Medizin zwischen Markt und MoralLukrative Beatmungspatienten

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Beatmungen sind vermeintlich lukrativ.

  • Mit der Fallpauschale ist vorgeschrieben, wie lange ein Patient im Krankenhaus bleiben darf – und damit auch, wie rentabel seine Krankheit ist
  • Während Mediziner zwischen Patienten und Finanzen jonglieren, befürchten Kranke eine Über- oder Untertherapie – Eine Zwickmühle, die neue Strategien erfordert.
  • Podiumsdiskussion am 15. November im studio dumont.

Ist die Sorge berechtigt, dass der Patient im Krankenhaus nicht die optimale Therapie erhält, sondern bevorzugt die, mit der Kliniken gutes Geld verdienen? Wird der kranke Alte an Maschinen angeschlossen, die nur das Leben verlängern, nicht aber der Lebensqualität dienlich sind? Geht Wirtschaftlichkeit vor Menschlichkeit im Gesundheitssystem, und muss uns das Angst machen?

Glaubt man dem Appell von mehr als 215 Medizinern und 19 medizinischen Fachorganisationen, die vor wenigen Wochen Schlagzeilen machten, dann ist dem so. Unterzeichnet haben diesen Appell unter anderem Frank-Ulrich Montgomery, Vorsitzender des Vorstandes des Weltärztebundes, und Prof. Christiane Woopen, Vorsitzende des Europäischen Ethikrats. Mit haarsträubenden Beispielen belegen Ärzte im „Stern“, dass „lukrative Beatmung die Bilanz retten (kann), wenn Komplikationen einen Fall weniger profitabel machen“. Angegeben werden aktuell rund 25.500 Euro, die eine Klinik pro Tag abrechnen kann für die Beatmung eines Schwerkranken – je länger, je lukrativer. Eine Unfallchirurgin schildert: „Gibt es zwei OP-Varianten, wählt man nicht die bessere, sondern die schnellere.“ Denn aufgrund der seit 16 Jahren geltenden Fallpauschalen ist vorgeschrieben, wie lange ein Patient je nach Diagnose im Krankenhaus bleiben darf. Demzufolge lohnt es sich beispielsweise, das Bett eines Kranken, der zeitaufwendig, aber nicht sonderlich rentabel versorgt werden muss, zügig frei zu machen für einen finanziell aussichtsreichen Eingriff, der bereits auf der Warteliste steht.

Zustände belasten auch Ärzte

Das „Ärzteblatt“ resümiert, dass das bestehende System diejenigen belohne, die profitable Maßnahmen wie Katheteruntersuchungen, Rückenoperationen und teure Geräteversorgung ansetzen, und jene bestrafe, die sprechende Medizin oder konservative Therapiemethoden anwenden. Christiane Groß, Vorsitzende des Deutschen Ärztinnenbundes: „Die aktuellen Zustände schaden den Patienten. Sie belasten auch Ärzte, deren Anspruch ja darin besteht, zum Wohle kranker Menschen zu arbeiten.“

Das unterstreichen Ärzte wie der Palliativmediziner Dr. Wolfgang Hübner, Dr. Jürgen Tudyka, der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Heilig Geist-Krankenhaus in Köln sowie der Facharzt für Innere Medizin am St. Katharinen-Hospital in Frechen, Privat-Dozent Dr. Jörg Zeeh. Auch dem Gesundheitspolitiker Dr. Georg Kippels, Bundestagsabgeordneter und Mitglied im Bundesausschuss für Gesundheit, sind diese Probleme bestens bekannt. Er weiß, dass es auf einigen Gebieten, unter anderem in der medizinischen Therapie der Alten „eines anderen Abrechnungssystems bedarf“, das sich deutlicher am Wohl des Patienten orientiere: „Wir haben das Problem erkannt, denn der Bedarf ist groß.“ Jürgen Tudyka, und mit ihm viele Kollegen, fordern Politiker auf, „mal ein paar Tage in der Klinik zu sein, von morgens bis abends, mit den Palliativmedizinern zu den Patienten zu gehen – und zwar nicht nur vor den Wahlen“. Das würde den Blick weiten für ein Gesundheitssystem, das vorrangig den Bedürfnissen der Kranken und den Ansprüchen verantwortungsvoll handelnder Ärzte Rechnung trage.

