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Die wachsende Angst vor dem Infektionsherd Krankenhaus

Sind Menschen nach einer Infektion doch nicht immun?

Sie haben das Virus überstanden und sind genesen – doch dann der Schock: Ein erneuter Test ist auf einmal wieder positiv. So geschehen bei mehr als 90 Personen in Südkorea.

Quelle: WELT / Alina Quast

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Aus immer mehr Kliniken werden Corona-Infektionen beim Krankenhauspersonal gemeldet. Die Folgen reichen über das Leid der Betroffenen hinaus: Viele Kranke zu Hause trauen sich nicht mehr in die Notaufnahmen. Ein lebensgefährlicher Trend.

Anfang März wird Wolfgang B., 79, in ein norddeutsches Krankenhaus eingeliefert. Es ist schwer krank, Krebs. Die Ärzte haben ein Bronchialkarzinom diagnostiziert, ein Tumor hat sich um die Lunge gelegt. Er kommt zur Chemotherapie. Seine Angehörigen rechnen damit, dass ihm nicht mehr viel Lebenszeit bleibt.

Umso wichtiger findet es die Tochter, an seinem Bett zu sitzen, seine Hand zu halten, dem Vater nahe zu sein. Das war seit Wochen nicht möglich, Kontaktbeschränkung.

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Am vergangenen Samstag meldet sich Wolfgang B. per Telefon bei seiner Tochter und ihrem Mann: „Ich habe Corona.“ Versuche der Angehörigen, über Ostern von den behandelnden Ärzten Genaueres zu erfahren, bleiben erfolglos. Erst als sich die Bremer Gesundheitssenatorin persönlich eingeschaltet habe, sei etwas Bewegung in den Fall gekommen, berichtet der Mann der Tochter. Das Gesundheitsamt rief an.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag stirbt Wolfgang B. Beim letzten Telefonat mit seiner Tochter, wenige Stunden vor seinem Tod, habe er sehr stark gehustet, sagt der Schwiegersohn.

Wie es genau zur Infizierung im Krankenhaus kam, wie die letzten Stunden des Patienten ausgesehen haben, das können sich die Hinterbliebenen bisher nur zusammenreimen. Offizielle Aussagen dazu hat das Krankenhaus bisher nicht gemacht. Am wahrscheinlichsten scheint zu sein, dass sich Wolfgang B. bei einem Zimmernachbarn angesteckt hat, der zunächst negativ, dann positiv getestet wurde und inzwischen ebenfalls verstorben ist. Ob das Krankenhaus bei der Zusammenlegung von Wolfgang B. und dem anderen, infektiösen Patienten fahrlässig gehandelt hat, wird noch zu klären sein.

Die tragische Geschichte von Wolfgang B. ist in diesen Tagen kein Einzelfall. Die Meldungen über deutsche Krankenhäuser, die sich in Corona-Infektionsherde verwandeln, häufen sich. Das Robert Koch-Institut registrierte in seinem jüngsten Lagebericht beim Personal in medizinischen Einrichtungen insgesamt 6058 Personen, die in „Krankenhäusern, Arztpraxen, Dialyseeinrichtungen, ambulanten Pflegediensten oder Rettungsdiensten“ tätig sind. Es handelt sich zu 72 Prozent um Frauen. Am Mittwoch meldete das Institut zum ersten Mal auch Todesfälle in dieser Gruppe: Sieben Menschen starben „im Zusammenhang mit einer Covid-19-Erkrankung“.

Patienten wurden hier gar nicht mitgezählt. Aber auch deren Zahl steigt: Wer mit einem Herzinfarkt oder einem Knochenbruch in eine Klinik eingeliefert wird, läuft zurzeit Gefahr, sich zusätzlich mit dem neuen Coronavirus anzustecken. Peter Walger, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, wundert das nicht. „Mit dem Anstieg von Corona-Infektionen in medizinischen Einrichtungen war zu rechnen“, erklärt er gegenüber WELT.

In den Kliniken wird Patienten einerseits geholfen. Andererseits sind Krankenhäuser auch die Orte, an denen es naturgemäß viele Bakterien und Viren gibt, infizierte Patienten tragen sie hinein. Dann besteht die Gefahr, dass sich Angestellte infizieren – und den Erreger weitergeben. Deshalb waren Krankenhäuser, trotz aller Vorsichtsmaßnahmen, immer auch Infektionsherde.

„Es gab Ansteckungen von Personal und Patienten mit Grippe- oder Noroviren, früher, bis zum Einsatz des Impfstoffes, auch mit Hepatitis B“, erläutert Walger. „Das betraf und betrifft neben Patienten auch immer wieder Ärzte, Schwestern und Pfleger sowie anderes Krankenhauspersonal.“ Dennoch sei der Infektionsschutz in den deutschen Krankenhäusern „insgesamt gut organisiert“. Wenn negativ getestetes Personal eingesetzt würde, könnte das Risiko der Ansteckung deutlich sinken.

