S 15 KR 4333/18

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
SG München (FSB)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 15 KR 4333/18
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
I. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 818,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.10.2016 zu zahlen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 818,11 EUR festgesetzt.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Vergütung einer vollstationären Krankenhausbehandlung.

Die bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte D. (nunmehr: Versicherte) wurde im Zeitraum vom 13.10.2012 bis zum 06.11.2012 vollstationär in der Klinik der Klägerin behandelt.

Unter Zugrundelegung der DRG A13A sowie des Zusatzentgeltes für die Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten (ATK) ZE84.02 in Höhe von 818,11 EUR liquidierte die Klägerin gegenüber der Beklagten den Behandlungsfall mit Rechnung aus dem Jahr 2012 (Ausdruck in Akte vom 08.04.2014).

Die Rechnung wurde von der Beklagten zunächst vorbehaltlos und vollständig ausgeglichen. Mit Schreiben vom 16.11.2012 wurde seitens der Beklagten die Verwendung von ATK beanstandet, nach dem Wirtschaftlichkeitsgebot hätten Poolpräparate (PTK) ausgereicht. Ein in Auftrag gegebenes Gutachten des MDK Bayern vom 07.02.2014, das im Rahmen der Einzelfallbegutachtung vor Ort am 15.01.2014 nach Einsicht in die Behandlungsakte erstellt wurde, führte zu keinen Beanstandungen, auch nicht der abgerechneten Zusatzentgelte.

Folglich wurde am 18.10.2018 seitens der Klägerin eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 EUR abgerechnet, welche auch beglichen wurde.

Am 27.10.2016 verrechnete die Beklagte die streitgegenständlichen 818,11 EUR wegen der Beanstandung der Gabe von ATK.

Die Klägerin ließ am 17.12.2018 Klage zum Sozialgericht München erheben. Die Gabe von ATK sei vom MDK nicht beanstandet worden. Bei der Versicherten habe es sich um eine Hochrisikopatientin gehandelt, die aus medizinischer Sicht einem zusätzlichen Risiko, wie es die Gabe von PTK darstellen würde, nicht habe ausgesetzt werden dürfen. Die Versicherte sei kurz vor der OP reanimiert worden, so dass die Situation deswegen besonders risikobehaftet gewesen sei. Daher hätten bei der Transfusion möglichst hochwertige Thrombozyten substituiert werden müssen.

Zudem sei die Frage der medizinischen Indikation eines bestimmten Präparates keine Frage der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Daher sei die Beklagte angehalten gewesen, innerhalb von sechs Wochen eine MDK-Prüfung einzuleiten. Dies sei unterblieben.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 818,11 EUR nebst Zinsen in Höhe von vier Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.10.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte habe einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, da die Klägerin sich nicht wirtschaftlich verhalten habe. Die Gabe von PTK sei medizinisch ausreichend gewesen. Die Rechnung vom 28.04.2011 sei nicht fällig geworden. Der MDK habe alleine Dokumentation und Abgabemenge, nicht aber die Indikation der Gabe von ATK geprüft. PTK seien bei in der Regel gleicher Eignung günstiger. Nur in begründeten medizinischen Ausnahmekonstellationen könne auf ATK zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung zurückgegriffen werden (Verweis auf BSG vom 10.03.2015, Az. B 1 KR 2/15). Im vorliegenden Fall seien keine Gründe in der Person der Versicherten erkenntlich, die die Gabe von ATK statt PTK rechtfertigen würden. Die Beklagte habe daher die Zusatzentgelte rechtsgrundlos bezahlt. Ein medizinischer Ursachenzusammenhang zwischen der Reanimation und der von der Klägerin vorgetragenen Notwendigkeit der Verwendung von ATK werde nicht gesehen. Selbst wenn aufgrund der Patientenakte diesbzgl. ein anderer Beweis geführt werden könnte, wäre die Klägerin aufgrund § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV mit diesem Vortrag präkludiert (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, L 11 KR 936/17).