Veranstaltung

„Ethik in der Medizin – Welche Therapien sind sinnvoll, welche nicht?“ Freitag, 15. November, 19 Uhr, studio dumont, Breite Straße 72, Köln Experten im Gespräch: Palliativmediziner Dr. Wolfgang Hübner, Chefarzt für Innere Medizin Dr. Jürgen Tudyka, Facharzt für Innere Medizin  Privat-Dozent Dr. Jörg Zeeh sowie Dr. Georg Kippels, Mitglied im Bundesausschuss für Gesundheit Moderation: Marie-Anne Schlolaut Karten: 15 Euro, 13 Euro mit Abocard, jeweils  inkl. VVK-Gebühren, ab sofort erhältlich, Abendkasse 17 Euro, 15 Euro mit Abocard Abocard: 0221/ 28 03 44 www.abocard.de/tickets kölnticket: 0221/ 28 01 www.koelnticket.de

Wenn Wolfgang Hübner feststellen muss, dass es Krankenhäuser gibt, die noch nicht einmal wissen, dass es beispielsweise in Leverkusen bereits ein seit acht Jahren gut installiertes Palliativnetz gibt, dann muss man nicht lange danach suchen, wo es im System hakt. „Dabei,“ so Hübner, „ist das Netz der spezialisierten ambulanten Palliativversorgung im Rheinland und in ganz NRW ziemlich dicht und qualitativ gut besetzt.“ Umso bedenklicher, wenn dies einigen Kliniken und praktizierenden Ärzten nicht bekannt ist. Der sterbenskranke Patient muss dies „ausbaden“, wenn es nicht ermöglicht wird, dass diese besonders ausgebildeten Mediziner und Pflegekräfte zu ihm nach Hause kommen, sein Leiden lindern und die verbleibende Lebenszeit so würdig wie möglich gestalten.

Linderung des Leidens im Fokus

Die Frage, welcher Patient der Hightech-Medizin bedarf und wem mit anderen therapeutischen Methoden mehr gedient ist, müssen sich niedergelassene und vor allem Klinik-Ärzte täglich stellen. Dabei legt ihnen nicht nur die geforderte Wirtschaftlichkeit einer Klinik das Korsett an, sondern auch das Umfeld des Patienten. Nicht selten versuchen Angehörige, das Maß der Dinge festzulegen und einzufordern. Tudyka: „Wir erleben oft, dass Kranke mit einer schweren Demenz, die gravierende Organunterfunktionen nach sich zieht, zu uns eingeliefert werden. Sie sind ausgemergelt, weil aufgrund der Demenz das Gehirn keinen Reiz mehr gibt zu essen und zu trinken. Diese ausgemergelten Patienten brauchen keine Hightech-Medizin, sondern Linderung ihres Leidens.“

Der Zustand der schwerkranken Eltern oder Verwandten versetzt Angehörige allerdings in Panik. Hübner, Tudyka und Zeeh erleben immer wieder, dass gefordert wird: „Machen Sie was, Herr Doktor. Wir können ihn doch nicht verhungern lassen. Der trinkt auch nichts. Da muss was passieren.“ Palliativmediziner wie Hübner wissen: „Es ist unsere Aufgabe, klar zu machen, dass der Patient das nicht braucht, dass es von Fall zu Fall reicht, ihm Lippen und Zunge mit seinem Lieblingsgetränk zu befeuchten.“

