Mehrere hundert Millionen Franken Schaden, und keiner zahlt – Zürcher Spitäler fordern Entschädigung vom Kanton

Pandemie-Massnahmen und Operationsausfälle kommen die Spitäler teuer zu stehen. Wer die Kosten übernehmen soll, ist im Kanton Zürich noch unklar. Graubünden und Bern sind da schon weiter.

Jan Hudec
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Wie das Kantonsspital Winterthur haben diverse Spitäler einen Teil ihrer Covid-Stationen wieder zurückgebaut. Von der Normalität sind sie trotzdem noch weit entfernt.

Wie das Kantonsspital Winterthur haben diverse Spitäler einen Teil ihrer Covid-Stationen wieder zurückgebaut. Von der Normalität sind sie trotzdem noch weit entfernt.

Annick Ramp / NZZ

Die Harmonie war beinahe verstörend. Als die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli im März mit mehreren Spitaldirektoren vor die Medien trat, lobten sich beide Seiten überschwänglich für die gute Zusammenarbeit. Selbst hinter vorgehaltener Hand äusserte in den letzten Wochen kaum jemand Kritik.

Doch allmählich beginnt der Lack zu bröckeln. Kein Wunder, es geht ums Geld. Die Vorbereitungen auf die Krise und vor allem die wegen des Operationsverbots entgangenen Eingriffe haben gewaltige Löcher in die Kassen der Spitäler gerissen. In einer groben Schätzung geht der Verband der Zürcher Krankenhäuser davon aus, dass die Zürcher Spitäler bis Ende Jahr Verluste von bis zu 500 Millionen Franken einfahren werden. Selbst wenn die Zahlen des Verbandes vielleicht hoch gegriffen sein mögen, zeigen sie die Dimension des Problems.

Umso erstaunlicher ist, dass bisher nicht klar ist, wer für den Schaden aufkommt. Während Sport, Kultur oder Airlines staatlich unterstützt werden, fehlt gerade in jener Branche, der die Bevölkerung vom Balkon aus applaudiert hat, ein Finanzierungskonzept. Die Spitäler fordern deshalb nun Taten vom Kanton, zumal die Krise für sie ja längst nicht überstanden ist.

Langfristige Einbussen

Das Kantonsspital Winterthur (KSW) hatte seit Mitte März jede Woche einen Ertragsausfall von rund 5 Millionen Franken zu verzeichnen. Seit dem 27. April können die Spitäler zwar auch wieder Operationen durchführen, die nicht dringend sind. Von der Normalität sind sie trotzdem noch weit weg, denn nach wie vor müssen Covid-Patienten in abgetrennten Stationen betreut werden.

Damit fehlen aber Kapazitäten für den übrigen Betrieb, wie Hansjörg Lehmann, Finanzdirektor des KSW, sagt. «Wir waren schon vor Covid ziemlich an den Kapazitätsgrenzen und sehr effizient aufgestellt. Kurzfristig können wir jetzt mit Überzeiten schon etwas mehr leisten, aber längerfristig geht das nicht.» Sprich: Der Normalbetrieb wird vorläufig wohl nicht mehr auf das Niveau von vor der Krise zurückkehren. Das Spital rechnet deshalb auch mit längerfristigen Ertragsausfällen. Zudem sei auch die Vergütung für die Covid-Fälle derzeit nicht kostendeckend. Am KSW wünscht man sich deshalb klare Signale vom Kanton: «Wir brauchen längerfristig Planungssicherheit», sagt Lehmann.

Noch deutlicher wird der Bülacher Spitaldirektor Rolf Gilgen: «Wir haben für die Öffentlichkeit eine grosse Leistung erbracht, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, und diese sollte jetzt auch entschädigt werden.» Die Situation sei nicht harmlos für die Spitäler, vom Kanton wünsche er sich etwas mehr Drive in dieser Frage. Zwar liefen die Verhandlungen, «aber sie können ja auch nicht einfach Schutzmasken bestellen und dem Lieferanten im Nachhinein sagen, dass sie noch diskutieren müssen, wie und in welchem Umfang sie die Ware bezahlen wollen».

Noch habe die Gesundheitsdirektion den Spitälern jedenfalls nicht kommuniziert, wie diese entschädigt werden sollen. Es sei alles sehr unverbindlich. Selbstverständlich könne man die Ertragsausfälle jetzt noch nicht genau beziffern, das werde erst im kommenden Jahr möglich sein. «Aber es ist nötig, dass wir dieses Jahr schon etwas bekommen.» Andernfalls würden die Spitäler das Jahr mit enormen Defiziten abschliessen. «Das können wir nicht einfach so hinnehmen, wir müssen ja derzeit auch noch ein Bauprojekt stemmen.» Irgendwann werde die Liquidität zum Problem.