Die Klägerin ließ erwidern, dass sich die behandelnden Ärzte bewusst für ATK entschieden hätten, da sich bei PTK das Präparat aus der Gabe mehrerer Spender zusammensetzen würde mit der Folge einer erhöhten Gefahr von im Präparat enthaltenen Krankheitserregern. Dieses Risiko sei bei einer gerade reanimierten Versicherten unbedingt zu vermeiden gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakte des hiesigen Verfahrens Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist auch begründet.

Ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch der Beklagten besteht nicht (hierzu unter 1.). Jedenfalls ist die Beklagte nach Treu und Glauben gehindert, einen solchen geltend zu machen (hierzu unter 2.).

1. Zu Recht ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass der Klägerin aufgrund stationärer Behandlungen anderer Versicherter der Beklagten zunächst Anspruch auf die abgerechnete Vergütung in Höhe von 818,11 EUR zustand; eine nähere Prüfung der erkennenden Kammer erübrigt sich insoweit (vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens BSG SozR 4-2500 § 129 Nr 7 Rn. 10).

Der anderweitige Vergütungsanspruch für Krankenhausbehandlung erlosch nicht dadurch, dass die Beklagte mit ihrem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch wegen Überzahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung der Versicherten analog § 387 BGB die Aufrechnung erklärte.

Die Beklagte konnte keine Erstattung in Höhe von 818,11 EUR beanspruchen, weil die von ihr bezahlten Rechnungen über die Behandlung der Versicherten um diesen Betrag überhöht waren.

Die Klägerin erfüllte die Grundvoraussetzungen eines Anspruchs auf Krankenhausvergütung, indem sie die Versicherte vom 13.10.2012 bis zum 06.11.2012 stationär behandelte. Die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und iS. von § 39 Abs. 1 S 2 SGB V erforderlich ist.

Zu Recht sind die Beteiligten darüber einig, dass der Anspruch auf die höhere Vergütung voraussetzt, dass das Zusatzentgelt ZE84.02 - ATK abzurechnen war. Die Abrechnung des Zusatzentgelts setzte nicht nur voraus, dass die Klägerin der Versicherten tatsächlich ATK verabreichte, sondern dass diese Behandlung auch dem Wirtschaftlichkeitsgebot genügte, weil sie erforderlich war. Etwaige in der Literatur formulierten Bedenken gegen die Rechtsfigur des "fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens" teilt das Gericht nicht.

Vorliegend greift das Prüfregime der Auffälligkeitsprüfung und nicht das der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung.

Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, eine gutachtliche Stellungnahme des MDK einzuholen, § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V. Bei Vorliegen der Prüfvoraussetzungen und falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale in Höhe von 300 Euro zu entrichten, sofern ein erhöhter Aufwand seitens des Krankenhauses vorliegt und das Prüfverfahren nicht aufgrund fehlerhafter Datenübermittlung seitens des Krankenhauses veranlasst worden ist. Demgemäß unterscheidet § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V zwischen zwei Prüfarten, nämlich zwischen der leistungsbezogenen Prüfung ("bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung") sowie der rechnungsbezogenen Prüfung ("bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung"). Der erste Senat des BSG hat zur sogenannten Auffälligkeitsprüfung ausgeführt, dass jenseits einer rein medizinischen Überprüfung im engeren Sinne (hiermit wird wohl auf § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 SGB V Bezug genommen) auch auffällige Kodierungen zur Prüfung der Ordnungsgemäßheit einer Abrechnung als Prüfanlass im Rahmen des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V herangezogen werden können (vgl. BSG, B 1 KR 1/10 R, Urteil vom 22.06.2010 Rn. 15, juris: "Die vorstehend beschriebenen Voraussetzungen [von § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V; Anmerkung der erkennenden Kammer] sind hier erfüllt: Bei der beklagten KK waren mit Rücksicht auf eine vom Krankenhaus vorgenommene auffällige Kodierung des Behandlungsfalls der Versicherten berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Krankenhausabrechnung aufgekommen." Hervorhebung durch das Gericht). Noch mit Urteil vom 17.12.2013 hatte der erste Senat des BSG (Aktenzeichen B 1 KR/12 R) in Übereinstimmung mit dem dritten Senat und im Einklang mit der einhelligen Rechtsprechung aller Instanzgerichte zur Rechnungsprüfung im Krankenhausbereich ausgeführt, dass Auffälligkeiten bestehen, wenn die Abrechnung und/oder die vom Krankenhaus vollständig mitgeteilten Behandlungsdaten und/oder weitere zulässig von der Krankenkasse verwertbare Informationen Fragen nach der insbesondere sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung und/oder nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots aufwerfen. Eine Differenzierung in eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung mit eigenem Prüfregime sowie der Auffälligkeitsprüfung nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V erfolgte mithin nicht.

