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«Das heutige Gesundheitssystem provoziert Bereicherungen von Ärzten bis hin zu Betrug»

Verschiedene Chefärzte des Zürcher Unispitals gerieten in den letzten Wochen in die Schlagzeilen. Die Graubereiche zwischen Legalität und Illegalität würden von Ärzten bis an die Grenze ausgereizt, sagt eine Vertreterin von Ärzten und Pflegepersonal.

Michael Furger 2 min
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Martin Rücker ist der dritte Chefarzt des Zürcher Universitätsspitals, der in den letzten Wochen in die Schlagzeilen geriet. Die «NZZ am Sonntag» machte publik, wie er systematisch Patienten von seiner Klinik am Spital abzog, um seine Privatpraxis am Laufen zu halten. Die Kosten für die Praxis trug zum grossen Teil das Unispital, der Gewinn ging an Rücker.

Vor zwei Monaten berichtete die «NZZ am Sonntag» über die auffälligen Operationspläne von Daniel Fink, Chef der Gynäkologie. Gegen ihn laufen nun Untersuchungen des Spitals und diverser Krankenkassen. Er ist dauerhaft beurlaubt.

Am 20. Mai machte der «Tages-Anzeiger» publik, dass der Chefarzt der Herzchirurgie, Francesco Maisano, Operationsergebnisse geschönt, Komplikationen in wissenschaftlichen Publikationen unterschlagen und Interessenkonflikte nicht offengelegt hat. Er setzte Implantate einer Firma ein, an der er Aktienoptionen hielt, und verschwieg in einem Fachartikel, dass es zu Komplikationen kam und dass das Implantat keine Verbesserung brachte.

Die Fälle deuten auf ein Problem hin, das in Ärztekreisen schon länger schwelt: Kaderärzte, die das Gesundheitssystem dafür nutzen, um finanziell zu profitieren. Das stösst auch bei vielen Ärzten auf Kritik.

«Im heutigen System gibt es Graubereiche zwischen Legalität und Illegalität. Ein Teil der Ärzte nutzt diese Bereiche bis zur Belastungsgrenze aus», sagt Annina Hess-Cabalzar. Sie ist Präsidentin der Akademie Menschenmedizin, einer Organisation, zu der zahlreiche ehemalige und aktive Ärztinnen und Ärzte, Pflegefachfrauen, Juristen, Psychologen und Ökonomen gehören. Ihr Ziel: ein Systemwechsel im Gesundheitswesen.

Annina Hess-Cabalzar.

Annina Hess-Cabalzar.

Christoph Kaminski

«Wenn man Kommerz und Wettbewerb dem Gesundheitssystem zugrunde legt, produziert man falsche Anreize und provoziert Bereicherungen bis hin zum Betrug», sagt Hess-Cabalzar. Das ziehe auch all jene Ärztinnen und Ärzte in Misskredit, die fachlich und ethisch in hoher Qualität arbeiteten und das System nicht ausnützten.

Die Akademie Menschenmedizin fordert drei Massnahmen: Erstens versicherte Fixlöhne für alle Kaderärzte, so wie das bereits verschiedene Spitäler in der Schweiz eingeführt haben. Fixlöhne verhindern, dass Spitalärzte über privatärztliche Tätigkeiten Zusatzhonorare generieren können.

Zweitens soll eine unabhängige Ombudsstelle eingerichtet werden, bei der Patienten, aber auch Angestellte von Spitälern und Praxen medizinisches und strukturelles Fehlverhalten melden können.

Drittens müsse der Kanton Zürich über einen Wechsel in der Leitung des Zürcher Universitätsspitals diskutieren. «Ein Teil der nun öffentlich gewordenen Fälle ist nach unseren Informationen der Spitalleitung schon länger bekannt gewesen», sagt Annina Hess-Cabalzar. Die Frage sei, warum sie nicht früher etwas dagegen unternommen habe.

«Es ist Zeit, das Menschenbild zu überdenken, das einem Gesundheitswesen zugrunde liegen soll», sagt sie. Der Mensch und nicht die Verdienstmöglichkeiten von Kaderärzten und Institutionen müsse im Mittelpunkt stehen.

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