Wirtschaft

Ökonom fordert weniger Kliniken "Es gibt kein objektives Maß für Bettenzahl"

Die deutsche Mischung aus Planung, Regulierung und Wettbewerb funktioniert im internationalen Vergleich ganz gut, findet Martin Albrecht.

Die deutsche Mischung aus Planung, Regulierung und Wettbewerb funktioniert im internationalen Vergleich ganz gut, findet Martin Albrecht.

(Foto: picture alliance / Andreas Arnol)

Gesundheitsökonom Martin Albrecht hat im vergangenen Jahr im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung in einer Studie die Schließung vieler kleiner Krankhäuser vorgeschlagen. In der Corona-Krise wird seine Arbeit jetzt oft mit Häme zitiert - und völlig falsch dargestellt, sagt der Leiter des Bereichs Gesundheit des Beratungsinsituts IGES im ntv.de-Interview.

ntv.de: Die Ergebnisse Ihrer Arbeit für die Bertelsmann-Stiftung im vergangenen Jahr zu einer Reform des Krankenaussektors werden derzeit viel zitiert. Meist mit einem hämischen Hinweis, dass wir in der Corona-Krise froh sein könnten, dass die Vorschläge zur Schließung von Kliniken nicht umgesetzt wurden. Sonst hätten wir vielleicht Zustände wie Italien oder Frankreich gehabt. Überrascht oder verärgert Sie das?

Martin Albrecht

Martin Albrecht

(Foto: IGES)

Martin Albrecht: Diese Kommentare beruhen auf einer extremen Verkürzung unserer Ergebnisse. Zunächst einmal zur Einordnung: Wir haben uns für die Studie exemplarisch die Region um Köln angeschaut. Dort haben wir festgestellt, dass bei Gewährleistung gleicher Erreichbarkeit für die Patienten ein Teil der kleineren Krankhäuser geschlossen und stattdessen die größeren Kliniken gestärkt werden könnten. Eine solche Konzentration auf weniger und größere Standorte bedeutet aber nicht, dass Bettenzahl und Behandlungskapazität in der Region in demselben Ausmaß abnehmen wie die Standortzahl. Und wir haben darauf hingewiesen, dass Veränderungen der Kliniklandschaft immer unter Einbeziehung der regionalen Gegebenheiten erfolgen müssen.

Angesichts der Corona-Krise wird oft betont, wie dankbar wir für die hohen Kapazitäten der deutschen Krankenhäuser sein könnten. Halten Sie Ihre Reformvorschläge nach wie vor für richtig?

Ja. Die Zahl der Betten und Intensivbetten eventuell mit Beatmungsmöglichkeiten allein sagt ja noch nicht alles aus. Wichtig ist auch, über ausreichend erfahrene Ärzte und Pflegekräfte zu verfügen. Und genau da setzt unser Reformvorschlag an. Durch eine Konzentration vor allem schwerer Fälle auf weniger Standorte könnte dort eine bessere Personalausstattung gewährleistet werden. Durch höhere Fallzahlen und entsprechend größere Erfahrung würde dort außerdem die Qualität verbessert. Das gilt in normalen Zeiten, aber auch in der Corona-Krise. Auch bei Covid-19 könnten Behandlungsergebnisse durch eine Konzentration der schweren Fälle in entsprechenden Fachzentren wahrscheinlich verbessert werden.

Welche Reformen würden noch helfen?

Wir haben vorgeschlagen, in den Krankenhäusern die Behandlung leichter Fälle, die auch ambulant erfolgen könnten, zu reduzieren. Wobei klar ist, dass dies einige Zeit erfordern wird. Derzeit werden relativ viele ambulant behandelbare Fälle in teuren Klinikstrukturen versorgt. Dies nimmt Ressourcen in Anspruch, die anderweitig verwendet werden könnten, beispielsweise auch für Pandemievorsorge. Zudem wäre eine Stärkung der ambulanten Versorgung etwa in Pflegeheimen ein wichtiger Schritt, um Krankenhauseinweisungen zu verhindern. Denken wir an die vielen Fälle zum Beispiel von Pflegebedürftigen aus Heimen, die etwa wegen Dehydrierung in Kliniken gebracht werden. Eine Verbesserung der Pflege in den Heimen kann die Krankenhäuser entlasten und den Patienten helfen.

Leiden Deutschlands Krankenhäuser allgemein unter Überkapazitäten? In normalen Zeiten gelten viele Kliniken als schlecht ausgelastet und machen Verluste.

Im Vergleich zu anderen Ländern haben Deutschlands Krankenhäuser viele Betten und es wird vergleichsweise viel operiert. Aber dafür gibt es kein objektives Maß. Jedes Land muss entscheiden: Welche Kapazitäten, welche Versorgung kann und will es sich leisten? Ich halte es allerdings für falsch, aus der Pandemie den Schluss zu ziehen, möglichst viele Krankenhäuser mit möglichst vielen Betten zu betreiben, um für Krisen gerüstet zu sein. Da sollte man eher darüber reden, Reservebetten bereitzuhalten, die im Notfall schnell in Betrieb genommen werden könnten.

Oft ist derzeit davon die Rede, wie das Gesundheitssystem unter der "Ökonomisierung" leide. Können Sie solche Kritik verstehen?

Viele denken beim Wort Ökonomie offenbar nur an Profite um jeden Preis und ungezügelten Wettbewerb. Aber das haben wir bei den deutschen Krankenhäusern ja überhaupt nicht. Das ist ein hoch reguliertes System mit festgesetzten Preisen und auch mit Wettbewerbselementen. Für das deutsche Gesundheitssystem insgesamt finde ich, dass dieser Mix aus Planung, Regulierung und Wettbewerb im internationalen Vergleich ganz gut funktioniert. Es ist gelungen, für alle einen Zugang zu einer guten Versorgung zu gewährleisten, ohne dass die Kosten durch die Decke gegangen sind. Das ist die eigentliche Bedeutung von Ökonomie: Ressourcen sparsam und effizient einsetzen. Natürlich müssen die Regeln dieses Systems ständig überprüft und, wenn notwendig, angepasst werden.

Mit Martin Albrecht sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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