Dies änderte sich erst mit den Urteilen vom 01.07.2014 (B1 KR 48/12, B 1 KR 1/13 sowie B 1 KR 29/13 R) mit der Maßgabe, dass nunmehr zwischen einem sachlich-rechnerischen Prüfregime und einem Prüfregime nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 SGB V zu unterscheiden wäre, wobei bislang (nach wie vor) keine Senatsrechtsprechung vorliegt, anhand welcher Kriterien diese Prüfregimes nun eindeutig voneinander zu unterscheiden wären. Der erste Senat legte in seinen ersten Urteilen die Ermächtigungsgrundlage für die Beauftragung des MDK im Rahmen der "sachlich-rechnerischen Prüfung" nicht dar. Der Verweis auf § 301 SGB V (Urteil vom 23.06.2015, B 1 KR 13/14 R, Rn. 23-25) erscheint als gesetzliche Ermächtigungsrundlage für die hier vorliegende Eingriffsverwaltung (die Aktenherausgabe an den MDK erfolgt aufgrund einer hoheitlichen Anordnung der Beklagten außerhalb des sonstigen Gleichordnungsverhältnisses) jedenfalls nicht als ausreichend. Diese Vorschrift regelt lediglich aus Gründen des Datenschutzes verbindlich, welche Daten und Unterlagen die Krankenhäuser an die Krankenkassen zu übermitteln haben. Demzufolge blieb es nach der o.g. Rechtsprechung des BSG unklar, auf welcher gesetzlichen Grundlage die Krankenkassen die sachlich-rechnerischen Prüfungen außerhalb des Prüfregimes von § 275 Abs. 1 SGB V vornehmen dürfen und aufgrund welcher gesetzlichen Anordnung die Krankenhäuser sensible Patientendaten jenseits des § 276 Abs. 2 S. 2 SGB V an den MDK übermitteln müssen. In der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 23.05.2017, Aktenzeichen B 1 KR 28/16 R, juris, Rn. 16 ff.) verweist es auf § 69 Abs. 1 S 3 SGB V in Verbindung mit den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Rechnungslegung in Einklang mit der historischen Gesetzesentwicklung. Diese Rechtsprechung wurde vom Bundesverfassungsgericht als zwar nicht naheliegende, aber die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung wahrende Auslegung der Gesetzesmaterialien akzeptiert. Das Bundesverfassungsrecht beanstandete weder die vom BSG nunmehr vertretene Rechtsgrundlage (vergleiche BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 - 1 BvR 318/17 -, Rn. 39 ff., juris) noch - unter Verweis auf das Vertragsarztrecht (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 - 1 BvR 318/17 -, Rn. 38, juris) - die Einführung des Topos der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung. Betroffen seien schlichte Zahlungsansprüche zwischen juristischen Personen ohne Verknüpfung mit verfassungsrechtlich geschützten Rechtspositionen. Es gehe nur um die Reichweite eines Steuerungsinstruments, das der Gesetzgeber zwischen beiderseits auf öffentliche Finanzmittel angewiesenen professionellen Akteuren des Gesundheitswesens einsetzt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 - 1 BvR 318/17 -, Rn. 52, juris).