Ärzte brauchen Zeit, um Entscheidungen zu erklären

Um das zu besprechen und zu erklären, um zu erläutern, was lebenswichtig, lebenserhaltend ist und die Leiden lindert, brauchen Ärzte Zeit. Zeit, die sie nicht haben, und hätten sie sie, nicht honoriert wird. Aber wie sollen der Kranke und seine Familie begreifen, dass eine Magensonde nicht per se zu verteufeln ist? Jürgen Tudyka: „Wenn ein Schwerkranker noch einige Wochen Lebenszeit hat und die Ernährung über eine Sonde ihn in diesen Wochen unterstützt, sollte man die Sonde über die Bauchdecke einsetzen. Das ist kein großer Eingriff.“

Ganz anders verhält es sich mit einem Zentralvenenkatheter. Der dünne Schlauch wird über eine größere Vene bis kurz vor den rechten Vorhof des Herzens geschoben. Über diverse Zugänge können Medikamente und Infusionen zur künstlichen Ernährung verabreicht werden. Solche belastenden Eingriffe wollen wohlüberlegt und besprochen sein, genauso wie aufwendige CT-Diagnostik, Organ-Punktionen und Operationen, die für den gesamten Organismus ein hohes Risiko bedeuten. „Das zusammen mit den Angehörigen zu klären heißt langwierige Gespräche zu führen, denn so eine Entscheidung trifft man nicht an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Uhrzeit, sondern das ist ein Prozess, der mit dem Tag der Aufnahme im Krankenhaus beginnt“, so Tudyka. Abrechnen lässt sich dieser Einsatz nicht.

Der Arzt ist der Experte – nicht der Patient

Der Gesundheitspolitiker Dr. Georg Kippels weiß das und ihm ist klar, dass „Forderungen der Familienmitglieder an den Arzt meist eine falsch verstandene Verpflichtung zur Hilfe sind“. Hinzu komme, dass viele Patienten ein hohes Anspruchsdenken haben. „Sie dürfen diese Ansprüche stellen, aber ich wünsche mir, dass derjenige, der die Leistung bekommt, auch darüber nachdenkt, welchen Wert diese Leistung hat.“ Kippels mahnt zudem als Resultat aus vielen Patienten-Arzt-Gesprächen an, dass „einige anscheinend vergessen haben, dass der Arzt der Experte ist, und dass er bestimmt, was zu tun ist, denn er trägt die Verantwortung“. Patienten-Forderungen wie „Schreiben Sie mir auf, was ich brauche, und was ich brauche, das sage ich Ihnen schon“ treiben Medizinern gelegentlich die Zornesröte ins Gesicht.

Meist basieren solche Forderungen auf Erkenntnissen, die der Patient sich bei „Dr. Google“ geholt hat. Oder aber sie basieren auf dem kulturell geprägten familiären Verständnis von Fürsorge und Hilfe. Jürgen Tudyka und Jörg Zeeh stehen oft genug einer Schar von 15 Familienangehörigen gegenüber, die für ihren Kranken die Maximalversorgung einfordern, was aufgrund des medizinischen Verständnisses und der Sprachbarrieren meist zu fruchtlosen, oft stundenlangen Diskussionen führt.

Patienten die Angst nehmen

Um eben nicht vorrangig das zu tun, was wirtschaftlich geboten ist, und nicht bedingungslos umzusetzen, was medizintechnisch möglich erscheint und von Familien gewünscht wird, fordern Mediziner dringend Strategien, die im Klinikalltag und bei praktizierenden Ärzten umzusetzen sind. Ziel muss es sein, Patienten die Angst zu nehmen, dass sie übertherapiert oder untertherapiert werden. Jörg Zeeh: „Für das, wofür Patient und Arzt sich entscheiden, muss zwingend die Infrastruktur vorhanden sein, egal ob in der Familie, im Pflegeheim, in der Klinik, der Palliativmedizin und bei Hausärzten. Wir müssen anders umgehen mit Krankheit und Tod.“ Der Politiker Kippels formuliert es so: „Wir sollten uns dringend fragen, welche Form der Behandlung den Menschen belastet und was wir ihm noch zumuten können“.

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