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Im europäischen Vergleich schneidet Deutschland bei diesem Problem vergleichsweise gut ab. Die Corona-Infektionsrate beim klinischen Personal liege in Deutschland „noch deutlich unter den Fällen, die in Italien oder Spanien oder den USA“ registriert worden seien, so Walger. Der Internist und Infektiologe gibt aber zu bedenken, dass „die Zahlen bei uns unvollständig sind. Eine genaue Übersicht gibt es nicht.“

Dramatische Lage in Potsdam

Ein Blick in die Bundesländer zeigt indes, dass sich die Ausbrüche in den Kliniken häufen. Am dramatischsten scheint die Situation zurzeit in Potsdam zu sein. Allein im dortigen Ernst-Bergmann-Klinikum sind 174 Mitarbeiter infiziert. In Potsdam starben, Stand Mittwoch, bisher 44 Menschen an den Folgen der Krankheit – 30 von ihnen waren Patienten des Klinikums. Die meisten waren auf der Geriatrie-Station.

Die ungewöhnlich hohe Zahl hat inzwischen die Brandenburger Staatsanwaltschaft auf den Plan gerufen, nachdem Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) vergangene Woche ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen drei Ärzte und zwei Geschäftsführer der städtischen Klinik eingeleitet hatte. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob im Klinikum Meldeverstöße laut Infektionsschutzgesetz begangen wurden. Eine Amtsärztin hatte beklagt, dass Corona-Meldungen aus dem Klinikum an das Gesundheitsamt nur „zeitlich verzögert oder gar nicht“ angekommen seien.

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Die Staatsanwaltschaft geht unter anderem der Frage nach, ob in Potsdam Infektionen vorsätzlich nicht gemeldet wurden. Das wäre keine Ordnungswidrigkeit, sondern eine Straftat. Betont wird aber, dass Ärzte und Geschäftsführer in dem Verfahren bisher nicht als Beschuldigte geführt werden. Es gehe um die Klärung der Angelegenheit.

Wie auch immer: Der Coronavirus-Ausbruch im Klinikum hat die Brandenburger Politik alarmiert. Der Vorfall sei „die größte Sorge, die wir im Land haben“, so die Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne). Oberbürgermeister Schubert hat inzwischen die Bundeswehr um Hilfe gebeten, um der Lage Herr zu werden.

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Ebenfalls beunruhigende Nachrichten kamen aus dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Dort waren im hochsensiblen Bereich der Krebsstationen in der vergangenen Woche 18 Patientinnen und Patienten sowie rund 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unterschiedlicher Berufsgruppen Sars-Cov-2-positiv getestet worden. „Einige dieser Patienten werden entsprechend noch im UKE betreut, andere sind in die Häuslichkeit entlassen worden“, erklärte Kliniksprecherin Saskia Lemm auf Anfrage. Drei Krebspatienten liegen nun wegen Corona auf einer Intensivstation.

Der Ausbruch war allerdings nicht vom städtischen Krankenhaus selbst bekannt gemacht worden. Erst als der „Spiegel“ über den Vorfall berichtete, reagierte das Klinikum mit Stellungnahmen. Die genauen Wege der Infektion würden derzeit aufgearbeitet, könnten aber nicht auf eine einzelne Person zurückgeführt werden, so Lemm. Laut „Spiegel“ gehen die Infektionen dagegen auf eine infizierte Reinigungskraft zurück, die Bediensteten der Klinik wegen ihres schlechten Gesundheitszustandes aufgefallen war und anschließend positiv getestet worden sei.

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Transparenter als das UKE ging die südwestlich von Frankfurt gelegene Rheinhessen-Fachklinik (RFK) in Alzey mit dem Auftauchen von Sars-CoV-2 in der Gerontopsychiatrie um. Neun Patienten und sieben Mitarbeiter seien betroffen, hieß es am Dienstag. Das RFK machte die Infizierungen nach Absprache mit dem Gesundheitsamt von sich aus bekannt. Nun sucht man „Patient null“, aber das ist nicht einfach.

Die meisten betroffenen Patienten und Mitarbeiter hätten trotz positiv getesteter Ergebnisse keine Symptome einer Erkrankung gezeigt, hieß es. Der Patient, bei dem als Erstes Symptome bemerkt wurden, sei eingangs noch negativ getestet worden. Erst ein zweiter Test habe den Verdacht bestätigt.

Die Meldungen über Infektionsherde in medizinischen Einrichtungen verunsichern viele Kranke – mit gefährlichen Konsequenzen. „Leider ist jetzt eine Tendenz erkennbar, dass andere Kranke, zum Beispiel Patienten mit Verdacht auf einen Herzinfarkt, den Weg zum Arzt oder in das Krankenhaus scheuen“, so Walger. „Doch wer seine Brustschmerzen bagatellisiert, lebt sehr gefährlich. Herzinfarkte sind dringend behandlungsbedürftig, der Verdacht allein ist ein Notfall.“

Tatsächlich mehren sich nicht nur Nachrichten über Infektionsausbrüche in Kliniken. Sondern auch Berichte von Kardiologen, die sich darüber wundern, warum sie im Moment weniger Patienten haben. So verringerte sich im März die Zahl der mit Herzinfarkt aufgenommenen Patienten in Österreich um 40 Prozent, wie die Österreichische Kardiologische Gesellschaft ermittelte. Hinter dem Rückgang steckt aber kein medizinisches Wunder – sondern offenbar die Angst, sich im Krankenhaus oder der Arztpraxis mit Sars-CoV-2 anzustecken.

Für Deutschland liegen bisher keine vergleichbaren Zahlen vor. Aber auch hier fürchten Experten wie Walger ähnliche Entwicklungen.

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