Eine trennscharfe Abgrenzung der Institute der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung und der Auffälligkeitsprüfung vermag nach Überzeugung der Kammer auch die nachfolgende Rechtsprechung des BSG nicht zu liefern. Das BSG führt nunmehr aus, dass die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung die Erfüllung der gesetzlichen und untergesetzlichen Informations- und Abrechnungs-Vorgaben für das Krankenhaus durch zutreffende tatsächliche Angaben und rechtmäßige Abrechnung auf dieser Grundlage betreffen würde (BSG, Urteil vom 23. Mai 2017 - B 1 KR 28/16 R -, Rn. 17, juris). Faktische Überschneidungen zwischen beiden Prüfregimen könnten sich daraus ergeben, dass sachlich-rechnerische Unrichtigkeit "Auffälligkeiten" im Rechtssinne bewirken kann. Sie führten indes nicht dazu, den Rechtsbereich des Prüfregimes der sachlich-rechnerischen Richtigkeit zu beschränken. Dies hätte eine vom Regelungszweck nicht gedeckte beweisrechtliche Privilegierung von in tatsächlicher Hinsicht irreführenden Abrechnungen durch das Eingreifen der Sechs-Wochen-Frist (§ 275 Abs 1c S 2 SGB V) zur Folge, die der Rechtsordnung jedenfalls bis zum Ablauf des 31.12.2015 fremd sei (BSG, Urteil vom 23. Mai 2017 - B 1 KR 28/16 R -, Rn. 32, juris, Hervorhebungen durch die erkennende Kammer).

Demzufolge geht die Kammer davon aus, dass das Institut der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung grundsätzlich bei Kodierungsfragen im weitesten Sinne und eine Auffälligkeitsprüfung bei Fragen der Fehlbelegung (primäre und sekundäre Fehlbelegung) vorliegen. In diese Richtung weist auch das Bundesverfassungsgericht, wenn es ausführt, dass das Bundessozialgericht die Auffälligkeitsprüfung mit Fragen identifiziert, die sich mit Blick auf die Notwendigkeit der stationären Behandlung dem Grunde und dem Umfang nach ergeben. Bestünden diesbezüglich Zweifel, mache dies vor dem Hintergrund des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 Abs. 1 SGB V) die Prüfung erforderlich, ob die stationäre Behandlung (in diesem Umfang) als gerechtfertigt angesehen werden kann und es sich also um die Abrechnung einer als solchen rechtmäßigen Leistung handelt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 - 1 BvR 318/17 -, Rn. 37, juris). Das Bundessozialgericht beziehe das Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit auf die Frage der Fehlerfreiheit der Abrechnung einer als solcher dem Grunde und dem Umfang nach rechtmäßigen stationären Krankenbehandlung: Im Rahmen des DRG-Systems betreffe dies insbesondere die Korrektheit der Kodierung (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. November 2018 - 1 BvR 318/17 -, Rn. 38, juris; Unterstreichung durch die erkennende Kammer). Ungeklärt bleibt hierbei aber weiter, welches Institut zur Anwendung kommt, wenn als Vorfrage der richtigen Kodierung gerade die Notwendigkeit der stationären Behandlung dem Grunde und dem Umfang nach im Streit steht. Die Kammer geht davon aus, dass insoweit - wenn auch Wirtschaftlichkeitsfragen neben reinen Kodierungsfragen betroffen sind - beide Institute selbständig nebeneinander stehen, d.h. zugleich eine Auffälligkeitsprüfung und eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit vorliegen kann.

Zur Abgrenzung der beiden Institute urteilte das Bundessozialgericht weiter, dass sich die Unterscheidung der Institute nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V) bestimmen würde. Das BSG führte hierzu aus: "Die Beklagte wandte sich mit einer Frage nach der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung an den MDK, nämlich nach der richtigen Kodierung von Nebendiagnosen. Ob eine KK einen Prüfauftrag mit dem Ziel der Abrechnungsminderung iS des § 275 Abs 1c S 3 SGB V oder der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung erteilt, bestimmt sich nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V, hier anzuwenden idF durch Art 1 Nr 1e Buchst a Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG) vom 15.12.2008, BGBl I 2426, mWv 18.12.2008; vgl dazu BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 29 RdNr 18). Der nach der Rspr des erkennenden Senats (vgl BSG Urteil vom 25.10.2016 - B 1 KR 22/16 R - Juris RdNr 37, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 15 RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 275 Nr 29 RdNr 19) für die Auslegung des Auftrags maßgebliche wirkliche Wille (§ 69 Abs 1 S 3 SGB V iVm § 133 BGB) lässt sich den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Feststellungen zum Prüfauftrag - auch aus dem relevanten Empfängerhorizont zunächst des MDK - unschwer entnehmen: Der Beklagten ging es - im Sinne einer Teilprüfung der Abrechnung - allein um die Klärung, ob die Klägerin bestimmte Nebendiagnosen zutreffend kodiert hatte. Der MDK teilte dies auch der Klägerin mit. Hieran ändert sich auch dadurch nichts, wenn, wie von der Klägerin vorgetragen, der MDK in seiner Prüfanzeige auf § 275 Abs 1c SGB V Bezug genommen hat (BSG, Urteil vom 28. März 2017 - B 1 KR 23/16 R -, Rn. 36, juris) [Hervorhebung durch die erkennende Kammer].

