Gastkommentar

Nach der Corona-Krise: Wie weiter mit der Spitalfinanzierung?

Im Gesundheitswesen kann die Eindämmung des Kostenwachstums bei gleichzeitigem Erhalt einer qualitativ hochstehenden Versorgung nicht durch noch mehr finanziellen Druck auf die Spitäler erreicht werden.

Bernhard Pulver
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Die Spitäler bauen ihre Corona-Stationen zurück und bereiten sich darauf vor, wieder mehr Operationen durchzuführen.

Die Spitäler bauen ihre Corona-Stationen zurück und bereiten sich darauf vor, wieder mehr Operationen durchzuführen.

Alessandro Crinari / Keystone

Die Covid-19-Krise stellt unser Gesundheitswesen und insbesondere die Spitäler ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie zeigt uns, wie viel der Gesellschaft ein gutes und funktionierendes Gesundheitswesen wert ist und dass die Schweiz über ein solches verfügt; der Applaus der Bevölkerung für den Einsatz der Gesundheitsfachpersonen war deutlich. Diese Zeichen waren und sind wichtig und wurden wahrgenommen. Allein, die Frage stellt sich, wieso diese Wertschätzung in normalen Zeiten so wenig spürbar ist.

Aus unzähligen Gesprächen mit Gesundheitspersonal unterschiedlichster Fachrichtungen und Funktionen ziehe ich inzwischen eine eher pessimistische Bilanz. Das Risiko ist hoch, dass dem finanziellen Druck in den nächsten Jahren nur noch mit einer Abnahme bei der Qualität der Versorgung und der Patientensicherheit begegnet werden kann. Vor rund zehn Jahren haben die eidgenössischen Räte eine Revision des Bundesgesetzes über die Krankenversicherung (KVG) verabschiedet. Hauptziel der Revision war die Eindämmung des Kostenwachstums im stationären Spitalbereich (bei «Erhalt des Zugangs zu einer qualitativ hochstehenden Versorgung»).

Widersprüchliche Signale

Die Massnahmen beabsichtigten eine Intensivierung des Wettbewerbs zwischen Spitälern, vor allem durch wirtschaftliche Anreize. Seither prägt ein konstant wachsender Kostendruck den Alltag der Spitäler. Unlängst forderte die Bundespräsidentin in den Medien mehr Lohn für das Pflegepersonal. Gleichzeitig hat aber der Bundesrat Anfang dieses Jahres seine Pläne vorgestellt, wie der finanzielle Druck auf die Spitäler nochmals massiv erhöht werden soll. Die Politik sendet den Spitälern damit widersprüchliche Signale.

Das Anliegen der Kosteneindämmung ist sicher richtig. Und es war vor zehn Jahren auch berechtigt, mehr ökonomisches Denken in die Spitäler zu bringen. Der Grundansatz, die Finanzierung von Gesundheitsdienstleistungen könne wie ein beliebiges Industrieprodukt mit steigendem finanziellem Druck immer effizienter gestaltet werden, ist jedoch falsch. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Wenn ich im Spital Sätze wie «Dieser Patient liegt schon mehrere Wochen auf unserer Station und verursacht nun ein bedeutendes Defizit» höre, so stimmt mich das nachdenklich. Die Behandlung von Patientinnen und Patienten braucht Menschen. Menschen, die Kranke ernst nehmen, die Patientinnen und Patienten wahrnehmen und auf sie eingehen, ihnen auch einmal die Hand halten, Menschen, die im entscheidenden Moment auch ausserhalb einer 08/15-Arbeit zu menschlichen Höchstleistungen bereit sind.

Die Spitäler konnten dem finanziellen Druck in der Vergangenheit mit der Reduktion von Ineffizienzen begegnen. Die Arbeit des Gesundheitspersonals kann jedoch nicht beliebig effizienter gestaltet werden. Auch der Automatisierung sind in diesem «métier de l’humain» enge Grenzen gesetzt. In Zukunft wird daher eine Trendwende einsetzen: Der heutige Weg der Spitalfinanzierung zwingt die Spitäler zunehmend, mit Personalreduktionen und Umsatzsteigerungen zu reagieren, um ihre Finanzen im Gleichgewicht zu halten. Dies erhöht den ohnehin schon problematischen Druck auf das Personal. Dabei wünschen alle das Gegenteil: Der Ruf nach einer Verbesserung der Rahmenbedingungen für das Gesundheitsfachpersonal ist unüberhörbar, und er schützt auch Qualität und Patientensicherheit. Und zur Eindämmung des Kostenwachstums führt der eingeschlagene Weg auch nicht: Sind die Spitäler zur Ertragssteigerung durch Mengenausweitungen gezwungen, so lindert das zwar den finanziellen Druck auf das einzelne Spital, erhöht aber tendenziell die Gesamtkosten und steigert das Risiko einer Überversorgung.

Denkpause einlegen

Zum Glück ist es noch nicht zu spät, wie die letzten Wochen gezeigt haben. Unser Gesundheitswesen ist nach wie vor leistungsfähig, die Mitarbeitenden sind zu grösstem Engagement bereit. Jetzt gilt es, die gegenwärtige Situation im Sinne einer Denkpause zu nutzen: Es ist Zeit für Korrekturen in der Spitalfinanzierung, welche die Spirale nach unten unterbrechen.

Das erfordert in einem ersten Schritt kleinere Reformen bei der Spitalfinanzierung und beim Tarmed, die das Erreichte stabilisieren und den Druck auf das Personal mindern. In einem zweiten Schritt sollten wir darüber nachdenken, was im Gesundheitswesen wirklich wichtig ist und was es uns wert ist. Wollen wir wirklich eine Medizin, bei der die Frage nach Ertrag und Umsatz gegenüber dem medizinischen Aspekt immer mehr Gewicht erhält? Ich möchte das nicht. Wir müssen die Diskussion führen, ob die Eindämmung des Kostenwachstums tatsächlich durch noch mehr finanziellen Druck auf die Spitäler erreicht wird. Ich glaube, dass sich dieses Vorgehen als Bumerang erweisen wird. Der gegenwärtig verfolgte Weg der Gesundheitsfinanzierung wird das Kostenwachstum nicht bremsen, aber die Last auf den Schultern des Gesundheitspersonals wird wachsen. Das ist der falsche Weg für eine zukunftsfähige und gesunde Schweiz.

Bernhard Pulver ist Verwaltungsratspräsident der Insel-Gruppe und ehemaliger Regierungsrat im Kanton Bern.