Gilgen plädiert für eine unkomplizierte Lösung und verweist auf die Kantone Bern und Graubünden, wo bereits entsprechende Pläne ausgearbeitet wurden. «Wenn andere Kantone in der Lage sind, eine Lösung zu finden, dann sollte dies in Zürich auch möglich sein», meint Gilgen.

Das Bündner Modell

Der Kanton Graubünden hat Mitte April eine Verordnung erlassen, mit der er detailliert regelt, wie die Spitäler entschädigt werden. Vereinfacht gesagt vergleicht der Kanton bei den Spitälern die Zahlen des laufenden Jahres mit jenen des Vorjahres und berechnet so die Ertragsausfälle. Dabei werden aber zum Beispiel Ausfälle bei Privatversicherten nicht berücksichtigt, und die Beiträge werden so berechnet, dass sie nicht zu einer Überfinanzierung der Spitäler führen sollen, wie es in der Verordnung heisst.

Die erste Tranche an die Spitäler soll bereits Mitte Mai ausbezahlt werden. Die Zahlungen erfolgen provisorisch, die definitive Höhe soll dann Ende 2021 festgelegt werden.

Dass andere Kantone vorgeprescht sind, hat unterdessen auch die Politik auf den Plan gerufen. Der Zürcher SVP-Kantonsrat Claudio Schmid hat eine Anfrage an den Regierungsrat eingereicht. Darin schreibt er, dass der Kanton die Pandemie bisher so gut gemeistert habe, liege auch daran, dass die Spitäler die staatlichen Vorgaben umgehend und «ohne kritische Fragen nach deren Finanzierung erbracht haben». Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass der Bund überhaupt keine Soforthilfe, Beiträge oder Entschädigungen vorgesehen habe.

Auch den Regierungsrat fragt er danach, mit welchen «nicht rückzahlbaren Leistungen» er plane, seine Verantwortung für die Sicherstellung der kantonalen Spitalversorgung wahrzunehmen. Graubünden sieht er hierbei durchaus als Vorbild, wie er auf Anfrage sagt, «solche Massnahmen braucht es auch im Kanton Zürich». Der Kanton müsse nun rasch Lösungen finden und auch Druck machen auf Bund und Krankenkassen, damit diese sich an den Kosten beteiligten. «Bund und Kantone haben befohlen, nun müssen sie dafür geradestehen.»

Rickli: «Bund und Krankenkassen müssen sich beteiligen»

Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (svp.) zeigt durchaus Verständnis für die Forderungen der Spitäler, es gehe ja auch um beträchtliche Einnahmeausfälle. Man arbeite deshalb intensiv an einer Lösung und führe auch Gespräche mit allen Beteiligten. Zudem habe der Kanton auch schon Akontozahlungen für Listen- und Vertragsspitäler geleistet und zum Teil Schutzmaterial für nahezu alle Akteure des Zürcher Gesundheitswesens einschliesslich der Spitäler kostenlos geliefert. «Ich werde mich im Regierungsrat für eine faire Lösung einsetzen, alle Ausfälle wird der Kanton aber nicht übernehmen.»

Das Bündner Modell kommt für sie jedoch nicht infrage, «weil Bund und Krankenkassen sich nicht aus der Verantwortung stehlen dürfen». Es könne nicht allein in der Verantwortung der Zürcher Steuerzahler liegen, ein Operationsverbot zu finanzieren, das der Bund so verfügt habe. «Dass sich der Kanton angemessen beteiligen muss, ist für mich selbstverständlich, aber Bund, Kassen und auch die Spitäler werden ebenfalls ihren Teil leisten müssen.» Es brauche nun auch seitens Spitalverband Druck auf den Bund.

Wie das Entschädigungsmodell ausgestaltet werden soll, darüber müsse der Regierungsrat entscheiden. «Ich denke aber, dass wir sowohl im stationären Bereich als auch bei den Vorhalteleistungen, welche die Spitäler für die Pandemie treffen mussten, Unterstützung leisten werden.» Im ambulanten Bereich habe der Kanton hingegen keine Finanzierungsverpflichtung, «diesen Bereich kann er nun auch nicht plötzlich mit Steuergeldern finanzieren». Hier stünden die Krankenkassen und der Bund in der Verantwortung.

Im Spital Bülach hat man grundsätzlich zwar Verständnis dafür, dass der Kanton die Kosten nicht alleine stemmen will, aber Direktor Gilgen bereitet es trotzdem Sorge, «dass Bund, Kanton und Krankenkassen sich nun gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben». Der Staat habe die Anordnungen für die Spitäler erlassen, er müsse nun auch in die Vorleistung gehen. Danach könne man ja immer noch Diskussionen über die Beteiligung der Versicherungen führen. «Wenn man wartet, bis das geregelt ist, verstreichen Jahre. Dann ist es zu spät.»