Danach lässt sich der für die Auslegung des Auftrags maßgebliche wirkliche Wille dem Prüfauftrag (nach dem insoweit zunächst relevanten Empfängerhorizont des MDK als Erklärungsadressaten) als auch der Prüfanzeige des MDK (nach dem insoweit alleine relevanten Empfängerhorizont des Krankenhauses als einzige Erklärungsadressatin) entnehmen (ebenso SG München, Gerichtsbescheid vom 09.01.2018, S 44 KR 1423/17, S. 7). Für den Fall, dass der so ermittelte Wille der Krankenkasse nach dem zunächst maßgeblichen Empfängerhorizont des MDK (zum Beispiel infolge von Formulierungsfehlern des MDK bei der Prüfanzeige) nicht mit dem aus objektiver Empfängersicht des Krankenhauses ermittelten Wille der Krankenkasse übereinstimmt, ist darauf abzustellen, wie der Erklärungsempfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste. Bei der Auslegung dürfen nur solche Umstände berücksichtigt werden, die bei Zugang der Erklärung dem Empfänger bekannt oder für ihn erkennbar waren. Für die Auslegung des Prüfauftrags ist daher zuletzt allein auf den maßgeblichen Empfängerhorizont des Krankenhauses abzustellen. Etwaige Übermittlungs- und Formulierungsfehler des MDK müssen sich insoweit zulasten der Krankenkasse auswirken, da alleine diese sich zur Abrechnungsprüfung des MDK bedient und alleine in der Lage wäre, die Richtigkeit und Vollständigkeit der vom MDK an das Krankenhaus versandten Prüfanzeige zu überprüfen (vgl. SG München, a.a.O.).

Die nähere Prüfung des objektiven Empfängerhorizonts wurde vorliegend von der Beklagten vereitelt, da diese trotz Verfügung vom 23.12.2019 und Mahnung vom 05.02.2020 weder die Prüfanzeige noch den Prüfauftrag vorlegte. Da die Behauptung, dass eine sachlich-rechnerische Richtigkeitsprüfung vorliegen würde, zugunsten der Beklagten sprechen würde, ist diese objektiv beweisbelastet.

Das Gericht geht daher von einer Auffälligkeitsprüfung aus. Hierfür spricht weiterhin der Gesichtspunkt, dass die medizinische Frage nach der Möglichkeit der Gabe von Poolpräparaten bzw. der Erforderlichkeit der Gabe von ATK eine Frage mit Blick auf die Notwendigkeit der stationären Behandlung dem Grunde und dem Umfang nach ist. Denn Gegenstand der Prüfung ist gerade der wirtschaftliche Umfang der Behandlung.

Vorliegend hat die Beklagte im Jahre 2014 daher eine Auffälligkeitsprüfung veranlasst, wobei hier pflichtgemäß zu prüfen war, ob die Art der Erkrankung die Behandlung mit ATK notwendig machte. Infolge dieser Prüfung führte der MDK mit Gutachten vom 07.02.2014 aus, dass die Zusatzentgelte und damit auch das strittige ZE zu bestätigen seien. Mitnichten hat der MDK mit dieser Prüfungsaussage nur bestätigt, dass ATK mengenmäßig richtig dokumentiert verabreicht wurde (d.h. dass die Klägerin keinen Abrechnungsbetrug begangen hat), sondern vielmehr im Rahmen seines Prüfauftrags, ob die Prozeduren korrekt sind, diese Frage eindeutig bejaht. Dies bedeutet, dass der MDK die Feststellung im Rahmen des Prüfauftrags nach § 275 Abs. 1 Nr. 1SGB V getroffen hat, dass Art und Umfang der Leistung - vorliegend die Gabe von ATK - wirtschaftlich war.

