschaftsurlaub? Da würden ihn die Chefs und Kollegen nur auslachen. Für ihn sei das kein grosses Opfer. Auch die Geburt des ersten Kindes hat er im Nebenraum erlebt. In den drei Monaten, die Alexandra mit den gemeinsamen Söhnen und ihrer Mutter in Florida verbringen wird, wird er insgesamt drei Mal nach Miami fliegen. Manchmal, wenn sie sich per Video-Chat hören und sie schlecht gelaunt ist, hält sie ihm vor: «Das nächste Kind kriegst du selber!»

Da Alexandra auch diesmal auf ihren Mann verzichten muss, hat sie nun eine Doula, eine Geburtshelferin, gebucht. Diese kommt ursprünglich aus Kasachstan. Für ihre Unterstützung erhält sie 500 Dollar.

In Miami gibt es Dutzende Agenturen, die sich auf schwangere Russinnen spezialisiert haben. Man kann sich den Aufenthalt mit einem Rundumpaket organisieren lassen, Kosten: von 30 000 Dollar aufwärts. Die Mironows sind einen anderen Weg gegangen. Über eine Chat-Gruppe für «Schwangere in Miami» des russischen Nachrichtendiensts Telegram haben sie die Wohnung zur Untermiete gefunden. Die Chat-Mitglieder helfen sich untereinander, bewerten Ärzte und Kliniken und tauschen Erfahrungen aus.

Auf den Spielplätzen von Miami entsteht zuweilen der Eindruck, man sei in Little Moscow.

Alexandra spricht zwar recht gut Englisch, das wäre aber nicht nötig, da viele Ärzte und Hebammen Russisch können. Wie sehr der Geburtstourismus aus Russland boomt, hört man auch auf der Strasse. Auf den Spielplätzen entsteht zuweilen der Eindruck, man sei in Little Moscow.

Zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin hat Alexandra eine Vorsorgeuntersuchung bei ihrer Gynäkologin. Auch die Moldauerin wird in Miami dank russischen Kunden reich. Sie stellt fest, dass der Muttermund bereits drei Zentimeter geöffnet ist. Alexandra muss in die Klinik. Als Alexandra die Wohnung verlässt, wo sie die nötigsten Sachen holt, kommen ihr die Tränen. Schnell umarmt sie ihre Mutter und ihren Sohn. «Reiss dich zusammen, du musst stark bleiben!», ruft ihr die Mutter hinterher, dann steigt Alexandra ins Taxi.

In der Klinik füllt die Doula Formulare aus und beantwortet Fragen, während Alexandra in den Wehen liegt. Kurz nach zwanzig Uhr wird Nikita geboren, 53 Zentimeter gross und 3155 Gramm schwer.

Vier Monate fern von zu Hause

An einem schwülen Maitag trifft Alexandra andere frischgebackene Mütter und Schwangere in einer Strandbar auf dem Dach eines Hochhauses in Hollywood, dem Vorort von Miami Beach. Pop-Musik dröhnt aus den Lautsprechern, die Stimmung ist heiter. Frauen, unter deren karibisch angehauchten Sommerkleidern sich Bäuche wölben, nippen an ihren alkoholfreien Piñas Coladas, die Mütter bestellen Cocktails mit Schuss. Man kommt sich vor wie an einer Party für Erasmus-Studentinnen Ü30, wären da nicht die Babys und Kleinkinder. Die Ehemänner fehlen, obwohl das alles hier auf ihre Kosten geht.

Die meisten Anwesenden kommen aus allen Teilen Russlands und der ehemaligen Sowjetunion und verbringen für die Entbindung drei, vier Monate hier. Bei vielen klingt es so, als würden sie das Angenehme mit dem Unangenehmen verbinden: Anders als Alexandra sind sie lieber schwanger unter Palmen als im wechselhaften russischen Frühling. Die meisten wollten um jeden Preis für die Entbindung nach Miami. Natascha aus Moskau ist es leid, abhängig von Visa zu sein: «Ich möchte das meinem Kind ersparen.» Einige Frauen wie Ilona reisten allein her und lassen ihre älteren Kinder für Monate bei den Ehemännern oder den Grosseltern zurück.

Alexandra verbringt ihre Tage nach der Geburt von Nikita am Pool und am Strand. Zwischendurch muss sie zur Nachkontrolle zum Arzt. Sie hat die Aventura Mall, Miamis grösstes Einkaufszentrum, für sich entdeckt. Beim Shoppen kann sie sich entspannen.

Zum Dank Goldkette von Tiffany

Zwei Wochen nachdem Nikita zur Welt gekommen ist, lernt Andrei seinen Sohn kennen. «Ich hatte ganz vergessen, wie klein sie am Anfang sind», sagt er zur Begrüssung und nimmt Nikita vorsichtig auf den Arm. Alexandra wirkt wie ausgewechselt, seitdem Andrei da ist. Sie lächelt jetzt mehr, wirkt gelöst. «Mit dir kann ich Miami endlich geniessen.» Andrei hat ein Auto gemietet, und die nächsten zwei Wochen verbringt die Familie mit Ausflügen in Museen und Parks.

Kurz vor seinem Rückflug darf Alexandra sich eine Halskette bei Tiffany aussuchen. Ein Geschenk ihres Mannes. Sie wählt eine dezente Goldkette mit einem kleinen Brillanten aus, der Preis liegt im vierstelligen Bereich. Alexandras Mutter bekommt zum Dank eine puderfarbene Handtasche von DKNY. Am Ende haben die Mironows fast 30 000 US-Dollar inklusive Lebenskosten in den US-Pass ihres Sohnes investiert.

Zwei Wochen vor der Rückkehr nach Moskau liegt ein Umschlag im Briefkasten. Nikitas US-Pass ist da. Im Vergleich zur schlichten Optik des russischen Passes wirkt der amerikanische Pass mit seinen Bildern von Mount Rushmore und der Freiheitsstatue wie ein Märchenbuch. Russland gegen Amerika, das ist selbst für Russen manchmal wie ein Schwarz-Weiss-Stummfilm gegen Disney.

Und einen Haken hat der US-Pass. «Nikita muss später in Russland als US-Bürger höhere Steuern bezahlen, selbst wenn er nie in den Staaten leben wird», sagt Andrei. Und fügt hinzu: «Aber zur Not kann er dann immer noch die US-Staatsbürgerschaft ablegen.»