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Studie aus Bremen Pflegeheim-Bewohner zu oft in der Klinik

Angst vor rechtlichen Konsequenzen und fehlende Kommunikation zwischen Heimen und Ärzten führen laut einer Studie aus Oldenburg und Bremen dazu, dass Heimbewohner vorschnell ins Krankenhaus eingeliefert werden.
27.10.2019, 21:01 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Pflegeheim-Bewohner zu oft in der Klinik
Von Sabine Doll

Pflegeheim-Bewohner in Bremen und dem niedersächsischen Umland werden zu häufig in Notaufnahmen und Krankenhäuser eingeliefert. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitäten Oldenburg und Bremen. „Das große Problem dabei: Unnötige Krankenhausaufenthalte können unerwünschte Folgen haben. So ist zum Beispiel das Risiko für Infektionen und für Verwirrtheit erhöht“, sagt Dr. Guido Schmiemann, Arzt und Wissenschaftler am Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen. Schmiemann hat einen Teil der Studie mit dem Titel „Hospitalisierung und Notaufnahmebesuche von Pflegeheimbewohnern“ verantwortet.

14 Pflegeheime in Bremen und dem Umland wurden nach Angaben des Mediziners in die Untersuchung einbezogen. 802 Bewohnerinnen und Bewohner wurden erfasst, die Hälfte von ihnen war dement, ein Viertel über 90 Jahre alt. Im Zeitraum von einem Jahr ergab die Statistik 627 Krankenhausaufenthalte. „Allerdings entspricht dies nicht den Personen, sondern der Zahl der Notaufnahmen und den Krankenhausaufenthalten. Darunter befinden sich Mehrfachaufnahmen einzelner Patienten. Im Schnitt ergeben sich damit pro Bewohner 0,78 Klinikaufenthalte pro Jahr.“ Laut Schmiemann hat die Studie, die insgesamt auf drei Jahre angelegt ist, einen repräsentativen Charakter. „Deshalb können wir sagen, dass die Zahl deutlich höher ist als im internationalen Vergleich. Das muss sich ändern“, fordert er.

Unterlagen analysiert

Um den Ursachen für die häufigen Klinikaufenthalte auf die Spur zu kommen, haben die Uni-Forscher aus Oldenburg und Bremen in den Pflegeeinrichtungen Unterlagen ausgewertet und das Geschehen in Fragebögen erfasst. Sie wollten wissen: Warum sind ­Bewohner in die Kliniken eingeliefert worden? Wer hat die Entscheidung getroffen? Wie lautete die Diagnose? Von wem wurde sie ­gestellt? Wie lange blieb der jeweilige Bewohner im Krankenhaus? Und: Haben die Bewohner von dem Aufenthalt im Krankenhaus ­profitiert?

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„Häufig haben Pflegekräfte ohne Einbeziehung von Ärzten, also etwa dem Hausarzt, die Entscheidung getroffen und den Rettungsdienst über die 112 gerufen“, erklärt Schmiemann, der als Allgemeinmediziner auch Bewohner in einem Pflegeheim betreut. Die häufigsten Gründe seien Stürze, Unfälle, Verschlechterungen des Allgemeinzustands und neurologische Auffälligkeiten gewesen. Und: Das höchste Risiko für ungeplante Krankenhaustransporte hätten Männer sowie Heimbewohner mit einem höheren Pflegegrad. Schmiemann spricht von einem Automatismus. „Der Pflegedienst ruft die 112. Der Disponent, der den Anruf entgegennimmt, haftet persönlich für seine Entscheidung, also wird er im Zweifel eher einen Rettungswagen alarmieren. Der wird für Leerfahrten in den meisten Regionen nicht bezahlt, also nimmt er im Zweifel den oder die Bewohnerin des Pflegeheims mit. Wir müssen Wege finden, wie wir da herauskommen.

Kommunikationsmängel

Als weitere Ursache für viele unnötige Krankenhaustransporte haben die Forscher Mängel in der Kommunikation ausgemacht. Einrichtungen und Ärzte arbeiteten häufig nicht strukturiert zusammen. Schmiemann: „Bei etwa jedem zweiten Fall wurde die Arztpraxis nicht informiert. An dieser Stelle wäre es hilfreich, wenn beide Seiten dieselben Informationen hätten – zum Beispiel die gleiche Akte und den gleichen Medikamentenplan. Bei akuten Symptomen könnte zunächst der behandelnde Arzt eine Einschätzung vornehmen oder den Patienten in der Einrichtung untersuchen und versorgen. Das gilt natürlich nur, wenn es sich nicht um einen eindeutigen Notfall handelt, der zwingend den Notruf über die 112 und den Transport in ein Krankenhaus vorsieht. Wir haben da ein strukturelles Problem.“

Als eine mögliche Lösung schlägt Schmiemann vor, dass die Einrichtungen Handlungsempfehlungen mit einem klaren Ablaufschema für das Pflegepersonal formulieren. „Der erste Schritt könnte danach sein, den Hausarzt zu informieren und mit ihm eine erste Einschätzung vorzunehmen. Alle Unterlagen müssen dafür zusammengestellt sein.“ Ein solches strukturiertes Vorgehen mit klaren Handlungsempfehlungen und einer Dringlichkeitsabklärung gebe es in den Einrichtungen häufig nicht.

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Der Bremer Versorgungsforscher verspricht sich außerdem viel davon, wenn künftig der 112-Notruf für den Rettungsdienst und die Telefonnummer 11 61 17 für den Ärztlichen Bereitschaftsdienst zusammen geschaltet werden sollen. Schmiemann: „Dann kann ein Arzt die Situation zunächst beurteilen.“

Rettungsdienst oft nicht erforderlich

Auch sogenannte Gemeinde-Notfallsanitäter, wie sie derzeit im Rahmen eines Pilotprojekts im Oldenburger Land im Einsatz sind, könnten aus Sicht des Arztes eingebunden werden. Ziel des Projekts, das im Januar dieses Jahres gestartet ist, ist die Entlastung des Rettungsdienstes. „Bei einer Vielzahl von Alarmierungen ist eine notfallmedizinische Versorgung durch den Rettungsdienst nicht erforderlich. Bislang fehlte es aber an einer Alternative, die Patientinnen und Patienten in ihrer zwar für sie unklaren, aber oft nicht lebensbedrohlichen Situation professionell unterstützt“, heißt es auf der Internetseite des Projekts. Schmiemann: „Auf dem Land, wo es diese Gemeinde-Notfallsanitäter gibt, könnten sie Ansprechpartner für die Einrichtungen sein – sofern es sich nicht um einen klaren 112-Notruf handelt.“

Die Ergebnisse der Studie haben auch die Politik erreicht: Die Bremer CDU-Fraktion hat das Thema in einer Großen Anfrage an den Senat aufgegriffen und will darin wissen, was „gegen vorschnelle Krankenhauseinweisungen von Pflegeheim-Bewohnern“ unternommen werden soll. Konkrete Fragen sind außerdem: „Wie plant der Senat, die strukturellen Mängel und die Mängel in der Kommuni­kation möglichst weitgehend zu beseitigen; und welchen Zeitrahmen hat sich der Senat dafür gesteckt?“, „Welche Aufgabe kommt ­dabei der Wohn- und Betreuungsaufsicht zu?“ und „Welche Möglichkeiten sieht der Senat, um zu weniger Transporten in Kranken­häuser zu kommen, die wegen einer sonst teuren Leerfahrt des Rettungswagens veranlasst ­werden?“.

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