§ 275 Abs. 1c SGB V sperrt nur die Einholung eines neuen Gutachtens. Die Klägerin ist als Krankenhausträgerin nach Ablauf der Sechswochenfrist nicht mehr verpflichtet, die Patientenunterlagen zur Verfügung zu stellen. Demgemäß ist es der Beklagten grundsätzlich nicht verwehrt, innerhalb der Vierjahresfrist der Verjährung eine Fehlabrechnung geltend zu machen, wenn die Beklagte hierfür neue Beweismittel erlangt (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 19. April 2016 - B 1 KR 33/15 R -, juris Rn. 21).

Allerdings ist die Erforderlichkeit der Gabe von ATK statt des Poolpräparats eine medizinische Einzelfallentscheidung des Krankenhauses, die nicht abstrakt widerlegt werden kann. Das BSG führt hierzu aus (BSG, Urteil vom 10. März 2015 - B 1 KR 2/15 R -, juris Rn. 24): " Ausreichend bei gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlung war nach den den erkennenden Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) der Einsatz von Poolpräparaten. Apherese-Thrombozytenkonzentrate sind danach nur dann medizinisch notwendig, wenn bestimmte Besonderheiten in der Person des Patienten vorliegen wie eine Autoimmunisierung gegen HLA Klasse I Antigene und HPA-Antigene sowie bei Refraktärität gegenüber Thrombozytentransfusionen, dh zweimalig ausbleibender Thrombozytenanstieg auf AB0 kompatible Thrombozytenkonzentrate nach Ausschluss nicht immunologischer Ursachen wie Fieber, Sepsis, Splenomegalie, Verbrauchskoagulopathie, chronischem Lebervenenverschluss. (Hervorhebung durch die erkennende Kammer)."

Auch die gesetzlichen Krankenkassen gehen davon aus, dass es Anwendungsfälle gibt, in denen die Gabe von ATK erforderlich ist und die Poolpräparate nicht die gleiche medizinische Wirkung haben. Im Hinblick auf diese Einzelfrage verweist das BSG auf die bindenden Feststellungen des LSG, wonach im dort entschiedenen Einzelfall bestimmte Besonderheiten in der Person des Patienten die Gabe von ATK nicht notwendig machten.

Die - nach der objektiven Beweislast beweisbelastete - Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass solche, auf der konkreten gesundheitlichen Situation beruhenden Besonderheiten bei der Versicherten nicht bestanden. Ihr eigenes MDK-Gutachten, das die Gabe von ATK billigte, steht dieser Behauptung entgegen.

Die Frage, ob auf der konkreten gesundheitlichen Situation beruhende Besonderheiten bei der Versicherten, die die Gabe von ATK rechtfertigen, nicht bestanden, darf von der erkennenden Kammer nach Ablauf der Frist von § 275 Abs. 1c S. 2 SGB V nicht mehr ermittelt werden. Das gilt auch für solche rechtserheblichen Mängel des Prüfverfahrens nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, die der Sphäre des MDK zuzurechnen sind (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 - B 3 KR 14/11 R -, Rn. 28 f. im Hinblick auf eine verspätete Einschaltung des MDK). Sofern der MDK somit im Gutachten vom 07.02.2014 tatsächlich nur - wie von der Beklagten vorgetragen - die Gabe von ATK bestätigt und nicht - entgegen des Prüfauftrags, ob die abgerechneten Zusatzentgelte korrekt (und damit auch wirtschaftlich) sind - auch diese Frage beantwortet haben sollte, wäre dies jedenfalls der Sphäre des MDK zuzurechnen mit der oben beschriebenen Rechtsfolge.

Nicht berufen kann sich die Beklagte hingegen auf eine materielle Ausschlussfrist gem. § 7 Abs. 2 S. 4 PrüfvV (eine materielle Ausschlusswirkung bejahend: BSG, Urteil vom 19. November 2019 - B 1 KR 33/18 R -, Rn. 16, juris). Dieser besagt in der 2012 geltenden Fassung:

"1Die Prüfung vor Ort richtet sich nach den Vorgaben des § 276 Absatz 4 SGB V. 2Bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren kann der MDK die Übersendung einer Kopie der Unterlagen verlangen, die er zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt. 3Das Krankenhaus hat die Unterlagen innerhalb von 4 Wochen nach Zugang der Unterlagenanforderung an den MDK zu übermitteln. 4Erfolgt dies nicht, hat das Krankenhaus einen Anspruch nur auf den unstrittigen Rechnungsbetrag." (Hervorhebung durch Kammer)

Denn es liegt bereits keine Prüfung im schriftlichen Verfahren vor, für den alleine Abs. 2 S. 4 Anwendung findet. Die Prüfung, die Grundlage des MDK-Gutachtens vom 07.02.2014 war, erfolgte vielmehr im Rahmen der Einzelfallbegutachtung vor Ort. Der Prüfer konnte mithin alle Unterlagen einsehen.

2. Der Anspruch der Beklagten ist jedenfalls verwirkt.

Das Rechtsinstitut der Verwirkung passt als ergänzende Regelung innerhalb der kurzen vierjährigen Verjährungsfrist zwar grundsätzlich nicht. Es findet aber in besonderen, engen Ausnahmekonstellationen Anwendung (vgl BSG Urteil vom 12.11.2013 - B 1 KR 56/12 R - RdNr 15). Ein solcher Fall liegt hier vor. Die Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt. Sie setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (BSG, Urteil vom 01. Juli 2014 - B 1 KR 48/12 R -, BSGE 116, 130-138, SozR 4-2500 § 276 Nr 6, Rn. 22 mwN.).

Das Zeitmoment ist gegeben. Die Verrechnung erfolgte am 27.10.2016 und damit ca. zwei Monate vor Ablauf der vierjährigen Verjährungsfrist. Damit hat die Beklagte ihr Recht über einen längeren Zeitraum nicht geltend gemacht. Es liegen auch verwirkungsauslösende besondere Umstände vor. Denn der MDK hat aufgrund der Beauftragung durch die Beklagte im Rahmen einer Einzelfallprüfung am 07.02.2014 positiv festgestellt, dass die Rechnung, und hierbei insbesondere die Gabe von ATK, nicht zu beanstanden sei. Diese Einschätzung ist die Beklagte offenkundig gefolgt, da sie auch die Aufwandspauschale in Höhe von 300 EUR wegen einer erfolglosen MDK-Überprüfung beglich. Hierin ist nicht nur ein bloßes Unterlassen oder Nichtstun zu erblicken, sondern eine aktive Anerkennung der von der Klägerin geltend gemachten Forderung, auch und gerade im Hinblick auf die Gabe von ATK. Durch dieses Verhalten der Beklagten wurde eine Vertrauensgrundlage geschaffen, auf die sich die Klägerin verließ und auf die sie sich verlassen durfte. Der Klägerin würde durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen.

Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. der gültigen Pflegesatzvereinbarung.

Nach allem war die Klage erfolgreich. Der Zinsanspruch beruht auf der geltenden Budget- und Entgeltvereinbarung der Beteiligten. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG in Verbindung mit § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 1 und 3 GKG. Danach ist in Verfahren, in dem der Kläger nicht zum kostenprivilegierten Personenkreis des § 183 SGG gehört gemäß § 197 a SGG das Gerichtskostengesetz anzuwenden. Nach § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG wird der Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss festgesetzt, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht.

Für die Höhe der Streitwertfestsetzung ist § 52 Abs. 1 bis 3 GKG maßgebend. Danach ist der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). Das wirtschaftliche Interesse der mit dem Rechtsstreit verfolgten Aufhebung der Bescheide entspricht dem Betrag von 818,11 EUR.
Rechtskraft
Aus
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